Ist es besser, einen Ehemann oder einen Geliebten zu haben? Warum quaken Frösche? Und wo gibt’s denn so was: Berlusconi läuft noch immer frei herum? Immerhin, in diesem verregneten Sommer hat sich einer der wesentlichsten aller Fragen angenommen: Sollte, wer möglichst trocken bleiben will, durch den Regen gehen – oder besser rennen?
Franco Bocci von der Universität Brescia versucht uns in seinem Aufsatz (»Whether or not to run in the rain«) im European Journal of Physics schlüssige Antworten zu geben.
Bocci, 63, ist Professor für Physik. Vor anderthalb Jahren begann Bocci über Vektoren, polyedrischen Feststoffen und Kartesischen Koordinatensystemen zu grübeln und kam zu diesem Ergebnis: Wer rennt, ist den Tropfen kürzere Zeit ausgesetzt; wer schleicht, der sammelt mehr Wasser ein auf seinem Weg.
Es lohnt sich also, durch den Regen zu rasen. Aber! Eben nicht immer. Sondern nur, wenn Wind und Regen von vorn kommen. Blasen sie von hinten, so ist es klug, sich ihrer Geschwindigkeit anzupassen. Wehen sie gar von überall her, dann schaffen sie ein Wirrwarr, das eine Disziplin wie die Chaosforschung zum kleinen Einmaleins werden lässt. Trotzdem haben die spektakulären Erkenntnisse Boccis weltweit das Interesse der Medien geweckt, auch in Deutschland, »vor allem aber in England«, sagt Bocci, »das liegt wohl am Wetter dort«.
Seit den frühen Siebzigern bereits sucht die Wissenschaft nach dem trockensten Weg durchs Unwetter. 1987 schien er gefunden, als Alessandro De Angelis von der Universität in Udine aus seinen Rechnungen schloss, es sei völlig egal, ob man renne oder spaziere, nass werde man sowieso. In den Folgejahren wurde seine These unter Meteorologen hitzig debattiert, 2002 von Herb Bailey um den Schikane-Faktor Windrichtung erweitert, 2005 von Nick Allen noch einmal heftig durchgerüttelt, 2009 schließlich von Dank Hailman und Bruce Torrents (»Keeping Dry: The Mathematics of Running in the Rain«) im Mathematics Magazine kassiert und in die Regentonne gestopft, um mal beim Thema zu bleiben.
Man muss sich ja fragen, warum all diese Superrechner ihr Hirnschmalz über einer banalen Frage verbraten statt zum Schirm zu greifen. Warum arbeiten sie nicht an der Hodge-Vermutung (eines der großen ungelösten Probleme der algebraischen Geometrie)? Allein der Beweis der Riemann-Hypothese (über die Verteilung der Primzahlen) ist eine Million US-Dollar Preisgeld wert.
»Weil wir alle hin und wieder im Regen stehen. Weil die Frage uns ganz persönlich beschäftigt«, nimmt Bocci an. Und dass seine Vorgänger zu simple Antworten auf ein superkomplexes Problem gaben: weil sie den menschlichen Körper zu papierflachen Rhomben vereinfachten oder, gemeiner noch, zu rechteckigen Schachteln. Nun sehen wir ja eher aus wie zusammengewürfelte Zylinder plus Kegel mit Kugel, da schlagen Wolkenbrüche ganz anders zu.
Boccis Leistung besteht darin, das individuelle Höhe-zu-Breite-Verhältnis unserer Körper in seine Rechnungen einzubeziehen, ebenso wie die Stärke des Regens, die Größe seiner Tropfen, den Wind. Sein Versagen besteht darin, uns trotzdem nicht ins Trockene zu helfen. Uns mit immer wieder neuen Fragen zu quälen: Sollen Hungerhaken bei Seitenwind durch den Graupel sprinten? Darf der Dicke im Sprühregen trödeln?
Bocci selbst ist mager und groß gewachsen und läuft nur noch halb schnell durch den Regen. Im Zweifel rät er uns, sollten wir alle rennen, volle Kraft voraus! »Das ist eigentlich nicht verkehrt – oder nur selten verkehrt.« Aha? »Ja, in der Substanz wissen wir jetzt weniger als zuvor«, gibt Bocci zu. »In gewissem Sinn ist meine Arbeit ein Schritt zurück.« Der Mann hat Humor, einen sehr trockenen. Und weise ist er auch: »Ich arbeite nicht weiter an diesem Problem.«
Illustration: Dirk Schmidt