Bitte laden Sie mich nicht auf einen Drink ein, bitte nicht, denn wenn Sie das tun, wird dieser unangenehme und unvermeidliche Moment kommen, an dem wir über Ampeln sprechen. »Ampeln?«, werden Sie fragen und mit der Hand der Barfrau winken, nochmal zwei Bier bitte, hier passiert gerade etwas. »Ampeln …«, werde ich antworten und seufzend einen Schluck Bier trinken, denn jetzt ist es auch zu spät, und wir, und damit meine ich vor allem mich, kommen aus der Sache nicht mehr heil heraus.
Ich werde versuchen, vom Thema abzulenken. Den Ball ungelenk zurückpassen wie der untalentierte Junge im Fußballtraining, der eigentlich Angst vor allem hat, was rund ist. Was auch wieder ein Fehler ist. Denn während Sie irgendetwas erzählen, nippe ich an meinem Glas, nicke zustimmend, aha, interessant, aber innerlich brodelt es schon. Nach wenigen Minuten wird mir heiß werden, meine Hände rot wie gekochte Hummerscheren und mein Herz so laut klopfen, als würde Phil Collins irgendwo da drin sitzen und mit doppelter Geschwindigkeit sein Schlagzeug-Solo aus In The Air Tonight ballern. Mit jedem Schluck wird mir die Röte ins Gesicht schießen und damit auch die Scham. Sie werden es vielleicht nicht bemerken.
Über die Jahre habe ich Strategien entwickelt, um mir keine Blöße zu geben. So bevorzuge ich schummrige Bars, wo man eh nicht viel sieht. Ich sitze auch nie direkt unter einer Lampe (was man sowieso nie tun sollte, außer man identifiziert sich als Leberkäse). Manchmal trage ich auch ein dunkelrotes Hemd, das mindert den Kontrast, Gesicht und Kleidung fusionieren dann farblich zu einer Art Tarnkappen-Modus. Aber irgendwann wird der Moment kommen, wo Sie mitten im Satz abbrechen und fragen: »Geht es Ihnen gut? Sie leuchten ja echt wie eine Ampel!« Diesen Vergleich höre ich immer.
Gesicht und Kleidung fusionieren dann farblich zu einer Art Tarnkappen-Modus
Ich werde dann abwinken, alles in Ordnung, aber mich auch ertappt fühlen. Ich bin nicht betrunken, falle jedoch mehr auf als jede grölende Saufnase im Laden. Dass ich nur rot, aber noch fast nüchtern bin, glaubt mir natürlich niemand. Würde ich auch nicht. In diesen Momenten denke ich an meinen alten Freund Martin. Martin war einer dieser Menschen, denen man nicht ansieht, wie viel sie getrunken haben. Ich werde rot, wenn ich ein Bier trinke, er wird rot, wenn er keins kriegt.
Mit dem Farbwechsel geht nun auch die Fragerei los. Nach etlichen Hauspartys weiß ich, dass es für jemanden mit asiatischer Familiengeschichte eine nervigere Frage gibt als die, woher ich denn WIRKLICH komme. Sie lautet: »Ach, euch fehlt doch dieses Enzym?«
Die Erwartung ist jetzt, dass ich als Chinese das Mysterium kläre, wieso Asiaten keinen Alkohol vertragen. Die Röte wird »Asian Flush« genannt und kommt von einem Enzymmangel. Wie vielen es mangelt? Dazu muss man nur in einer koreanischen Karaoke-Bar eine Runde Cocktails ausgeben, und das Wort Rotlichtviertel bekommt eine neue Bedeutung (es ist mehr als jeder Dritte). Im Grunde ist es eine Schutzfunktion des Körpers, dass man sich nicht die Hucke vollsaufen soll. Aber da der Körper keine Ahnung hat, was Gruppenzwang heißt, und es auch nüchtern schwer genug ist, Wörter wie Acetaldehyd fehlerfrei zu artikulieren, sage ich einfach »Ja« und nippe an meinem Glas, was die Sache nicht besser macht.
Während wir nun beide erleuchtet wären, Sie durch Wissen und ich durch Alkohol, gäbe es zwei Möglichkeiten, wie dieser hypothetische Abend für mich gut enden könnte: Entweder wechsle ich zu Wasser, das wäre der Stimmungskiller. Oder ich sehe mich in der Pflicht, Ihnen die nächste Runde auszugeben, worauf ich dann eine Runde gehen müsste, an die frische Luft, und spätestens an der nächsten Ampel mit den Autofahrern um die Wette fluche, dass die Rotphasen wie immer viel zu lange dauern. Bitte ersparen Sie mir das.