Dreitagebart, klarer Blick: Tommy Jaud wirkt auf dem Foto sehr ernst. Dabei ist er ein sympathischer und witziger Gesprächspartner.
SZ-Magazin: Herr Jaud, wir haben ein Problem.
Tommy Jaud: Ach, und das wäre?
Es heißt, Sie seien in Interviews nicht annähernd so lustig wie in Ihren Büchern.
Oh, das kann sein. Tut mir leid. Ich fühle mich in Interviewsituationen immer etwas seltsam und befangen.
Stimmt es, dass Sie nachträglich oft ein paar Gags in Ihre Interviews schreiben, damit das Gespräch wenigstens ein bisschen unterhaltsam wird?
Ich habe das mal angeboten und auch gemacht, ja.
Also könnten wir hier abbrechen, und Sie schicken uns später einfach das fertige Interview?
Das wäre wunderbar! Denn nach meiner Erfahrung komme ich in Interviews oft nicht so rüber, wie ich mir das vorstelle.
Wie stellen Sie es sich denn vor?
Lustiger, bekloppter, verrückter. Manchmal lese ich meine Interviews und denke: Das bin ich doch gar nicht! Oder: Himmelherrgott, ist das langweilig!
Haben Sie vielleicht Angst vor Journalisten?
Angst ist das falsche Wort. Ich frage mich aber, was die Leute von mir wissen wollen.
Mit einer Gesamtauflage von 4,3 Millionen Büchern sind Sie einer der erfolgreichsten deutschen Autoren der letzten Jahre. Hummeldumm war letztes Jahr das meistverkaufte Buch. Da kommen zwangsläufig Fragen auf.
Warum denn ausgerechnet der?
Zum Beispiel. Haben Sie eine Antwort darauf?
Nicht wirklich. Ich schreibe Comedyromane, also pure Unterhaltung ohne hohen literarischen Anspruch.
Der Buchkritiker Denis Scheck sagt über Ihr Buch Resturlaub: »Es gibt eine Form von Spaß, die von Terror kaum zu unterscheiden ist.« Eine interessante Beobachtung, nicht?
Bei mir ist das wie bei Mario Barth: Bei ihm sitzen 70 000 Zuschauer im Berliner Olympiastadion, die die Show gut finden – und siebzig Journalisten, die danach schreiben: Das ist der Untergang der Zivilisation. Das ist die übliche Mainstreamphobie. Es gibt eben auch Leute, die stehen vor meinen Büchern wie der japanische Pressesprecher von Tepco vor dem vierten Super-GAU. Ohne Overall.
Ihr erster Witz heute. Ist Ihnen der spontan eingefallen?
Nee, den habe ich vorhin im Aufzug entwickelt, weil ich Angst vor dem Interview hatte.
Stromberg-Darsteller Christoph Maria Herbst sagt, Sie seien der »Thomas Mann der Popcorn-Literatur«. Dieses Urteil gefällt Ihnen besser, oder?
Ja, klar. Aber ich lese eh viel lieber die Leser-Bewertungen auf Amazon.de. Die sind hilfreicher als jede Kritik im Feuilleton.
Bei Hummeldumm sind es etwa 550. Die lesen Sie alle?
Wenn ein neues Buch erscheint, sitze ich wie angetackert vor dem Computer und warte auf die ersten Rezensionen. Aber je mehr es werden, desto seltener klickt man dann natürlich rein.
Und schauen Sie nur auf die 5-Sterne- oder auch auf die 1-Stern-Bewertungen?
Auf beide. Manchmal finde ich auch nützliche Anmerkungen.
Zum Beispiel?
In Hummeldumm sucht mein Protagonist Matze Klein in Namibia ewig nach einem Adapter für sein Handy. In einigen Rezensionen stand: »Das mit dem Adapter, das nervt aber ab Seite 90.«
Beim nächsten Buch fällt der Adapter also ab Seite 90 weg?
Nein, nicht unbedingt, aber ich lerne daraus. Wie sehr kann ich so eine Sache in die Länge ziehen? Wann hört der Spaß auf?
Als Gagschreiber für die Harald Schmidt Show oder Anke Engelke wissen Sie, worüber die Deutschen lachen. Worüber denn?
