Die Verflixte

Seit Jahrtausenden fasziniert eine magische Ziffer die Menschen. Eine Abrechnung - zum 7.7.2007.

Seit 1777 ist es Tradition, dass alle sieben Jahre in einem der sieben wichtigsten deutschen Presseerzeugnisse ein Artikel über die Magie der Zahl Sieben erscheint. Zum 07.07.07 gilt es, diese Tradition fortzuführen, sie aber auch endgültig zu beenden. Denn es ist an der Zeit, dass abgerechnet wird mit der Sieben. Nur scheinbar lenkt die Sieben seit Jahrtausenden die Geschicke des Menschen, egal, ob er sie wie Philon im antiken Griechenland zu einem »Weltgesetz« erklärt, einen siebenfarbigen Regenbogen betrachtet, eine Melodie aus den sieben Tönen der Grundtonleiter pfeift, sich den Finger in eine der sieben Öffnungen seines Schädels bohrt oder sieben Minuten auf sein »gutes Pils« wartet. Die Wahrheit ist jedoch, dass die Sieben nicht deshalb so besonders ist, weil sie magisch oder geheimnisvoll wäre; sie hat einfach von Anfang an mehr Erfolg gehabt als ihre Schwestern, und weil nichts erfolgreicher ist als Erfolg, zehrt sie noch heute davon.

Der Siegeszug der Sieben begann vor etwa 4000 Jahren, aus heutiger Sicht mit einem Irrtum. Denn die Babylonier beobachteten am Himmel sieben Planeten: Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn, Sonne und Mond. Diese sieben Wandelsterne bewegen sich, im Gegensatz zu allen anderen, kreuz und quer über das Firmament. Und der Mond durchläuft alle Stadien seines Gestaltwandels in vier mal sieben Tagen. Zeitgenössisch formuliert: Die Sieben in Babylon, das ist die Geschichte einer erfolgreichen Markeneinführung und einer hingebungsvollen, fast besessenen Markenpflege. Unter dem Markendach »Sieben« folgte ein Produkt auf das nächste: die Sieben-Tage-Woche, die sieben Weltmeere, sieben Weltwunder, sieben Säulen der Weisheit, von der Bedeutung der Zahl Sieben in den gängigen Schöpfungsmythen ganz zu schweigen. Die Sieben war überall, ob in Israel (Siebentgebet, siebenarmiger Leuchter) oder Ägypten (Erschaffung der Welt durch die Göttin Neith mit lediglich sieben Worten), ob in Rom (erbaut auf sieben Hügeln) oder Griechenland (sieben Musen, sieben Helden von Theben), ob im Islam (der siebte Himmel als Ort der letzten Verklärung) oder im Christentum (die sieben Todsünden, die sieben Tugenden, die sieben Sakramente, die sieben letzten Worte Jesu am Kreuz, das Buch mit sieben Siegeln in der Offenbarung des Johannes und so weiter…)

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Dann, auf anderer Ebene: die sieben Zwerge hinter den sieben Bergen, die Siebenmeilenstiefel, die sieben Geißlein, sieben auf einen Streich. Der Fliegende Holländer, der nur alle sieben Jahre an Land darf. Die Siebensachen, das verflixte siebte Jahr, die sieben Leben der Katze. Und: »Spiel 77«, »7Up«-Brause, Über sieben Brücken musst du gehen, 7 Tage – 7 Köpfe, Der 7. Sinn und Die sieben Samurai. Bedauerlich: dass in Jahrtausenden nur ein Siebener-Witz überliefert ist, und kein besonders guter. Was ergibt siebenmal sieben? Sehr feinen Sand.

Natürlich versucht die Wissenschaft inzwischen zu erklären, warum die Sieben eine so weltumspannende, Jahrtausende überdauernde Faszination auf uns ausübt. Die Verhaltensforschung nennt die Tatsache, dass die überwiegende Zahl von Menschen auf die Frage nach ihrer Lieblingszahl und ihrer Lieblingsfarbe »Sieben« und »Blau« antworten, das »blue seven phenomenon«. Die Tiefenpsychologie sagt, dass die Sieben von den meisten Menschen (irrtümlich) als erste Primzahl und daher als etwas ganz Besonderes wahrgenommen werde. Der amerikanische Psychologe George A. Miller fand vor fünfzig Jahren durch Experimente heraus, dass der Mensch über sieben »Verarbeitungskanäle« verfügt, mithilfe derer er Informationen kurzfristig speichern und wieder abrufen kann. Miller warf die Frage auf, ob die Zahl Sieben also gewissermaßen im Menschen angelegt und dadurch die unendliche Fülle von Siebener-Phänomenen zu erklären sei oder ob umgekehrt der Mensch sozusagen auf die Sieben gepolt ist, weil sie eine übergeordnete Bedeutung hat. Am Ende jedoch fand Miller nichts, was sich über einen gewissen Hang des Menschen zur Sieben hinaus hätte erhärten lassen, und er schloss seinen Artikel im Psychological Review mit den Worten: »Aber mein Verdacht ist, dass es sich einfach um einen bösartigen Zufall handelt.«

Mit einer Analogie aus der Popkultur kann man heute auch sagen: Die Sieben ist nicht Magie, sie ist Mainstream. Denn mächtiger als Magie ist allein der Mainstream, das, worauf sich alle einigen können. Gut lässt sich dies anhand der Rückennummern beim Fußball erklären. Wer als Fußballspieler die Sieben zur Glückszahl wählt, entscheidet sich für eine Zahl, die vor ihm bereits überdurchschnittlich viele andere gewählt haben; darunter dann, rein statistisch, natürlich auch überdurchschnittlich viele erfolgreiche Fußballer – wie Beckham, Figo, Raúl –, wodurch der Eindruck entsteht: Wer besser ist, spielt mit der Sieben. Und von dort ist es nur ein kleiner Schritt zu: Wer mit der Sieben spielt, spielt besser.

Angenommen, die Allgegenwart der Zahl Sieben hätte nun eine kleine Gruppe von mündigen Bürgern so wütend gemacht, dass sie einen Verein gründen möchten, den »Verein zur Abschaffung der Vormachtstellung der Sieben e.V.«. Die vom deutschen Vereinsrecht vorgeschriebene Anzahl von Gründungsmitgliedern beträgt – sieben. Warum nicht sechs? Oder acht? Weil die Sieben, um einmal ein mathematisches Wortspiel zu bemühen, der kleinste gemeinsame Nenner der Menschheit ist. Die Sieben steht für Mittelmaß, das sich als magisch tarnt; sie ist die Hausnummer an einer Fassade, hinter der nichts wartet als die Langeweile des Zufälligen und Geheimnislosen. Die Sieben steht nicht für ein Weltgesetz, sondern nur für sich selbst. Sie ist nichts Besonderes. Sie ist wie wir, eine von uns. Vielleicht kommen wir deshalb nicht von ihr los, auch 2007 nicht.

Illustration: Won ABC