Gary Oldman lebt seit Anfang der Neunzigerjahre in Los Angeles, hält aber glücklicherweise am Londoner Akzent und dem gepflegten Brit-Style fest.(Foto: dpa)
SZ-Magazin Neulich stand in einem Kommentar über Planet der Affen – Revolution der Satz: »Warum ist Gary Oldman so ein Weichei geworden?« Können Sie sich vorstellen, warum sich das jemand fragt?
Gary Oldman Weil ich in dem Film einen normalen Mann spiele und keinen Verrückten.
Und warum sieht man Sie in den letzten Jahren nicht mehr in den Rollen dieser Bösewichte und durchgeknallten Typen, in denen Sie ja sehr gut waren?
Ich wurde nur noch so besetzt. Das war sehr langweilig. Also habe ich eine Entscheidung getroffen: nie mehr einen Bösewicht zu spielen.
Nie mehr?
Heute würde ich wieder einen spielen. Man müsste mir allerdings einen Haufen Geld dafür zahlen. Und damit meine ich: einen Haufen.
Was ist mit Psychopathen? Die haben Sie auch gern gespielt. Und die sind nicht langweilig, oder?
Psychopathen können sehr interessant sein. Aber das Geld will ich trotzdem.
Hatten Sie nicht Angst, Ihre Fans zu enttäuschen, die Sie als tablettensüchtigen Polizisten in Léon – Der Profi oder als Dracula bewundert haben?
Ich hatte ganz andere Ängste.
Welche?
In der John-Le-Carré-Verfilmung Dame, König, As, Spion spiele ich George Smiley, einen sehr normalen Menschen. Und ich war noch nie so besorgt, ja verzagt, wie zu der Zeit, als ich mich auf die Rolle vorbereitet habe. Ich fühlte mich unglaublich nackt. Anfangs habe ich mich sogar gefragt, was daran ist überhaupt eine Rolle? Wo ist diese andere Welt, in die ich hinüberwechseln könnte?
Das klingt, als wären die Psychopathen doch die bessere Option. Sind Sie ein eher introvertierter oder ein extrovertierter Mensch?
Eher introvertiert. Sie können auch schüchtern dazu sagen.
Seltsame Entscheidung, dann Schauspieler zu werden, finden Sie nicht?
Wissen Sie, für einen schüchternen Menschen wie mich ist die Schauspielerei ein Segen, denn man trägt bei der Arbeit eine Maske, wie auf einer Halloween-Party. Man verschwindet dahinter – und kann dadurch ausnahmsweise ein bisschen aus sich herausgehen. Wenn man die richtigen Rollen auswählt. Der Film, bei dem ich mich bisher am wohlsten gefühlt habe, war Hannibal. Ich saß im Rollstuhl und konnte nur eine Hand benutzen, aber ich habe mich so frei gefühlt wie nie zuvor. Ich war nicht zu erkennen, nicht einmal an den Ohren. Glücklicher als mit einer solchen Tarnkappe kann ich gar nicht sein. Es ist übrigens auch der Film, den ich mir am liebsten von mir selbst anschaue. Da gibt es nur noch die Figur, Mason Verger. Gary ist nicht da.
Mason Verger ist wieder: ein Psychopath. Für George Smiley in Dame, König, As, Spion allerdings wurden Sie, nach 33 Jahren im Geschäft, erstmals für den Oscar nominiert. Haben Sie sich manchmal unterschätzt gefühlt?
Die Fans sind immer toll gewesen.
Ja sicher.
Es ist, wie es ist.
Auch wenn man bescheiden ist, darf man sich verkannt fühlen.
Oder ignoriert. Klar habe ich mich so gefühlt. Manchmal.
Hat Sie das nicht frustriert?
Nein. Wie gesagt: Es ist, wie es ist. Ich war natürlich viel ehrgeiziger, als ich jung war. Aber die Prioritäten verschieben sich.
»Ich habe Lust zu arbeiten. Ich habe Lust, gut zu sein. Aber ich laufe nicht mit anderen um die Wette. .«
In den Filmen der letzten Jahre tragen Sie Brille, immer eine andere. In Ihren Rollen als Bösewicht trugen Sie keine.
Ist es so? Die guten Jungs haben eine Brille, die bösen keine? Vielleicht ist ein Bösewicht so fokussiert auf sein Ziel, dass er keine Brille braucht.
In Planet der Affen – Revolution spielen Sie Dreyfus, einen ehemaligen Polizisten, der die wenigen übrig gebliebenen Menschen irgendwie anführt. Sie tragen eine eher spießige Brille. Was sagt die über den Mann aus?
