Es gab kaum einen Text über die Vorstellungsrede von Ursula von der Leyen, in der nicht das Wort »emotional« vorkam. Die niedersächsische Brüsseler Europäerin von der Leyen habe nicht an Pathos gespart und überaus emotional gesprochen, das tue diesem technokratischen Club dort aber mal ganz gut. Immerhin begründe sich Europa und auch die Union auf einer Idee und auf Werten, ja auf Gefühlen irgendwie, und – Sie kennen die Argumentation ja aus den ganzen Leitartikeln – da könne es nicht schaden, wenn da mal eine komme und auch etwas über Ideen, Werte und Gefühle sage. Na ja.
Das ist insofern witzig, als die EU eigentlich ein ziemlicher Emo-Haufen ist. Und auch davor schon war. Das erste Mal aufgefallen ist mir das, als ich die große Kontroverse über den Rosé von 2009 verfolgte.
Die Kommission schlug damals vor, die Gesetze rund um den europäischen Roséwein zu lockern, konkret wollte sie das Verbot der Erzeugung von Roséwein durch das Verschneiden von Rot- und Weißwein aufheben. Hieße, dass sich fortan auch jenes Gemisch Rosé nennen kann, das aus übrig gebliebenen weißen und roten Weinen so zusammengemantscht wurde, dass es eine rosige Farbe hat. Warum? Um der steigenden globalen Nachfrage gerecht werden zu können und die anspruchslosen Trinker nicht an Weine aus anderen Weltregionen zu verlieren. Lösung: Weincocktail. Da war dann aber was los in dem angeblich so kühlen Apparat. Und obwohl die Weinfrage erst als Tagesordnungspunkt 13 dran war, obwohl die Sitzung da schon zwölf Stunden lief, obwohl danach der recht aufwühlende Tagesordnungspunkt »Der demokratische Prozess in der Türkei« wartete und obwohl wiederum danach fünf weitere Tagesordnungspunkte folgen sollten, wollten einige Abgeordnete des Europäischen Parlaments was loswerden. Wie kann man zum Roséwein schweigen?
Der Italiener Alessandro Battilocchio sprach: »Nun haben wir uns in diesem Plenarsaal versammelt, um ein kulinarisches, kulturelles und ländliches Erbe zu verteidigen; ein schätzenswertes Erbe, um das uns alle Welt beneidet und das einen unglaublichen Reichtum (…) für die Identität unserer Union darstellt.« Rosé als europäischer Identitätsstifter. Was für eine verbindende Idee, da plakatieren Parteien europaweit gegen Rechts, für Tierschutz oder gegen Treibhausemissionen, dabei wäre es der Rosé gewesen. Dagegen ist von der Leyens »Es lebe Europa, Vive l’Europe, long live Europe« nun beinahe nüchtern.
Ein Abgeordneter hat an jenem Tag im Mai 2009 sogar eine Einlage vorbereitet. In seinem Redebeitrag lässt er die anderen teilhaben an seiner eigenen Herstellung von Rosé. Um den Wahnsinn deutlich zu machen, der hier kurz vor dem Beschluss stehe, habe er einen Weißwein besorgt, dann Rote Bete erstanden und untergemischt – und eine schöne, roséfarbene Flüssigkeit erhalten. Ob es nicht witzig wäre, dieses »Gesöff« nun Rosé zu nennen? Ob das wohl irgendwem hier gefalle? Denn auf genau so was laufe das hier hinaus!
Man weiß nicht, ob es diese Darbietung war oder der Wortbeitrag von Jean-Claude Martinez, der an die Präsidentin gewandt sagte: »Mit dieser Rosé-Frage haben Sie 2500 Jahre eines Erbes in Frage gestellt, das noch aus dem römischen Reich stammt, welches sich damals gegen die Barbaren zur Wehr setzen musste.« Wir Rosé, du Barbar – so kann man die Debatte zusammenfassen. Am Ende wurde die identitätsgefährdende Plörre abgewendet, und Roséwein bleibt Roséwein. Vive l’Europe!