Eine europaweite Umfrage mit mehr als 11.000 Befragten aus 28 EU-Staaten hat ergeben, in welcher Beziehungsform die Menschen am zufriedensten mit ihrem Liebesleben sind. Und siehe da, es sind nicht die Menschen in den gerade so viel beschworenen offenen Beziehungen, polyamourösen Verbindungen oder gar die ungebunden Singles, die sich fröhlich durch ihre Nachbarschaft tindern. Nein, es sind die Menschen in monogamen, stabilen Zweierbeziehungen, gern mit Trauschein, die sich mit mehr als 80 Prozent als besonders zufrieden mit ihrem Sexleben bezeichnen. Verbindlichkeit und Verlässlichkeit in Liebesdingen mag vielen spießig und wenig aufregend erscheinen, sie scheint aber nach wie vor für die überwältigende Mehrheit der Menschen der Goldstandard für langfristiges Glück zu sein.
Umso interessanter, dass sich, seit vor zwei Wochen im Bundestag die »Ehe für alle« beschlossen wurde, überall ein unüberhörbares Gemaule erhebt. Die einen finden die Ehe an sich doof, veraltet, reaktionär und überflüssig, und das fällt ihnen zufällig gerade jetzt ein, da Schwule und Lesben endlich auch mitmachen dürfen. Die anderen finden Schwule und Lesben doof und denken, dass es jetzt aber mal langsam reicht mit der Gleichmacherei. Erst der Feminismus, jetzt die Homo-Ehe, ja, wo kommen wir denn hin, wenn alle gleiche Rechte haben?
Dann gibt es noch die AfD, die nun fürchtet, nach der totalen Islamisierung des Abendlandes würden heterosexuelle strammdeutsche Burschen miteinander zwangsverheiratet.
Ignorieren wir das Nahtod-Delirium der AfD und kümmern wir uns um die Ehephobiker und die Homophobiker jedweder politischen Couleur. Diese beiden Gruppen haben auf den ersten Blick nicht viel miteinander gemein, außer vielleicht eine stille Ahnung, dass nun mit der »Ehe für alle« das Unvermeidbare geschehen wird: Die Homos werden das mit der Ehe viel besser hinbekommen als die Heten. Und dadurch die heterosexuelle Ehe in den Schatten stellen beziehungsweise das Heiraten an sich wieder cool machen.
Die Homophobiker kennen Schwule und Lesben ja vor allem aus dem Fernsehen oder ihrer bevorzugten Internet-Porno-Plattform. In ihrer Vorstellung werden die Hochzeiten dieser Klischee-Homos eine Mischung aus Christopher-Street-Day-Parade und Versace-Modenschau, sprich: ein wildes, buntes, kitschiges Gelage, auf dem Menschen, die sich tatsächlich zu Musik bewegen können, enthemmt die Liebe feiern. Wie soll da eine durchschnittliche Heterohochzeit mit verkrampftem Brauttanz, peinlichen Spielen und spießiger Landhaus-Deko noch mithalten können?
Die mit der Eheschließung oft einhergehende Verfettung, Verlotterung und Verjogginghosung der Ehepartner wird unter all den stilvollen Klischee-Friseuren / Floristen / Designern sicher auch nicht stattfinden. Und falls doch, dann nur als Teil eines abgefahrenen Homo-Fetisches, denn das haben die Klischee-Homos aus der Glotze den Heteros ja auch noch voraus: grandiosen, regelmäßigen Sex, mit einem super entspannten Verhältnis zur Monogamie. Wenn wir davon ausgehen, dass jedem Klischee auch ein Funken Wahrheit innewohnt und Homosexuelle naturgemäß klare Vorstellungen von Anatomie und Gebrauch der Klitoris beziehungsweise der Prostata haben, steht einer erfüllten Ehe wirklich nichts im Wege.
Auch die Ehephobiker fürchten nicht ganz zu Unrecht, dass die »Ehe für alle« ihnen die Argumente versaut. Denn je mehr Schwule und Lesben heiraten, umso weniger kann die Ehe als Ausdruck sozialer Zwänge und patriarchaler Strukturen gelten. Homosexuelle sind zwar nach wie vor allen möglichen Diskriminierungen und Stigmatisierungen ausgesetzt, aber im Dorf wird wohl kaum einer die Augenbrauen heben, nur weil Tina und Heike nun schon so lang in »wilder Ehe« zusammenleben. Keine Tante wird beim Sonntagskaffee zu ihrem Neffen sagen: »Jetzt wird’s es aber mal langsam Zeit mit Dir und Thorsten, wie lange wollt ihr denn noch warten? Die Nachbarn fragen schon immer!« Keine gesellschaftliche Norm drängt homosexuelle Paare in die Ehe, niemand erwartet von ihnen zu heiraten, sie entscheiden sich aus freien Stücken dafür, egal ob aus romantischen Erwägungen oder weil sie Adoptionsrechte und Steuervorteile in Anspruch nehmen wollen. Apropos Steuervorteile: Das vermaledeite Ehegattensplitting wird in all seiner Rückständigkeit umso mehr entlarvt, je mehr Schwule und Lesben es in Anspruch nehmen (was sie übrigens auch in einer »eingetragenen Partnerschaft« schon konnten, ist nur kaum jemandem aufgefallen). »So weit kommt’s noch«, werden sich jetzt die sogenannten »Konservativen« sagen, »dass der Staat eine schwule Alleinverdiener-Ehe steuerlich bevorzugt, nur damit einer den ganzen Tag zuhause sitzt und sich die Nägel manikürt, während arme, heterosexuelle Alleinerziehende den vollen Steuersatz zahlen müssen. Her mit dem Familien-splitting! Nieder mit den Eheprivilegien! Schluss mit der Diskriminierung Nichtverheirateter!«
Wenn eine Institution wie die Ehe erstmal von einer kampferprobten Truppe wie den Homosexuellen gekapert wird, gibt es am Ende nur Gewinner: Die Homophobiker werden möglicherweise feststellen, dass sich an ihrem Leben und ihrem Alltag nichts ändert, nur weil Homosexuelle heiraten dürfen. Und die Ehephobiker werden feststellen, dass die »Ehe für alle« der erste Schritt zu einer breiteren Akzeptanz und Gleichstellung aller möglicher Lebens-, Partnerschafts- und Familienformen ist. Dann ist Heiraten einfach das Bekenntnis zweier Menschen, einander in guten wie in schlechten Zeiten in Liebe zur Seite zu stehen sowie Anlass für eine große Party. Fürs Heiraten gelten dann die gleichen Prinzipien wie für eine Orgie: Alles kann, nichts muss. Man kann mitmachen, man kann aber auch einfach nur zuschauen und sich für die anderen freuen.
Illustration: Eugenia Loli