Ich bin weit davon entfernt, den Humor der Deutschen zu definieren, aber Witze über die Deutsche Bahn, über volle Einkaufszentren an Weihnachten oder – wie in Hummeldumm – über Gruppenreisen, die funktionieren anscheinend gut. Das kennen viele aus eigener Erfahrung, damit können sie sich identifizieren.
Ein Comedyautor muss eine Figur sehr schnell charakterisieren können. Wie machen Sie das?
Regel Nummer eins: Beute deine Umgebung aus! Ich bediene mich oft bei real existierenden Menschen, Freunden oder ehemaligen Freunden, die ich so verändere, dass sie es nicht mitkriegen. Für Nebenfiguren gebe ich auch mal einen Namen bei Google ein und gucke, welche Fotos kommen.
Sie googeln Ihre Charaktere?
Für den glatzköpfigen Triathleten aus Hummeldumm habe ich »italienischer Personal Trainer« in die Suchmaske eingegeben. Die Figur »Checko« aus Resturlaub habe ich auf Facebook in einem Highschool-Jahrbuch entdeckt. Der Typ war so geil in seinem Pennsylvania-Shirt mit Vollbart. Der wohnt in Wisconsin und weiß nichts von meinem Buch. Ich habe sein Bild ausgedruckt und an meinen Computer gehängt.
In Resturlaub wird der Romanheld Peter Greulich, ein 37-jähriger Marketingleiter, von seiner Freundin gedrängt, endlich ein Haus am Stadtrand zu kaufen und Kinder in die Welt zu setzen. Dieses Szenario kennen viele Paare aus eigener Erfahrung.
Klar, das ist die ultimative Frage für einen Mann: Mach ich die Tür zur Jugend zu, oder will ich Berufsjugendlicher bleiben und mit 46 weiter Singleurlaub buchen.
Sie sind vor Kurzem 41 geworden und sind weder verheiratet noch Vater. Haben Sie die Frage für sich also beantwortet?
Ich habe eine liebe Freundin, die keinen Druck macht. Wir denken: »Jetzt noch nicht.« Wahrscheinlich kommt das irgendwann, ich schreibe ja nicht zufällig solche Bücher. Allerdings war mir Hummeldumm, wo sich das Paar eine Eigentumswohnung kauft, fast schon zu bürgerlich.
»Sigmund Freud hat gekokst wie ein Laubsauger.«
Sie möchten wieder so schreiben, als wären Sie 35?
Nee, mit meinem Alter hat das nichts zu tun. Es gibt ja auch bekloppte 87-Jährige. Ich möchte mich wieder frei machen von Wohnungskauf und Heirat.
Zu Resturlaub haben Sie mal gesagt, Sie hätten das Buch geschrieben, weil Sie wissen wollten, wie es endet. Wörtlich heißt es da: »Weil ich im gleichen Alter wie der Hauptdarsteller bin und demnächst ähnliche Entscheidungen treffen muss.«
Echt? Das habe ich gesagt? Wie ungeschickt!
Herr Jaud, das Zitat ist vier Jahre alt, und eine Entscheidung, mit Verlaub, haben Sie immer noch nicht getroffen.
Na ja, lassen Sie mich mal nachdenken. Ich wohne mittlerweile eine Viertelstunde weg von der Kölner City. Scheiße! Ich bin echt rausgezogen. Aber es ist noch Stadt, kein Vorort. Natürlich erschrecke ich, wenn man mir solche Zitate vorsetzt. Ich frage mich tatsächlich: Bin ich weiter als vor vier Jahren? Falls nein: Ist das überhaupt ein Problem?
Und?
Das ist ja jetzt halb Therapie, halb Interview. Ich gebe diese Frage gern an Sie beide weiter: Muss man mit vierzig Familie haben?
Wir sind beide Mitte dreißig, der eine unverheiratet mit Kind, der andere verheiratet ohne Kind. Wir würden sagen: Wenn man eine Familie gründen will, wird es mit 41 langsam Zeit.
Stimmt. Aber eben nur langsam. Und wenn man sich nicht sicher ist mit der Familie, dann sollte man auch keine gründen, nur weil alle es machen. Am Ende wird’s ein Schreikind, und dann kommt fünf Jahre kein neues Buch von mir!
