September 2010, abends. Nils und Carolin sind ein fröhliches, schwungvolles Paar, sie haben ein süßes Baby, Mara, sie machen beide Karriere, es geht ihnen gut. Sie sind neu in München, wohnen in einem Reihenhaus im Westen der Stadt, im Erdgeschoss haben sie die nicht tragenden Wände eingerissen, damit Wohnzimmer und Küche eins wurden. Die Küchenschränke glänzen dunkelrot, ein schöner Kontrast zum verkratzten Bäckertisch, an dem gegessen wird, im Bücherregal stehen Jonathan Franzens Freiheit , Henning Mankell, verschiedene Reiseführer. Gäste werden wunderbar bewirtet, mit Melone, Parma-Schinken, kühlem Weißwein, Baguette.
Für deren Unterhaltung fühlen sich beide zuständig, hören zu, auch einander. Dabei schauen sie sich oft an, und wenn Carolin lacht, schwingt ihr Körper immer leicht in Nils’ Richtung, manchmal legt sie den Kopf kurz und keck an seine Schulter. Sie sind ein perfektes Paar. Deshalb haben wir Nils und Carolin gefragt, ob sie sich auf ein Experiment einlassen würden: eine Paartherapie. Und wir haben Dr. Andreas Hamburger, Professor für Klinische Psychologie an der International Psychoanalytic University Berlin und analytischer Psychotherapeut in München, gefragt, ob er sich auf ein Paar einlassen würde, das ohne Leidensdruck kommt. Alle drei haben Ja gesagt.
Mittwoch, 10. November, 18 Uhr bis 18.50 Uhr.
Die Praxis: drei Ledersessel, Stehlampe, eine Liege mit grauer Felldecke darauf. Der Termin ist nach langem Ringen zustande gekommen, denn Nils und Carolin haben nicht viel Zeit, nie. Nils kommt direkt von der Arbeit und gleich zur ersten Sitzung zu spät. Carolin hat Mara, das Baby, ein Jahr alt, mitgenommen, weil die Babysitterin nicht konnte. Andreas Hamburger, ein gut aussehender Mann in mittleren Jahren, beginnt mit der Anamnese: Die beiden sind seit sieben Jahren ein Paar, seit fünf Jahren verheiratet und zweimal miteinander umgezogen: Einmal ist er ihr nach Bonn gefolgt und einmal sie ihm nach München. So gleichberechtigt wirken sie auch.
Nils ist 33 und Betriebswirt. Carolin ist 30 und Juristin. Sie lernten sich auf einer Wirtschaftsschule in London kennen, waren in einem Arbeitsteam, verbrachten täglich 18 Stunden und mehr miteinander, merkten bald, dass es nicht nur die Arbeit war, die sie beflügelte. Carolin machte den ersten Schritt, in einer Bar. Sagte, dass sie mehr für ihn empfinden würde als Freundschaft. Ihm passte das erst nicht, er wollte alle Kraft in die teure Schule stecken. Aber dann gab ihnen die Liebe Energie, er hätte Bäume ausreißen können. Nils ist groß, schlank, das blasse Gesicht markant, kurze Haare, er trägt einen nachtblauen, tadellos sitzenden Anzug. Carolin ist auch groß, sportlich, sie hat blonde lange Locken, ein strahlendes Lachen. Beide sprechen schnell. Nils stammt aus Dänemark, sie aus Bonn, ihre gemeinsame Sprache ist Deutsch.
Ob es in ihrem Beziehungsleben immer wiederkehrende Konflikte gibt, fragt der Therapeut. Kleinigkeiten eher, sagt Nils. Nur manchmal fragt er sich, warum diese kleinen Dinge, die man am Anfang nicht wahrnimmt, später so ein Gewicht bekommen. Wie ordentlich einer ist, zum Beispiel. »Kann man da vorbeugen? Kann man sehr aufmerksam sein, schon in der Verliebtheit, und diese Details sehen? Und: Würde das helfen?« Denn so gut es jetzt auch läuft zwischen ihnen - Nils und Carolin sind reflektiert genug zu wissen, dass schon die vermeintlich besten Paare wieder auseinandergegangen sind. Weil sie Enttäuschungen nicht ausgehalten, Belastungen nicht standgehalten haben, sich in Rollen gedrängt sahen, die sie sich so nicht vorgestellt hatten.
