Ich hatte die Bluse an vielen fröhlichen Mexikanerinnen und auf fast jedem Markt gesehen: kurze Ärmel, Rundhalsausschnitt, bunte Stickereien. Gut, die Baumwolle war etwas steif, aber »das gibt sich ja mit dem Waschen«. Dieser Satz kostete mich zwanzig Dollar. Und dann war da noch der Poncho am vorletzten Tag, gestreift, leuchtende Farben, ich dachte mir schon damals: Der Schlitz für den Kopf ist etwas lieblos verarbeitet, und kratzen tut er auch. Aber notfalls könnte ich ihn ja als Küchenteppich zweckentfremden. Ethno-Style! Ich fragte mich nicht, wie wahrscheinlich es ist, jemals ein Teil anzuziehen, das die Haut reizt und das Zeug zur Auslegeware hätte. Nach Mexiko war fürs Erste Schluss, Einfuhrstopp. Allein, er hielt nicht lange.
Als modisch interessierter Mensch gehe ich über die Märkte und durch die Boutiquen anderer Länder mit einem Entdecker-Blick. Ein textiles Souvenir muss her – ist doch viel besser als naiv bemaltes Steingut, Gips-Tand oder Lebensmittel, die ich nicht heil nach Hause bringe. Etwas wirklich Bleibendes. Ein verwegener Hut, eine knallbunte Tunika – einmalige Stücke, dazu erkoren, sich mit meiner grau-blau-weißen Alltagsgarderobe zu vermählen, ihr Weltläufigkeit zu verleihen. Doch der Mode-Import geht immer schief. Zu Hause im Schrank wirken die Teile wie Bananensaft im Weißbier: ganz und gar fehl am Platz. Gewollte Exotik bewirkt immer ihr Gegenteil. Denkt da mal drüber nach, Sonnenstudio-Betreiber im Gewerbegebiet.
Dabei gehen Designer, das weiß ich aus Modemagazinen, genau so vor: Sie spazieren durch fremde Länder und lassen sich »inspirieren«. Der Berühmteste: Yves Saint Laurent. Seit seinem ersten Besuch in Marrakesch 1966, bei dem er sich in Marokko verliebte, waren seine Entwürfe von seinen Eindrücken dieser für ihn neuen, fremden Welt durchwirkt. Oder der neue Dior-Designer Kim Jones: Er erzählt, wie prägend seine Reisen etwa nach Botswana und Indien für seine Entwürfe waren. Und war nicht vor drei Jahren die »Vyshyvanka« der Sommertrend des Jahres, eine ukrainische Bauerntracht? Warum sollte meiner mexikanischen Folklorebluse nicht das Gleiche widerfahren? Ich werde sie zuerst gehabt haben – also zuerst nach den sechzig Millionen mexikanischen Frauen.
Die Sehnsucht nach einer gewissen Extravaganz im Kleiderschrank rührt von der globalen Modeketten-Langeweile – von Barcelona bis Stockholm kaufen heute die Menschen in den gleichen Läden ihre Kleidung. So wie der Urlaub einen Reisenden kulinarisch aus der Gewohnheit holt (Melonen, Minze, Schafskäse – köstlich, warum macht man diesen Salat nicht mal zu Hause?), so tut er das auch modisch. Im Kleinen klappt das ja. Das im Haar geknotete Tuch: superhübsch. Der geflochtene Ledergürtel vom Markt: steht dem Freund. Aber schon die weiße, nur minimal durchsichtige Leinenhose, zu der man jenen Freund in der französischen Kleinstadtboutique überredet hat, sieht im heimischen Biergarten arg »drüber« aus. Kann man eigentlich nicht bringen, es sei denn, man ist mit einem Boot angereist.
Ihres Kontextes beraubt, funktionieren die Mitbringsel nicht. Genau wie der Limoncello, der auf dem Balkon zu Hause mit Blick aufs Heizkraftwerk auch nicht so schmeckt wie auf den warmen Terrakotta-Fliesen mit dem Stromboli im Hintergrund. Warum verschätzt man sich in diesem Punkt so oft? Man könnte auch fragen: Warum trinkt man im Urlaub schon mittags Alkohol? In den Ferien ist das Vernunftzentrum ausgeschaltet, man ist gnädig mit sich und seinen Entscheidungen. Und zwar zu Recht. Due Tiramisu e un altro Sprizz, per favore, und dann spaziert man heiter und in Spendierhosen an Ständen mit Elefanten-Shirts in Kambodscha und Che-Jacken in Kuba vorbei – und die Hüte, all die Hüte! »Praktisch wäre es ja schon gegen die Sonne«, sagt man sich und tritt an den Verkaufsstand heran, gefolgt von »Eigentlich hab ich kein Hutgesicht«, woraufhin natürlich jeder Verkäufer der Welt sich emsig anschickt, mit all seinen Exponaten den Gegenbeweis zu erbringen. Klar kauft man dann dieses Wunder aus Bast – allein aus Höflichkeit. Also nicht man. Ich. Denken Sie sich an dieser Stelle meinen Blick von meinem Schreibtisch nach oben, zu meinem Schrank, wo drei Sonnenhüte verstauben.
Und dann ist da noch der sonnenmilchgetrübte Blick auf den eigenen Körper: In einer Zeit, in der die Erinnerung an festes Schuhwerk und lange Beinkleider verblasst, sollte man keine Modeentscheidungen fällen, die den ganzen Körper betreffen. Drei Wochen an der frischen Luft, mit nicht viel mehr bekleidet als einem Flatterkleid und Flip-Flops, lassen einen, also mich, nämlich glauben, dieser sonnengeküsste, meeresluftverwöhnte Body habe einen lummeligen Fetzen aus mittelguter Baumwolle, der nicht viel größer ist als Tarzans Lendenschurz, verdient. Ja, er brauche ihn. Und mehr brauche er nicht. Letzter Ausweg: Schlaf-T-Shirt.