Bis vor kurzem war es ziemlich aufwendig, Menschen im Internet zu beleidigen. Wütende Kommentatoren mischten ihre Beiträge gleich aus mehreren Zutaten zusammen: aus ein paar falschen Tatsachenbehauptungen, Rechtschreibfehlern, vielen Großbuchstaben und am Ende noch einer Handvoll Ausrufezeichen. Mittlerweile geht es einfacher. Und subtiler. Wer dem Autor eines Textes alle Kompetenz entziehen, einen Artikel als niveaulos, banal und nichtig bloßstellen möchte, tippt einfach: »Das hat doch euer Praktikant geschrieben.«
Der Satz ist zu dem Lieblingsvorwurf der Pegidisten geworden, der Lügenpresse-Rufer, egal ob auf Facebook oder auf Twitter. Und das vermeintliche Schimpfwort breitet sich aus. Nachdem in Reutlingen ein Mann mit einer Machete um sich geschlagen hatte, schrieb ein angeblicher AfD-Verband bei Twitter:
Im Nachhinein stellte sich heraus, dass es sich bei dem Profil um einen Fake-Account handelte, der gar nicht von der AfD betrieben wurde. Aber der Geschmack bleibt: Läuft etwas richtig schlecht, ist man von der Maus abgerutscht oder: Der Praktikant war Schuld.
Aber warum sollen gerade Praktikanten das Sinnbild für Inkompetenz sein?
Früher war das Wort tatsächlich mal eine ziemlich gute Beleidigung. Bis ins 16. Jahrhundert verwendete man es für Menschen, die »unsaubere Praktiken betreiben«, wie der Duden vermerkt. Heute hat es eine andere Bedeutung. Praktikanten sind in vielen Betrieben die engagiertesten Mitarbeiter.
Meistens sind es junge Menschen, die von ihren Fähigkeiten eigentlich einen richtigen Job verdient hätten - aber bei denen der Arbeitsmarkt dazwischengrätscht. Studenten absolvieren häufig gleich mehrere Praktika während ihres Studiums. Nicht, weil sie es mögen würden, als gut ausgebildete Arbeitskräfte für wenig Geld zu arbeiten. Sondern weil sie müssen. Um schwammige Erfahrungen zu sammeln, sich zu beweisen, irgendwann mal bei einer Stellenausschreibung Erfolg zu haben.
Nach Zahlen einer Studie der Uni Magdeburg und der Clevis Group bleiben mehr als die Hälfte der Praktikanten gleich sechs Monate oder länger in einem Unternehmen – und haben im Schnitt eine 38-Stunden-Woche. Dabei verdienen sie durchschnittlich etwa 770 Euro. In dem Betrieb sitzen sie dann mit den normalen Mitarbeitern zusammen, die das Vielfache verdienen – und die nicht mehr das Gefühl haben, sich ständig beweisen zu müssen.
Die Wirtschaft baut auf die Leistung der Praktikanten. Alleine in Deutschland werden pro Jahr im Schnitt 600 000 Praktika absolviert, sagen Zahlen des Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Auch politische Systeme sind von Praktikanten abhängig: Würden in Brüssel weniger junge Menschen für ein niedriges Gehalt Memos verfassen, Meetings besuchen, Protokolle schreiben und Projektanträge ausfüllen, wären viele EU-Institutionen handlungsunfähig.
Möchte man jemandem Inkompetenz zusprechen, könnte man schreiben: »Da war doch ein Pünktlich-Feierabend-Macher am Werk.« Praktikant ist sicherlich das falsche Wort.
Foto: Joe Esco/Photocase