Navid Kermani war knapp 30, als er seine Dissertation mit dem Titel »Gott ist schön - Das ästhetische Erleben des Koran« herausgegeben hat, von der der legendäre FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher so begeistert war, dass er dem jungen Autor einen Vertrag anbot. In den Jahren danach schrieb Kermani, selbst schiitischer Muslim, für die FAZ über den Islam und den Nahen Osten.
20 Jahre später ist er einer der einflussreichsten Intellektuellen in Deutschland, ein public intellectual, dem es gelingt, seine Gelehrsamkeit mit Alltagsrelevanz zu verknüpfen. Deutschland hört zu, wenn Kermani den Mund aufmacht; gerade ist sein neues Buch über eine Reise von Köln nach Isfahan (wo seine Familie herkommt) wieder mal direkt auf die Bestsellerliste gesprungen.
Wie hat er das geschafft? Wie ist aus dem talentierten Wissenschaftler der Mann der Stunde geworden, Bestsellerautor, Essayist, glänzender Redner und Reporter?
Das Erstaunliche an Kermanis Erfolg ist vor allem seine Methode, weil er in all den Jahren in keiner einzigen Talkshow saß und sich im Gegensatz zu vielen anderen nur dann zu Wort meldet, wenn er wirklich was zu sagen hat. Wie damals, als er im Deutschen Bundestag zum 65. Geburtstag des Grundgesetzes die Verstümmelung des Asylrechts anprangerte oder bei der Friedenspreisrede in der Paulskirche zum Gebet für die in Syrien in Gefangenschaft geratenen Christen aufrief und die einen verzückte und die anderen gegen sich aufbrachte.
In seinen gesellschaftspolitischen Vorstößen ist er sanftmütig, aber scharf in der Sache. »Ich muss ja erst mal einen Konsens herstellen, um einen Nadelstich setzen zu können«, sagt Kermani. Es scheint, als habe er Verständnis für vieles, auch Widersprüchliches, nur nicht für Gleichgültigkeit oder Ahnungslosigkeit, die sich als Toleranz camouflieren.
Der SZ-Magazin-Autor Tobias Haberl hat Kermani, der ein scheuer Mensch ist, ein Jahr lang begleitet, er war mit ihm im Fußballstadion, bei der Verleihung des Staatspreises des Landes NRW, beim Abendessen mit Joschka Fischer, in seiner Stammkneipe und bei ihm zuhause. Er hat einen Menschen kennengelernt, der immer beides ist: fromm und modern, konservativ und links, kosmopolitisch und lokalpatriotisch, intellektuell und lebenstüchtig. Wer ihn für beliebig oder überangepasst hält, ahnt nicht, in wie viele Richtungen seine Neugierde strebt. »Ich lese und erlebe die erhabensten Dinge und bin zugleich in tausend Banalitäten gefangen«, hat er mal gesagt, so hat er in den letzten zehn Jahren nicht nur ein Dutzend Bücher geschrieben, sondern sich immer, wenn seine Frau, die in Hamburg Islamwissenschaften unterrichtet, nicht da war, um seine beiden Töchter gekümmert.
Dieser Mann ist kein Flaneur oder Dandy, schon gar kein Guru, eher ein Gutmensch oder sagen wir: guter Mensch, der die Welt nicht verachten, sondern zu einem besseren Ort machen will.
Kermani erzählt von wichtigen Stationen und Scheidewegen in seinem Leben: Wie er als Student in die Friedensbewegung geriet, von Schirrmacher gedemütigt wurde, im elitären Berliner Wissenschaftskolleg Heimweh nach Köln hatte und warum er nach dem Schreiben (früher gern mal zwölf Stunden am Tag, heute nur noch acht) am liebsten in einer klebrigen Punkkneipe namens »Durst« hockt, mit Leuten, die nichts mit Büchern oder Zeitungen zu haben.
Lesen Sie das Langzeit-Porträt über Navid Kermani mit SZ Plus.
Foto: DPA