SZ-Magazin: Sie haben uns vier Fotografien geschickt, die ein wenig an Gemälde von Mark Rothko erinnern. Sind das Fußböden?
Yto Barrada: Ja, das sind Nahaufnahmen vom Filzteppichboden eines Zirkus in Tanger. Der Boden dort sieht aus wie eine Collage oder Montage. Die Farben und die Verknüpfung der verschiedenen Stücke sind fantastisch, oder? Diese Böden werden ständig ausgebessert. Da wird nichts weggeworfen, sondern immer nur ein neues Teil dazugefügt oder drangeklebt. Das ist, wie wenn man ein Loch im Pullover hat und einen Stoffrest draufnäht.
Diese Recyclingtechnik ist charakteristisch für afrikanische Länder, oder?
Ja. In Marokko wird alles repariert, ausgebessert, geflickt und wiederverwendet, egal ob das Autos, Kleidung oder Möbel sind. Wer arm ist, macht das eben so. Es handelt sich erst mal um eine Notwendigkeit, die aber allmählich zur Kultur wird. Denken Sie nur an die vielen Plastikstühle, die ständig zurechtgebogen werden müssen. Es geht dabei nicht nur darum, einen Schaden zu beheben. Eher findet eine Transformation statt, wodurch sich für mich als Künstlerin viele Metaphern ergeben.
Sie sprechen von Grenzmetaphern?
Natürlich geht es um Ränder und Grenzen, die offen oder geschlossen sind, aber lassen wir das, ich möchte meine Arbeit nicht interpretieren. Ich habe nach etwas gesucht, das dieses Paradox in sich trägt, gleichzeitig weich und glatt, aber auch brutal zu sein. Der Boden ist zerschnitten und geflickt, aber nicht zerrissen. Ich musste an die Gewalt gegenüber Frauen denken. Auch Frauen werden genäht, um ihre Jungfräulichkeit wiederherzustellen. Diese Art der Stiche, die gebrandmarkten Körper, die Narben – in diesen Bildern stecken unzählige Metaphern.
Courtesy of the artist, Pace Gallery London, Sfeir-Semler Gallery Beirut and Hamburg, Polaris Gallery Paris; Porträtfoto: Benoit Peverelli
Fotos: Yto Barrada; Porträtfoto: Benoit Peverelli