Als meine Freundin realisierte, dass sie es mit einer Trennung zu tun hat, musste sie sich erst mal setzen. Und als sie saß, stand sie sofort wieder auf. Weil es jetzt so unheimlich viel zu tun gebe, sagte sie. Ich dachte, das sei ein Witz, aber sie behielt Recht.
Erst mussten wir alle ihre Bücher durchsuchen, ob etwas zwischen den Seiten lag, das an ihn erinnern könnte. Wir fanden einen Duftstreifen von Douglas, auf den sie sich am Anfang sein Parfum hatte aufsprühen lassen, um immer wieder daran riechen zu können. Weiter fanden wir ein Bergbahnticket, später einen Kurpass, einen kleinen Liebeszettel von ihm, einen Passfotostreifen von den beiden, einen Kassenbon, auf dem auch seine Buchtitel standen, eine Hotelquittung, ein Gänseblümchen von ihm.
Alles kam in eine Umzugsbox. Dazu gemeinsam gesammelte Muscheln, eine Pfeffermühle, ein kleines Herz vom Bilderrahmenrand, Oliven aus dem Carrefour, ihm entwendete ungewaschene T-Shirts, die Bluse, die er so schön an ihr fand, die Unterwäsche, die in expliziten Gedanken an ihn angeschafft worden war, seinen geschenkten Modeschmuck. Vom Kniffelblock mussten wir alle Blätter abreißen, auf denen sein Name stand. Zwei Ladekabel erinnerten sie an ihn. Schließlich holte sie eine kleine Pfanne, die er nicht gekauft, sondern bloß angeregt hatte zu kaufen. Ich fand das übertrieben, aber die Pfanne musste weg, und jetzt habe ich sie. Seine scharfe Soße aus dem Kühlschrank haben wir dafür weggeschmissen.
Hier war es anders: Meine Freundin hatte den Mann verloren, aber die Liebe dazu hatte sie noch.
Ihre Mutter rief an und sagte, man könne die Vergangenheit nicht einfach wegräumen, so werde man doch den Schmerz nicht los. Das sei kindisch. Wir waren sauer auf die Mutter, denn sie hatte sich nie von einer Erwachsenen-Liebe getrennt, sie wusste gar nichts über zurückgegebene Schlüssel, über Freundeskreise, die man nie mehr wiedersah, über aufgeteilte Möbel. Sie hatte die Liebe über die Jahre verloren, aber den Mann dazu hatte sie noch. Hier war es anders: Meine Freundin hatte den Mann verloren, aber die Liebe dazu hatte sie noch. Womöglich für Jahre.
Das Wegräumen, sagte meine Freundin, sei kein Versuch zu vergessen. Es war nur ihr Airbag. Sie wollte in der eigenen Wohnung nicht schutzlos und unerwartet auf ihn treffen, sie wollte ausschließen, dass er in jenen Momenten auftauchte, in denen sie dafür keine Kraft hatte. Sie wollte halt kontrolliert auffahren. Dass es immer wieder krachen würde, wusste sie selbst. Außerdem brauchte sie etwas zu tun.
Also kämmten wir weiter alles durch. Wir prüften selbst ihre schmutzige Wäsche, denn der Korb war groß und voll, und in unteren Schichten, die das Leben vor 14 Wochen sedimentiert hatte, konnte er noch sein. War er auch: mit Laufsocken und Unterhose.
Ein paar Tage später waren wir verabredet, wir wollten am Abend was trinken gehen, eigentlich nur damit sie nicht zu Hause war. Wir gingen in einen Laden, der morgens Café und abends Bar war und den sie nicht kannte. Ich wollte etwas bestellen, was sie nicht mit ihm in Verbindung brachte, von dem ich sicher sein konnte, dass es weder ihr Sonneninseldinner- noch ihr Abends-platt-Getränk war. Ich schlug einen Wildberry Lillet vor.
Ein zwar im Radio viel besungenes, aber von uns noch nie erwähntes Trendgetränk, von denen ständig welche entstehen und die man kaum als gemixt, eher als zusammengeschüttet bezeichnen kann. Hier: Lillet und Tonic mit Beerengeschmack. Ein Drink, der ein paar Sommer lang getrunken wird und dann verschwindet, den man erst vermisst, aber schließlich ganz gut ohne ihn auskommt. Der vielleicht zu Recht nie ein Klassiker wird. Sie trank, und ich glaube, sie dachte nicht an ihn.