Paartherapeuten sagen, dass 70 Prozent der Paare, die eine Beratung in Anspruch nehmen, wegen eines Babys in Beziehungsschwierigkeiten geraten sind. Und dass 80 Prozent der Paare, die eine Beratung in Anspruch nehmen, zu spät kommen. Das Argument für eine Paarberatung ist ja: Wir lernen Beziehung nicht, wie wir Tennis lernen, mit einem Trainer, sondern wir machen einfach so weiter, wie wir es aus der Kindheit und aus vergangenen Beziehungen kennen. Das geht oft nicht gut, doch wir wissen nicht recht, warum. Ein Profi sieht mehr: Beziehungsmuster.
Konfliktpotenzial. Ängste. Chancen. Warum also nicht schon ins Training gehen, wenn noch keiner unglücklich ist? Lange haben wir kein Paar gefunden, das sich einer Beratung freiwillig aussetzen würde. Angst vor Überpsychologisierung. Angst davor, schlafende Hunde zu wecken, Schubladen aufzuziehen, die besser zubleiben sollten. Nils und Carolin waren auch nicht sofort Feuer und Flamme. Aber sie waren neugierig. Und hatten genug Selbstbewusstsein als Paar, sich auf das Experiment einzulassen.
Andreas Hamburger fragt zurück: »Warum fällt Ihnen Ordnung als Beispiel ein?« Nils: »Ich bin so erzogen worden, dass alles tipptopp ist, bevor man abends ins Bett geht oder in die Ferien fährt. Carolin hat andere Prioritäten.« Carolin: »Ich habe seine Erledigungsliste im Kopf, bevor wir wegfahren. Aber ich vergesse oft etwas. Ich will nur weg.«
- »Das letzte Mal hat sie den Blumen kein Wasser gegeben.«
- »Darüber ärgere ich mich ja selbst. Immerhin reden wir über solche Dinge. Und räumen sie aus.«
- »Ja. Wir wollen miteinander weiterkommen. Und das Thema Putzen soll uns nicht hindern.«
Nach der ersten Stunde sagt der Therapeut: »Die beiden sind anpassungsfähig, haben eine gesunde, wohlwollende Beziehung zueinander, sie nehmen die Dinge in Angriff, sind belastbar und klug.« Es gibt wenig Konfliktpotenzial, auf den ersten Blick. Daran ist der Therapeut nicht gewöhnt. Wo soll man da ansetzen? Dennoch vereinbaren sie eine weitere Stunde.
Dienstag, 23. November, 19.10 Uhr bis 20 Uhr.
»Sie kommen wieder mit der kleinen Verspätung«, sagt Andreas Hamburger. Nils und Carolin lachen verlegen. Soll das ein Vorwurf sein? Sie haben ja gesagt, dass es ihnen schwerfällt, sich diese Zeit zu nehmen. »Das ist nur eine Feststellung«, sagt der Therapeut. »Ich weiß überhaupt noch nicht, was das bedeutet.« Nils erklärt, dass die Rushhour nicht mehr um fünf Uhr stattfindet, sondern um halb sieben. Stimmt, nickt der Therapeut, interessant. Wie die Welt sich verändert hat.