Das war die Idee des Regisseurs, Matt Reeves. Diese Brille war ihm ungeheuer wichtig. Er war, ich möchte sagen, obsessiv in der Brillenfrage. Ich meine, jede Filmrolle hat ihre Requisiten, und es ist unendlich wichtig, dass die stimmen. George Smileys Brille zum Beispiel ist so ikonografisch wie der Aston Martin. Oder der Martini.
Sie sollen sehr viele Brillen ausprobiert haben, um die richtige für George Smiley zu finden.
Die Geschichte geht so: Ich sah eine Plakatwand des Films A Single Man mit Colin Firth darauf. Von Weitem dachte ich, oh, Marcello Mastroianni. Dann erst erkannte ich Colin und dachte: Was für eine coole Brille. Dann saß ich am Flughafen und las eine kleine Meldung, in der stand: Wenn Ihnen Colin Firths Brille in A Single Man gefällt, finden Sie sie in einem kleinen Laden in Pasadena. Ich habe mir die Adresse in mein Handy geschrieben, weil ich unbedingt mal dort vorbeifahren wollte, für mich selbst, als Gary.
Weil Sie auch eine kleine Brillenobsession haben?
Ich habe sehr viele Brillen zu Hause.
Was machen Sie mit so vielen Brillen?
Ich trage sie alle, je nach Stimmung. So wie Sie sich vielleicht jeden Tag ein
anderes Paar Schuhe aus dem Schrank nehmen. Oder ein Kleid. Mit ein und derselben Brille finde ich mich nach einer Zeit doch recht langweilig. Ich hatte eine schwarze Brille, die habe ich zwei Jahre lang sehr viel getragen. Diese jetzt mit dem dunklen Rand ist neu. Schön, oder?
Schön, ja. Brauchen Sie überhaupt eine Brille oder ist sie ein Accessoire?
Ich brauche eine für die Ferne, seit ich 35 bin. Davor hatte ich eine Lesebrille. Jetzt habe ich eine, mit der ich sowohl lesen und in die Ferne schauen kann. Jedenfalls, als wir Dame, König, As, Spion vorbereitet haben, habe ich ungefähr 500 verschiedene Brillen anprobiert. Keine war es. Wirklich keine. Dann habe ich mich an den Laden in Pasadena erinnert. Und dort die perfekte Brille für George Smiley gefunden. Ich weiß nicht, was es ist. Man probiert eine Brille nach der anderen an und weiß jedes Mal sofort: Nein. Und dann kommt die eine Brille und man weiß sofort: Die ist es. George Smiley, wie er im Buch angelegt ist, braucht die Brille. Genau diese Brille. Le Carré schreibt das alles ganz detailliert auf: Wie Smiley seine Brille mit dem Zipfel der Krawatte putzt. Smiley ist ein Perfektionist, vielleicht sogar ein Pedant.
Und Sie?
Unbedingt ein Perfektionist. Vor allem bei der Arbeit.
Für die Arbeit ist es sicher gut, Perfektionist zu sein. Aber wie ist es im Privatleben?
Ich sage Ihnen was. Ich habe ein untrügliches Auge dafür, wenn etwas nicht genau stimmt. Ich habe mir vom Schreiner ein Bücherregal machen lassen. Als er es angebracht hatte, kam ich in den Raum und sah sofort, dass es auf einer Seite ganz leicht abfiel. Ich habe das dem Schreiner gesagt, der schaute sich das an und schüttelte den Kopf. Nein, sagte er, es hängt gerade, ganz und gar. Ich bestand natürlich drauf, dass es schief hing. Wir haben es ausgemessen. Es war weniger als ein Millimeter, aber es hing schief.
Und dann?
Musste er es richten. Aber klar. Solche Dinge stören mich. Mich würde auch stören, dass in diesem Raum keine einzige Blumenvase in der Mitte des Tisches oder der Kommode steht. Sehen Sie das? Sie stehen alle irgendwo auf den Tischen herum.
Unterdrücken Sie jetzt den Impuls, die Vasen in die Mitte zu schieben?
Nein, ich bin ja hier zu Besuch. Ein Bild an der Wand würde ich vielleicht gerade rücken. Aber zu Hause würde ich die Vase in die Mitte des Tisches schieben.
Gehen Sie Ihrer Familie damit nicht auf die Nerven?
