Verrückt, wie rollenspezifisch Menschen sich am Wasser manchmal verhalten. Junge Männer, die im März in die 12 Grad kalten Fluten hechten, junge Frauen, die sich allein bei dem Gedanken daran schütteln, es von den Jungs aber ziemlich gut finden, dass sie sich das trauen. Männer, die kraulen. Frauen, die nicht kraulen. Männer, die am Strand stehen und schauen, weil sie sagen, also wenn ich eines nicht kann, ist es, am Strand liegen und lesen. Frauen, die am Strand liegen und lesen.
Ich habe mich oft gefragt, was Menschen dazu bringt, stundenlang im Wasser zu stehen und zu schauen oder sich zu unterhalten, aber man sieht sie oft, sie können ewig so im Wasser stehen, und meine Beobachtungen haben ergeben, dass die meisten von ihnen zwar zu schwimmen vermögen, es aber nicht gern tun. Sie kühlen sich kurz ab, wenn das Wasser nicht zu kalt ist, und den Menschen aus dem Süden zum Beispiel ist das Wasser ja schnell mal zu kalt. Anders gesagt, es muss schon ein heißer Sommer wie dieser her, damit ihnen das Wasser nicht zu kalt ist.
Wir reden also von Leuten, die ins Wasser gehen, weil es eben da ist, wenn man so am Strand rumhängt. Als Erstes tauchen sie einen Zeh ins Wasser, schauen zurück zu ihren Leuten am Strand, um zu sagen, also warm ist das nicht, dann laufen sie ein paar Schritte weiter, humpelnd und fluchend, weil die Steine den Füßen wehtun, bleiben stehen und tauchen mal die eine, mal die andere Hand ins Wasser, vielleicht sogar den ganzen Arm, zur Akklimatisierung, für den Fall, dass sie wirklich reingehen, richten sich wieder auf, das Wasser umspielt ihre Knie oder reicht bis Mitte der Oberschenkel, sie sind unentschieden, und nun stemmen sie die Hände in die Hüften, schauen ins Unendliche oder, wenn sie zu zweit sind, wenden sie sich einander zu und reden.
Denn eines ist klar, selbst für den Laien: Körperspannung und Aufrichtung sind viel besser mit den Händen in den Hüften als mit zum Beispiel vor der Brust verschränkten Armen. Da hängen die Schultern, und der Bauch ist schlaff. Die Hände in den Hüften zwingen dazu, sich in die Brust zu werfen, die Schultern nach hinten zu ziehen, sie zwingen dazu, den Bauch anzuspannen, den Po etwas zu straffen, sie kaschieren vielleicht sogar das Fehlen einer Taille. Und wenn man so halb nackt im Wasser steht, gehen einem die Hosentaschen ja schon ab. Katja Voigt, Lampenfieber-Expertin, Moderatorin und Auftrittscoach, formuliert es so: »Es gibt bei Badekleidung keine Hosentaschen, in denen die Hände verschwinden könnten. Es gibt kein Handy, das man in der Hand hält, keinen Schlüsselbund, keine Zigarette, keinen Geldbeutel. Wir sind blank.«
Wenn man nun davon ausgeht, dass Männer grundsätzlich etwas mehr zu den in die Hüften gestemmten Händen neigen als Frauen, weil sie grundsätzlich etwas breitbeiniger stehen und auch sitzen, kann man sich fragen, ob die Hände in den Hüften ein Zeichen dafür sind, dass ein Mann sich toll findet. Katja Voigt: »Ein Mann, der wie der supertolle Hecht wirken möchte, wird sich, sofern es seine körperliche Fitness hergibt, so schnell wie möglich in die Fluten stürzen. Nach dem Motto: Seht her, mir macht das kalte Wasser gar nichts. Seht her, ich kann kraulen. Seht her, ich tauche im Salzwasser!« Katja Voigt meint, ein solcher Mann dreht sich, sobald er sich in die Fluten gestürzt und vier Delfin- oder Kraulzüge gemacht hat, im Wasser um und schaut an den Strand, ob seine Show auch von den Badegästen gesehen wurde. »Dieser Typus Mann«, betont Katja Voigt, »steht nicht mit den Händen in den Hüften im Wasser.«
Mit den Händen in den Hüften im Wasser steht der nicht so fitte, nicht so bewegungsfreudige, nicht so selbstgewisse Mann. Er signalisiert zwar schon, hier ist mein Revier, aber die Hände in den Hüften, darin sind sich Körpersprache-Experten einig, lassen auf Unsicherheit schließen. Man hält sich an sich selber fest. Man versucht zu ankern. Doro Plutte, Moderatorin, Trainerin und Autorin des Buchs Wie Haltung unser Leben verändert, meint: »Allgemein sagt diese Pose: Ich fühle mich nicht ganz so selbstsicher, wie ich es gerne wäre. In Bademode zeigen wir viel Haut, geben mehr von uns preis, als uns manchmal lieb wäre, wir gehen ein Stück aus der Komfortzone. Das damit einhergehende innere Unwohlsein überspielen wir intuitiv, indem wir uns körperlich aufbauen. Nach außen wirkt diese Haltung häufig überheblich, in Wahrheit weist sie auf Selbstzweifel hin.«
Stefan Wabner spielt Pantomime, schreibt über Körpersprache und nonverbale Performance. Tom Rothe ist Software-Architekt, zusammen haben sie eine Körpersprache-App (sie heißt »Körpersprache Trainer« und ist zu finden unter pantomime- popkultur.de) entwickelt, in der sie über die Bedeutung von allerlei Gesten oder Körperhaltungen informieren, auf die man von allein gar nicht gekommen wäre, vom Augenwischen über den Fusselentferner und die Selbstumarmung bis zum Hüftstemmer. Die Hüftstemmer, erklären sie, machen sich selber breiter, als sie sind, was ihre Autorität und Dominanz unterstreicht. Wabner und Rothe allerdings unterscheiden spitzfindig auch noch zwischen zwei Arten von Hüftstemmern, bei den einen sind die Finger vorn, bei den anderen der Daumen, und ihrer Interpretation zufolge machen sich diejenigen mit den Fingern vorn noch breiter und wirken noch aggressiver als die mit den Daumen vorn.
Da hat man nun also frei und Urlaub und steht so vor sich hin im Wasser und wird von oben bis unten küchenpsychologisch durchleuchtet. Für die Füße, um mal von der Haltung wegzukommen, ist so ein ausführliches Kneipp-Bad natürlich super. Zumal sie langsam und sicher immer tiefer in den Sand sinken. Und dem Kopf tut es allemal gut, aufs Meer zu schauen. »Stundenlang am Wasser stehn, nix als Meer und Wellen sehn« heißt es in einem kurzen, sehr schönen Lied der fast unbekannten Kölner Band Fortuna Ehrenfeld. So kann es natürlich auch sein.