Unfair verteilt

Darf man als beengt lebende Familie einer alten Dame wegen Eigenbedarfs kündigen?

Illustration: Serge Bloch

»Wir haben uns vor vier Jahren ein Haus gekauft. 40 Prozent der Fläche sind an eine Frau (Anfang 80) vermietet, die kurz vor uns einzog, ihre Miete zahlt die Stadt; den Rest bewohnen wir. Inzwischen haben wir zwei Kinder. Sie teilen sich ein Zimmer. An ein drittes Kind, Übernachtungsgäste oder ein größeres Hobby (Modelleisenbahn) ist platztechnisch nicht zu denken. Ist es moralisch vertretbar, Eigenbedarf anzumelden?« Dirk B., Troisdorf

Ob es moralisch vertretbar ist, eine 80-jährige Dame vor die Tür zu setzen, um auf den gewonnenen Quadratmetern eine Modelleisenbahn aufzubauen? Nehmen wir einfach gleich das nächste Argument: Übernachtungsgäste. Nun haben wir also auf der einen Seite des Hauses einen Menschen, der alles, was er in seinem Leben besitzt, in diesen Räumen verwahrt. Bücher, Bilder, Andenken. Briefe, Möbel, Kleidung. Der im Alter von circa 78 Jahren in dieses Haus eingezogen ist, ein Schritt, der vermutlich nicht aus reiner Freude am Umziehen getätigt wurde, aus unstillbarer Neugierde auf eine neue Umgebung, möglicherweise ein schwerer Schritt. Und die Frage ist, ob man diesen Menschen bitten kann, sich leider schon wieder woanders eine Bleibe zu suchen, weil vielleicht am Wochenende mal wer zu Besuch kommt, wo es schon praktisch wäre, es gäbe ein eigenes Bad. Irgendwie möchte man dem Besuch aus der anderen Stadt auch nicht zumuten, in ein Hotel in der Nähe oder die paar Nächte in ein Airbnb zu ziehen. Und eine Ausziehcouch kommt auch nicht infrage, weil … weil …

Kommen wir zum dritten Grund, den Sie als Argument für moralisch unbedenk­lichen Eigenbedarf ins Feld führen: ein eventuelles drittes Kind. Nun frage ich mich gerade, wie das eigentlich die Menschen in Paris oder Tokio machen, wo ­die meisten Menschen aus Platzgründen auf stark begrenztem Raum wohnen. Die schaffen das ja auch irgendwie, mehr ­Kinder zu haben als Zimmer. Unter Vierjährige können wirklich problemlos in einem Zimmer wohnen. Das ging in den Siebzigerjahren, das wird auch heute gehen. Ein Baby braucht im ersten Jahr sowieso nicht viel Platz.

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Sie machen natürlich, was Sie wollen. Das Anmelden von Eigenbedarf ist Ihr Recht. Ich kann Ihren Wunsch ja auch verstehen. Aber Ihr schlechtes Gewissen möchte ich Ihnen auf keinen Fall nehmen.