Carolin sieht müde aus: »Als Mara geboren wurde, haben wir uns vorgenommen, öfter mal ein Wochenende zu Hause zu sein. Tja. Da ist nichts draus geworden.«
- »Ihr Leben wirkt tatsächlich hoch beschleunigt«, sagt der Therapeut. »Sie sprechen auch so schnell.«
- »Das liegt in unserer Natur. Sogar noch mehr in seiner, wenn ich das mal so sagen darf. Wir beide fühlen uns eigentlich komisch, wenn wir ein Wochenende zu Hause sind. Als hätten wir nichts Richtiges vor.«
- »Aber wir haben schon viel verändert, seit Mara da ist.«
- »Was haben Sie denn verändert?« Nils: »Ich arbeite nicht mehr so lang. Ich komme um sieben heim und bade Mara. Wir möchten heute etwas von unseren Kindern haben. Zugleich wird verlangt, dass man viel und gut arbeitet. Freunde soll und will man haben. Lieben soll man und will man auch. Das verlangt man dann alles selbst von sich. Aber: Wie passt das alles zusammen? Will man zu viel vom Leben? Das ist schon Stress.«
Carolin: »Heute Morgen hatte es zum ersten Mal gefroren, ich musste die Autoscheibe abkratzen, kam zu spät. Ich dachte, verdammt, dafür musst du dir auch noch ein Zeitfenster einbauen. Also um 6.20 Uhr aufstehen. Wenn ich das bisschen Sport machen will, das mir so wichtig ist, ein paar Minuten nur, heißt das 6.10 Uhr. Und wenn ich noch mit Nils im Bett bleiben möchte, für was auch immer, heißt das noch mal eine Viertelstunde früher. Das kann es doch nicht sein.« Nils: »Es gibt Leute, die sich langweilen. Vielleicht kann man von ihnen Zeit kaufen.« Der Therapeut sagt, dass es ein Buch darüber gibt: Momo. Carolin erinnert sich und nickt, aber als Däne kennt Nils das nicht.
Der Therapeut sagt, er fragt sich, wie es jedem Einzelnen von ihnen - dem Mann, der Frau, dem Kind - geht in so einem streng durchorganisierten Leben, ohne Großeltern in der Nähe, ohne alte Freunde. Moderne Heimatlose. Dadurch müsste der Spagat zwischen den Zeitkulturen, in denen sie sich durch die Arbeit, ihrer Liebe und ihrem Kind befinden, besonders schmerzhaft sein. »Wissen Sie was?«, fragt Carolin. »Ich habe gestern die Babysitterin bestellt. In der Zeit, in der sie mit Mara gespielt hat, habe ich das Haus geputzt. Das ist jetzt vielleicht nicht wirklich Quality Time, aber ich war danach sehr, sehr zufrieden.«
- »Wenn wir überraschend Zeit für uns haben«, sagt Nils, »sind wir so glücklich miteinander. Neulich waren Freunde am Wochenende zu Besuch und wollten etwas allein machen. Wir waren Kaffee trinken, es war toll.«
Nils ist irritiert. Übertreibt seine Frau jetzt?
Montag, 6. Dezember, 19 Uhr bis 19.50 Uhr.
Die dritte Sitzung wird zweimal verschoben, aus Zeitgründen natürlich. Carolins Augenringe sind dunkler als beim letzten Mal, Nils sprüht vor Energie. Carolin legt eine Hand aufs Herz und holt tief Luft. »Wenn es Burnout für Mütter gibt, bin ich im Club. Ich habe so einen Druck auf der Brust. Ich hab Angst, ich kann nicht mehr.« Carolin hat eine 32-Stunden-Stelle in einer großen Firma, seit sie nach Maras Geburt wieder arbeitet, aber sie bräuchte 80 Stunden, um den Job zu schaffen. Die Arbeit kommt in großen Wellen, sagt sie, und sie hat ständig das Gefühl, sich einer solchen Welle entgegenstemmen zu müssen.
Nie sagt einer, super, dass du das gemacht hast. Bemerkt wird nur, was sie nicht geschafft hat. Und wenn sie bedenkt, dass sie, rein karrieretechnisch, nur darum kämpft, dahin zurückzukommen, wo sie vor dem Kind war, kann das frustrierend sein. Am Montag ist sie eine Dreiviertelstunde zu früh aufgewacht, so gestresst war sie beim Gedanken an die kommende Woche. Dann hat sie die Kühlschranktür aufgemacht, der Butterteller ist rausgefallen und kaputtgegangen. Ihr schossen die Tränen in die Augen.
