Gab es früher was Ekliges zum Mittagessen, stellte ich mir was Schönes vor und kaute und schluckte tapfer. Viele, die ich kannte, machten es so. Kaltes Spiegelei konnte so ein Marshmallow werden. Und Spinat zu Vanillepudding. Es gab damals eine gewisse Notwendigkeit, sich etwas einfallen zu lassen, denn wer nicht aufgegessen hatte, durfte nicht aufstehen. Oft wurden wir von den Eltern regelrecht dazu aufgefordert zu fantasieren: »Pommes mit Schnitzel? Kannste dir malen!« Oder halt ausmalen.
Wenn ich heute am Ende eines langen Tages nur ein Käsebrot vor mir liegen habe, mache ich es ähnlich, nur mit digitaler Hilfe. Ich mampfe das Brot und schaue dazu Videos von Essenszubereitungen aus aller Welt. Geschmacksknospenstimulation via Handy.
Das Internet ist voll von Kochvideos. Allem kann man dort begegnen. Man sieht Krupuk beim Aufpuffen in Videos aus Indonesien. Wie Japanerinnen Ingwerlimo herstellen und wie Inderinnen Matka Roti von der heißen Kugel nehmen. Routinierte Omelette-Zubereitung aus dem taiwanesischen Straßenwagen heraus. Essenszubereitung vereint alle Attribute eines erfolgreichen Internet-Videos: Es ist irgendwie »Hinter den Kulissen«, es erklärt etwas, und es gibt einen Vorher-nachhher-Effekt. Quasi ein Makeover, nur in der Küche. Besonders beliebt ist gerade ein Franzose, der ständig kiloweise Lebensmittel – Haselnüsse, Beeren, Mango – zu feinen Pasten verarbeitet, dann damit vor seinen Laden tritt und die auf Instagram gewonnenen Fans aus aller Welt am analogen Pariser Löffel lecken lässt.
Apropos: Kennen Sie diese Kochvideos, wo Halbnackte anzüglich mit Lebensmitteln rummachen? Das sieht dann so aus, dass eine Frau im Bikini an einem Steak herumreibt, offiziell der Mariniervorgang, für jedes auch nur halbwegs pornogeschulte Auge allerdings eine Masturbationsszene. Oder ein Mann, der vermeintlich nackt hinter einer Kücheninsel steht und in einem Teig herumwühlt wie in einem Unterleib. Eier, Mehl, Milch und Zucker aufgetürmt wie ein vor ihm liegender Po, auf den er draufklatscht, den er massiert, in den er mit abgewinkeltem Daumen hineingreift. Leider sind die Videos so speckig und grotesk, dass sie weder durstig, hungrig noch geil eine Bereicherung sind.
Ich musste tief in den deutschen Spreewald hineinrudern, um etwas völlig Neues zu finden
Wegen der vielen Lebensmittel-Videos, die ich konsumiere, wundere ich mich dann fast, wenn es irgendwo etwas zu essen gibt, das ich noch nie gesehen oder von dem ich noch nie gehört habe. Und ich musste tief in den deutschen Spreewald hineinrudern, um etwas völlig Neues zu finden. Ganz arglos stand es in einem Ausflugscafé zwischen Kaffee und Bier auf der laminierten Karte: das Gurkenradler. Ein bisschen Goldgräberstimmung beim Bestellen.
Kurz befürchtet, es sei für mich als passionierte Salatbrühe-Schlürferin vielleicht gar nichts Neues. War nicht das Gemisch, das nach einem Gurkensalat mit Öl, Essig und Kümmel übrig blieb, so was Ähnliches? Und hatte ich das nicht schon Dutzende Male getrunken, früher nach dem Abendbrot? Aber das Gurkenradler war anders, furchtbar, eher Saure-Gurken-Limo. Es schmeckte bitter, garstig, übersteuert, nach Sprite und eingelegten Hässlichgurken. Geschmacklich unförmig und durch die viele Kohlensäure auch noch penetrant aufgesprudelt. Ich versuchte, mir Waldmeisterbrause in den Mund auszumalen, aber es gelang nicht. Bin wohl aus der Übung.
Dass ich diesem Getränk auf Instagram noch nicht begegnet war, wunderte mich dann auch nicht mehr. Ich habe auch nichts gepostet. Alles, was blieb, war ein Schluckauf mit Saure-Gurken-Geschmack.