Weihnachten im Januar begießen

Neuerdings werden Weihnachtsfeiern ins folgende Jahr verschoben und »Neujahrsfeier« genannt. Der Haken: Niemand will sich im Januar in soziale Zusammenhänge begeben. Unsere Autorin hat die ideale Lösung. 

Foto: Maurizio Di Iorio

Januar, das war einmal die Zeit, in der alles unberührt vor einem lag wie ein Feld von frisch gefallenem Schnee. In der man das Alte hinter sich gelassen hatte und bereit war für das Neue. Heute ist der Januar überbucht wie ein Businessflieger am Montagmorgen. Die Zeit, in der man all das, was man im Jahr zuvor nicht geschafft hat, nachholen muss. Genauer gesagt: nachfeiern.

Denn im Januar finden inzwischen die Weihnachtsfeiern statt, die im Dezember nicht zustandegekommen sind. In meinem Kalender gibt es keine Januarwoche ohne Punsch­abend, berufliche Party, Kinder-Bastelnachmittag oder Sektfrühstück. Das heißt dann »Neujahrsempfang« oder »Neujahrsfeier«, es gibt Champagner und Fingerfood, manchmal auch vegane Smoothies. Viele Firmen und Institutionen sind inzwischen dazu übergegangen, ihre Weihnachtsfeiern von vornherein in den Januar zu verlegen, um dem Terminstress in der Adventszeit zu entgehen.

Neujahrsempfang, das klingt nach Leichtigkeit und Lebensfreude. Das Problem ist nur, dass man Anfang Januar auf viele Dinge Lust hat, zum Beispiel darauf, schon mal ein paar Urlaubstage des frisch angebrochenen Jahres zu ver­braten, womöglich sogar darauf, die Mitgliedschaft im Fitnessstudio länger auszuhalten als die SPD ihre jeweiligen Vorsitzenden. Worauf man kaum Lust hat, ist, sich nach Weihnachten in soziale Zusammenhänge zu begeben, in denen Weihnachten gefeiert wird – und in denen schon wieder gebechert wird. Auch eine zum Neujahrsempfang umgelabelte Weihnachtsfeier ist immer noch jener Anlass, bei dem man sich mit Agenturchefinnen, Elternvertretern, Vereinskolleginnen oder Parteifreunden betrinkt, weil man das eben einmal im Jahr zusammen tun muss.

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Und es ist gar nicht so viel einfacher, im Januar einen Termin zu finden, denn dort kollidieren die verschleppten Weihnachtsfeiern mit Neujahrskonzerten, Dreikönigstreffen und der beginnenden Ballsaison. Irgendwann ist es wie in dieser Seinfeld-Folge, in der sich eine Frau beklagt, ihr sei gerade ein »frohes neues Jahr« gewünscht worden – im ­Februar! Darauf ihr Mitbewohner: »Ich wurde schon mal im März gefrohesneujahrt.« Mein letztes Neujahrsevent ist übrigens für Ende März geplant. Das ist aber noch nicht sicher, da die Doodle-Liste »Glühwein mit Freundinnen« wegen Terminproblemen jede Woche neu aufgesetzt werden muss.

Im Frühjahr ist dann ebenfalls kein Platz für verschobene Feiern, denn da sind Ostern, Frühlingsferien, und man will in den 1. Mai tanzen. Der Sommer wiederum ist der neue Advent, vollgepackt mit Kuchenbuffets, Hoffesten und Abschlussbällen. Und so muss man die Weihnachtsfeier immer weiter verlegen, die ersten Firmen veranstalten bereits Herbstfeste. Dort crasht man allerdings in Halloweenpartys und Black-Friday-Veranstaltungen. Bleibt nur noch der Dezember für die verschobene Weihnachtsfeier.

Das aber ist ideal. Denn wenn man die Weihnachtsfeier vom Dezember in den Dezember verlegt, heißt das, dass man sich eine Weihnachtsfeier gespart hat. Und das neue Jahr liegt dieses eine Mal unberührt vor einem wie ein Feld von frisch gefallenem Schnee.