Nils hat erst unwillkürlich lachen müssen, weil es ja nur ein blödes Missgeschick war, slapstickartig, aber dann war er sehr bestürzt darüber, wie fertig Carolin war. Sie sagt: »Zum Glück haben wir jetzt eine Woche Urlaub.« Er sagt: »Wir haben sehr viel über das Thema Zeit gesprochen, seit wir hierherkommen.« Sie: »Und sind ausnahmsweise konsequent geblieben. Zumindest was den Urlaub betrifft. Wir haben uns gegen New York entschieden, obwohl Nils fand, da könnte man auch entspannen.« - »Wenn man die Stadt kennt, kann man in aller Ruhe auch mal einen Tag in den Central Park gehen.«
- »Ich habe von New York bisher noch fast nichts gesehen, nur die coolen Bars.«
- »Wir wollten auch wegen Mara keinen Jetlag riskieren. Wir haben also eine Weltkarte genommen und abgezirkelt: Infrage kamen nur Länder mit einer Stunde Zeitunterschied. Und mit einer Temperatur von 25 Grad.«
»Eine Woche Planung für eine Woche Urlaub«, stellt der Therapeut fest. »Was ist es denn nun geworden?«
- »Eigentlich wollten wir auf dem Weg in die Ferien auch noch in Freiburg stoppen«, sagt Carolin, »eine Freundin von mir wird als Richterin eingeschworen. Und in Mailand, Nils Bruder bekommt sein erstes Kind.« Nils: »Aber wir haben uns auch dagegen entschieden. Ganz egoistisch. Zum ersten Mal.« Der Therapeut fragt noch einmal: »Was ist es denn nun geworden?« Carolin versteht nicht, ist mit Erklären beschäftigt. »Wohin fahren Sie?«
- »Haben wir das nicht gesagt? Nach Kreta.« Der Therapeut wirkt fast erleichtert.
Mittwoch, 15. Dezember, 18 Uhr bis 18.50 Uhr.
Die vierte Sitzung. Zum ersten Mal beeinflusst der Therapeut die Richtung, die das Gespräch nimmt, und kommt auf den Mütter-Burn-out zurück. Denn Carolins Erschöpfung ist, glaubt er, sehr ernst zu nehmen, was bei Nils noch nicht ganz angekommen ist. Weil sich Frauen immer stärker zwischen den Lebenswelten Arbeit und Kind aufteilen als die Männer, und die Männer nicht ermessen können, was genau das bedeutet. Auch wenn sie, wie Nils, ihrer Frau sehr zugewandt sind. Aber vielleicht muss man manche Dinge am eigenen Leib erfahren. Und vielleicht bleibt, gerade weil sie in ihrer Paarbeziehung alles schnell und professionell verhandeln, doch etwas auf der Strecke.
Carolin sagt, sie könne nicht zufrieden sein, wenn Nils es nicht ist. Aber wann ist er zufrieden? Wenn er von einer mehrtägigen Geschäftsreise nach Hause kommt und die Steuererklärung auf dem Tisch liegen sieht, macht er sie fertig.
Da gibt es Anpassungsschwierigkeiten, sagt der Therapeut. Nils meint, die Belastbarkeit von Menschen sei eben unterschiedlich. Er kenne das von seinem Vater, dem hätten die Leute auch gesagt, nun gib doch mal Ruhe. Carolin sagt, dass sie so erzogen ist, keine Schwäche zu zeigen. »Die letzte Stunde war für mich auch deshalb wichtig: Ich muss lernen zu sagen, sorry, ich kann jetzt nicht mehr.« Nils ist irritiert. Übertreibt seine Frau jetzt? Der Therapeut sagt: »Sie möchten fragen, ob Ihre Frau es ernst meint mit der Schilderung ihres Zustandes?«
- »Ja, weil wir seit Tagen darüber sprechen, und ich nicht gedacht habe, dass es ihr so schlecht geht. Jetzt wüsste ich gern, ob ich ein Depp bin oder ob sie es so noch nicht gesagt hat. Und warum.«
Carolin, gefasst, betont jede Silbe, sodass man spürt, wie sehr sie meint, was sie sagt. »Ich meine das sehr ernst. Und das weißt du auch. Das siehst du jeden Abend, wenn wir ins Bett gehen. Ich bin so fertig, dass ich einschlafe, bevor ich richtig liege. Und am Morgen stehe ich auf wie ein Roboter. So gehe ich durch den Tag. Wenn wir abends eingeladen sind, fallen mir die Augen zu, mitten im Gespräch.« Burn-out, sagt der Therapeut, hat auch damit zu tun, dass man dem wildwuchsartigen, nicht geplanten Teil im Leben zu wenig Raum gibt. Der Langsamkeit zum Beispiel, die ein Baby mitbringt. Vielleicht sollten sie öfter mal zulassen, dass Dinge nicht so reibungslos funktionieren, wie sie sollten. Draußen: Schneeregen.