Nein. Ich tue das einfach. Aber ich verlange nicht von den anderen, dass sie es auch tun. Wissen Sie, ich spiele Klavier, ich spiele Gitarre und Ukulele, ich kann mich gut mit anderen Dingen beschäftigen als damit, ob meine Familie Obstschalen in die Mitte des Tisches stellt. Die Maschine in meinem Kopf läuft immer. Ich habe ständig das Bedürfnis, kreativ zu sein.
Sie haben in den Neunzigerjahren einen Film als Regisseur gedreht: Nil by Mouth, ein düsterer Film über eine unglückliche Familie, die der englischen Unterschicht angehört. Man hört, er sei autobiografisch. Seitdem haben Sie nie mehr Regie geführt. Was ist passiert?
Ich habe immer wieder versucht, Filme zu drehen. Es gibt auch gerade jetzt ein Projekt, das ich gern realisieren würde. Es ist sehr schwierig.
Es ist schwierig für Sie? Mit Ihrem Namen?
Ich habe einmal fünf Jahre lang versucht, Geld für einen Film zusammenzukriegen. Ich habe alles getan, was auch immer verlangt wurde. Es wurde nichts.
Sie haben aufgegeben?
Die Regeln verändern sich so oft in so einer langen Zeit. Man hat endlich den richtigen Hauptdarsteller, also einen, der zieht. Dann sagen die Produzenten, aber wer spielt denn die weibliche Hauptrolle? Ach, nein, ihr Name ist nicht gut genug. Man stellt also einen weiblichen Star auf, mit dem sie zufrieden sind. Dann kommen sie und wollen einen dritten großen Namen. Irgendwann reicht es. Außerdem war ich lange Jahre allein erziehender Vater und habe mich darauf konzentriert. Wenn man Regie führt, gibt man sein restliches Leben in der Zeit auf. Man muss sich voll und ganz einsetzen, fährt schon vor den Dreharbeiten endlos herum auf der Suche nach den Orten, an denen man den Film spielen lassen will. Als meine Söhne klein waren, bin ich so wenig wie möglich gereist.
Dann sehen wir vielleicht einen Film von Ihnen, wenn die Jungs aus dem Haus sind?
Einer meiner Jungs ist 25, bei ihm ist der Job tatsächlich schon erledigt. Einer ist 17, er fängt gerade damit an auszugehen und sich mit Mädchen zu treffen. Der dritte ist 15, er wird auch langsam groß. Und ja, jetzt fühle ich mich, als könnte ich mit voller Kraft wieder einsteigen und um einen Film kämpfen. Ich habe Lust zu arbeiten. Ich habe Lust, gut zu sein. Aber ich laufe nicht mit anderen um die Wette.
Ist das eine Alterserscheinung – sich nicht mehr mit anderen vergleichen zu müssen?
Das habe ich nie getan.
Das haben Sie nie getan? Wie haben Sie das denn hingekriegt?
Es ist schlimm, sich zu vergleichen. Es zerfrisst einen, wie Krebs. Ich freue mich lieber für den Regisseur Matt Reeves, dass Planet der Affen so gut lief am ersten Wochenende in den USA. Er ist so nett, er ist so talentiert. Warum soll ich mich mit ihm vergleichen?
Vielleicht vergleichen Sie sich mit anderen Schauspielern?
Nein. Habe ich nie getan.
Dann haben Sie aber Glück. So ausgeglichen waren Sie nicht immer, oder?
Sage ich ja: Die Prioritäten verschieben sich.
Sie waren früher wild und hatten ein Alkoholproblem. Seit etwa zwanzig Jahren trinken Sie nicht mehr. Wie ist das Leben ohne Alkohol?
Warum möchten Sie jetzt darüber sprechen?
Weil wir über die Verschiebung von Prioritäten sprechen.
Es ist, als wäre das ein anderes Leben gewesen. Oder als hätte ein anderer dieses Leben gelebt. Die Welt, in der ich mich befand, war grauenhaft. Es geht mir viel besser heute, und ich selbst komme mir vor wie ein neuer Mensch.
Ist es schwer, durchzuhalten?
Überhaupt nicht.
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Gary Oldman
Seine Kindheit war von Armut und dem Alkoholismus des Vaters geprägt. 1958 in London geboren, verließ Oldman mit 16 Jahren die Schule, ging zum Theater und gab sein Filmdebüt in Sid and Nancy, wo er den heroinsüchtigen Punkmusiker Sid Vicious spielte. Berühmt sind seine Auftritte als Lee Harvey Oswald in JFK oder als psychopathischer Polizist in Léon - der Profi und als Polizist in der Batman-Verfilmung The Dark Knight. Gary Oldman hat drei Söhne und ist zum vierten Mal verheiratet.