Das trifft sich gut

Sieht so der Feind aus? Für ihre Schießübungen benutzen amerikanische Polizisten und Hobby-Schützen keine Zielscheiben, sondern möglichst klischeehafte Menschenbilder. Eine Galerie der potenziellen Angreifer.

Im Ernstfall muss die Frage, ob man einer Schwangeren in den Kopf oder in den Bauch schießt, im Bruchteil einer Sekunde beantwortet werden. Die Zielscheibe auf dem Cover dieses SZ-Magazins verrät die Antwort mit einem feinen Umriss zwischen Herzgegend und Hirnschale. Geht es also darum, die Mutter zu töten und das ungeborene Kind zu verschonen, genauso wie diese verlogene Moral US-amerikanischer Konservativer immer einfordert? Also den Waffenbesitz ohne Rücksicht auf das Leben der Bürger möglich zu machen, während das ungeborene Leben um jeden Preis geschützt werden soll?

Das Zielscheibenbild der Schwangeren stammt aus der Serie »Split Second Targets« der Firma Law Enforcement Targets Inc. (LET) mit Sitz in Minneapolis. Sie gehört zu einer Sammlung lebensgroßer »human targets«, welche die Redaktion des niederländischen Kunstmagazins Useful Photography zusammengetragen hat. Es geht bei diesen Zielscheiben für Sekundenbruchteil-Entscheidungen nicht um Moral, sondern darum, das eigene Überleben zu trainieren. Wer zögert, stirbt. Dann ist es egal, ob die Kugel aus der Waffe einer Schwangeren oder eines Terroristen kommt. Handicap sind bei solchen Schießübungen lediglich Zielpersonen, die keine Waffe haben oder eine Polizeimarke. Auch das ist keine Frage der Moral, denn wer auf die feuert, macht sich im Ernstfall zum Mörder oder Jagdwild.

Um Schießübungen und Handicaps möglichst realistisch zu gestalten, haben die Firmen die Typologien vereinfacht. So kann man diese Zielscheiben auch als Sittenbild einer amerikanischen Parallelwelt verstehen, die gar nicht so klein ist. Nach einer Berechnung der Centers for Disease Control in Atlanta wird die Zahl der jährlichen Toten durch Schussverletzungen von jetzt rund 31 000 bis zum Jahr 2015 auf 33 000 ansteigen.

Meistgelesen diese Woche:

Die Realität dieser Parallelwelt umreißt das Angebot der Anbieter wie LET, Opsgear oder Speedwell – neben den Sekundenbruchteilzielen, mit denen vor allem Polizei- und Streitkräfte ihre Reflexe trainieren, gibt es dort Serien mit Szenen von Raubüberfällen, Einbrüchen, Flugzeugentführungen, Terroranschlägen oder Amokläufen an Arbeitsplätzen und in Schulen. Ein Teil der Sammlung zeigt Männer in Kafiyas, die Sturmgewehre schwenken, Bomben vergraben oder Sprenggürtel tragen. Außerdem gibt es Mitglieder von Gangs (wahlweise schwarz, lateinamerikanisch oder asiatisch), Einbrecher (meist weiß, aber durch charakteristische Vokuhila-Schnitte als Angehörige unterster Einkommensschichten erkennbar), Räuber (vor allem im Schnapsladen-Ambiente) und Geiselnehmer (vornehmlich männlich, bleich, zornig, die Geiseln in erster Linie weiblich, hübsch und verängstigt).

Ganz humorlos sind die Berufs- und Freizeitschützen nicht. Neu im LET-Angebot sind Zielscheiben mit Zombies und Dinosauriern, sowie »Pink mist«-Kaspeln, die realistische Blutspritzer abgeben. Der Humor kann dabei durchaus politisch sein. Einige Zieltafeln zeigen die Konterfeis historischer Diktatoren und Terroristen. Die findet man auch oft in den Schießbuden amerikanischer Rummelplätze. Denn eines ist für Schützen und Rummelvolk gleich wichtig – man muss wissen, wo der Feind steht.

Fotos aus dem Buch: Useful Photography 11 - KesselsKramer Publishing

Fotos: Kesselskramer