Die Spätmoderne redet einem dauernd ein, dass man nicht immer das Gleiche tun sollte, dass es im Leben um Abwechslung geht, darum, alles mal auszuprobieren, am besten Dinge, die was kosten. Und weil ich auch nur ein Mensch bin, glaube ich das gelegentlich, und so kam es, dass ich mir neulich in meiner Lieblingsbar die Cocktailkarte reichen ließ (was dort eigentlich nur Einkaufstütentouristen aus der Vorstadt machen), ein bisschen vor- und zurückblätterte und schließlich: einen Cosmopolitan bestellte. Einen Klassiker, den ich noch nie probiert hatte, was gut daran liegen kann, dass es sich um das Lieblingsgetränk der vier Frauen aus Sex and the City handelt.
»Okayyyyyy«, sagte der Barkeeper, »warum eigentlich nicht?« Es war der Moment, in dem ich begriff, dass ich eine skurrile Wahl getroffen hatte, dass ein Cosmopolitan eher nicht so häufig bestellt wird, zumindest nicht von Typen wie mir, mit Bauchansatz und einer Armbanduhr aus dem Jahr 1957. Fünf Minuten später stand er vor mir: ein pinkfarbener Sommerdrink in einer eleganten Cocktailschale, auch Coupe genannt. »Also, ich würde den eher nicht bestellen«, meinte mein Freund und nahm einen Schluck Whisky Sour, »schon wegen des Glases.«
Was ist mit den Typen, die bei einem Gläschen Prosecco Ildikó von Kürthy lesen?
Eine Weile schwiegen wir und betrachteten unsere Drinks: links sein massiver Whisky-Tumbler, rechts mein Cocktailglas mit einem Stiel, so dünn wie das Bein einer Thomson-Gazelle. Mir war schon klar, was er meint: Horst Seehofer oder Uli Hoeneß würden eher keinen Cosmopolitan trinken – schon wegen des Glases. Auf der anderen Seite kann ich mir Julian Schnabel oder Jochen Distelmeyer ganz gut mit einem Cosmopolitan vorstellen – trotz und vielleicht sogar wegen des Glases. Männer sind verschieden, auch verschieden cool, locker, souverän. Und ja, es ist gar nicht so lange her, da hätte man so einen Drink abschätzig »Frauengetränk« genannt, aber irgendwie passt das nicht mehr, wie ja auch Frauenliteratur nicht mehr passt, weil: Was ist mit den Typen, die bei einem Gläschen Prosecco Ildikó von Kürthy lesen? Und was mit den Frauen, die sich nach der Pilates-Stunde gern einen torfigen Whisky genehmigen? Ich hatte an diesem Abend viel Spaß mit dem Cosmopolitan, besonders mit dem vierten und fünften. Er war leicht und erfrischend, schon süßlich, aber nicht klebrig, mit einer herben Note, ein idealer Sommerdrink – in jedem Glas der Welt.
Ach ja, eine Sache noch zum Kosmopoliten: Es gibt Menschen, die halten sich für Weltbürger, weil sie gelegentlich das Auslandsjournal schauen oder mal einen englischen Tweet abgesetzt haben. Ein echter Weltbürger aber ist jemand, der sich in der ganzen Welt zu Hause fühlt, nicht nur in Schwabing oder diesem wahnsinnig charmanten Hotel am Gardasee mit Zitronenhain und WLAN, sondern auch im Hunsrück oder einem Vorort von Bratislava, an der Seite von Menschen, die ganz anders sind als er selbst. Ein Weltbürger ist offen, souverän und neugierig. Er denkt nicht, dass er alle anderen von der eigenen Art zu leben überzeugen muss, überhaupt nimmt er sich nicht so wichtig, weil er weiß, wie viel man im Leben verpasst, wenn man denkt, man selbst sei geil und der Rest irgendwie doof. Ein Weltbürger teilt die Welt nicht ein, sortiert sie nicht, sondern akzeptiert, ja liebt ihre Widersprüchlichkeit – zum Beispiel einen alten weißen Mann mit einem knallroten Drink in einer hauchdünnen Cocktailschale.