Nils spannt den Schirm auf, zieht Carolin an sich und legt den Arm um ihre Schulter. Er wirkt betroffen und sagt, dass er wirklich nicht gewusst hat, wie es ihr geht. Sie haben für den Abend einen Tisch beim Mexikaner reserviert. Carolin klatscht in die Hände vor Vorfreude: gutes Essen, Kerzenschein, nur sie beide. Sie hat die Gabe, die Welt innerhalb von Sekunden wieder mit anderen Augen zu sehen.
Dienstag, 18. Januar, 19 Uhr bis 19.50 Uhr.
Sitzung Nummer fünf. Nils und Carolin sind um eine Minute vor sieben da. Hamburger lächelt erfreut. Das Paar kam ohne therapeutisches Anliegen, eher neugierig. Jetzt sagen die beiden, dass die Gespräche ihnen wichtig geworden sind. Carolin hat eine Woche lang versucht, sich nicht aufzuregen. »Wenn man das tut, merkt man erst, wie viel Zeit es kostet, sich aufzuregen.« Nils sagt: »Wir haben realisiert, dass Liebe nicht nur ist, einander zu sagen, ich hab dich gern und ich brauche dich. Liebe ist zuzuhören. Zeit miteinander zu verbringen. Einfach zusammenzusein.«
Sie haben eine Adventsfeier gemacht, vierzig Gäste inklusive Kinder. Nils hat Brownies und Butterkuchen mit roter Grütze gebacken, Carolin hat dem Nikolaus von allen guten und schlechten Taten der Kinder berichtet. Sie genießen es, ein gutes Team zu sein. Sie waren zwischen den Jahren mit den Großeltern Ski fahren. Und sie haben die Jahresplanung für 2011 gemacht. »Das hat uns sehr entspannt«, sagt Carolin. Hamburger schüttelt ungläubig den Kopf. »Ist ja toll, was man so aus einem Leben rausholen kann.«
Die meisten Paartherapien dauern lang. Zwanzig Stunden, eher vierzig, und meistens kann man dann erst da anfangen, wo Carolin und Nils angefangen haben. Der Therapeut entlässt sie nach fünf Stunden. Was sie zu einem guten Paar macht? »Sie haben eine Grundfröhlichkeit, einen spielerischen Umgang miteinander«, sagt Hamburger. »Sie haben ein ähnliches Denk- und Handlungstempo, sind belastbar, anpassungsfähig, voller Energie, können blitzschnell Anregungen umsetzen und mit ihrem Humor auch schlechte Tage wegstecken.« Solche Paare, deren Immunsystem so gut ist, dass es Erreger von außen verträgt, sagt Hamburger, sieht er normalerweise nicht in seiner Praxis.
Nils und Carolin haben - und das ist etwas Besonderes, meint er - ihre Paarbeziehung nicht eingebüßt, als sie ihr Baby bekamen. Sie wirken weiterhin sexuell verbunden, während vielen Paaren nach dem ersten Kind die Sexualität abhanden kommt. Dennoch, sagt der Therapeut, sind ihre Belastungen extrem: Sie fordern sich so viel ab, dass sie daran scheitern könnten. Sie verkörpern das Drama des modernen Paares. Das Drama der modernen Familie. Allem gerecht werden wollen. Alles schaffen müssen. Gut sein dabei. »Aber vielleicht sind sie tatsächlich so früh gekommen, dass sie jetzt wissen: Sie müssen auch mal Nein sagen. Nein, sorry, ich kann nicht mehr.«
Nils und Carolin sagen, dass der Therapeut als Schiedsrichter und Übersetzer ihnen gut bekommen ist. Dass er sie zum Nachdenken gebracht hat, zum Innehalten, zum Reden. Und wenn er nun auch noch sagt, dass es zwischen ihnen stimmt, ist das eine sehr schöne Bestätigung für sie, als Paar. Als frisch therapiertes Paar, wenn man so will.
Der Illustrator:
Arne Bellstorf, 31, versetzte sich zum Illustrieren in die Situation von Nils und Carolin. Sein neues Buch handelt übrigens auch von einem Paar: Baby’s in Black erzählt die Geschichte der Fotografin Astrid Kirchherr mit dem Musiker Stuart Sutcliffe.