Das Spannende ist doch, dass Sie eine Generation beschreiben, die es so vorher nie gab – Stadtmenschen um die vierzig, ohne eigene Familie, die ewig 37 bleiben wollen.
Was ist dagegen einzuwenden?
Im Prinzip nichts. Aber was sagen Ihre Eltern dazu?
Meine Eltern akzeptieren meine Entscheidungen. Genauso wie meinen Beruf. Mein Vater war in der Automobilzulieferindustrie in Schweinfurt beschäftigt. Der hätte mich wohl totgeschlagen, wenn ich dasselbe wie er gemacht hätte. Ich habe vor ein paar Jahren mal so ein Englisch-Sprachprogramm mit nach Hause genommen und meinem Vater am Computer erklärt. Eine der Fragen lautete: »Would you like to have grandchildren?« Und mein Vater sagte wie aus der Pistole geschossen: »Oh, yes!!!« Alle Freunde meiner Eltern haben Enkel.
Tut Ihnen das weh, solche Sätze zu hören?
Klar, aber ich kann ja jetzt nicht das Kondom weglassen, nur weil die Freunde meiner Eltern Enkel haben. Auch mein Freundeskreis ist weit ab vom Stereotyp des bürgerlichen Familienidylls – da sind Outings dabei, da sind Berufswechsel dabei, da sind glückliche und nicht so glückliche Eltern dabei, da sind Paare dabei kurz vor fünfzig, die keine Kinder haben, die kulturinteressiert sind, dauernd reisen. Mit denen kann man entspannt zum Italiener gehen und sich eine Pizza reinkloppen. Ohne Babysitter.
Wie nennen Sie die Lebensphase, in der Sie sich gerade befinden?
Gute Frage. Ich habe kein Wort dafür. Verlängerte Jugend ist es schon nicht mehr. Best Ager? Zu früh. Obwohl: Ich krieg schon graue Haare. Aber in Großstädten ist es eh wurscht, ob du 37 oder 44 bist. Es kommt drauf an, was du anhast, wie du dich gibst, was du denkst. Ich genieße gerade eine sehr freie Lebenszeit.
Sigmund Freud sagte, dass alles, was uns im Leben wirklich glücklich macht, nur die Erfüllung von Kindheitswünschen ist. Stimmt das auch für Sie?
Sigmund Freud hat gekokst wie ein Laubsauger. Aber wenn ich mir den Playboy-Chef Hugh Hefner angucke, so ist der immer Kind geblieben. Der Mann hat selbst mit 85 Jahren stets ein Lächeln im Gesicht.
Hugh Hefner ist Ihr Vorbild?
Nein, natürlich nicht. Aber man kann auch schlimmer altern, oder? Ich glaube, er fühlt sich so frei wie ich, wenn ich bei Rewe an der Kasse stehe und mir all die Schokoladenriegel kaufen kann und das Kind neben mir nicht. Das freut mich!
Sie wollen also partout nicht erwachsen werden.
Ich bin erwachsen. Ich treibe Sport, gehe zur Zahnpflege, versuche die Fritten wegzulassen. Ich weiß, ich lebe nicht ewig. Letztes Jahr habe ich einen Gesundheitscheck gemacht, saß drei Stunden beim Arzt.
Wie sind die Leberwerte?
Die sind okay. Kann mein Arzt ja mal durchfaxen. Nein, die ganzen spießigen Sachen, die man so mit vierzig macht, mache ich auch.
Interessanterweise enden ja Ihre Bücher immer mit Happy End, im bürgerlichen Traum mit knirschender Kiesauffahrt, eigenem Haus, Familie, Kindern, Hund.
Darüber streite ich immer mit meiner Freundin. Sie mag keine Happy Ends. Für sie muss es mit Drama enden. Aber ich sage: Nein, das geht nicht! Der Leser möchte das Buch mit einem Lächeln weglegen. Vielleicht ist dieser bürgerliche Traum ein tief in mir schlummernder unbewusster Freud’scher Wunsch, aber grundsätzlich gilt: Knirschende Kiesauffahrt? Damit will ich nichts zu tun haben.
Foto: Konrad R. Müller