SZ-Magazin: Was haben Sie von den Ausschreitungen in der Stadt mitbekommen?
Mohammed A.*: Ich war nicht dabei, aber die Demonstrationen waren das große Thema in der Arbeit. Eine Kollegin hat erzählt, dass sie bei der Demo der Rechten mitgelaufen ist. Ich hatte das Video gesehen, wo Rechte zwei Ausländer jagen, darum hab ich sie gefragt: »Wieso habt ihr die anderen Ausländer geschlagen? Die haben doch nichts getan.« Sie meinte, es gebe halt solche und solche Demonstranten. Dann hab ich sie gefragt, ob sie auch auf die Straße gehen würde, wenn ein Deutscher jemanden ersticht. Sie meinte nein.
Haben Sie mit der Frau alleine gesprochen oder vor Kollegen?
Die Kollegen haben zugehört, aber keiner hat Fragen gestellt. Mir war es wichtig, dass ich der Kollegin gesagt habe, was ich denke. Den meisten haben die Ausschreitungen nicht gefallen, denke ich. Ein Kollege hat mir gesagt, zwei Männer hätten was getan, die wurden festgenommen, da muss man nicht die ganze Stadt demolieren.
Hatten Sie in Chemnitz schon mal Angst um Ihr Leben?
Ich persönlich nicht. Es gibt aber viele Ausländer, die hier Angst haben. Die Leute sagen böse Sachen zu mir, aber niemand hat mich bisher angefasst. Ich weiß gar nicht, wie man sich verhalten soll, wenn man von Rechten angegriffen wird, ob man dann wegläuft oder sich hinsetzt und es über sich ergehen lässt.
Welche Art Rassismus erleben Sie im Alltag?
In Chemnitz hab ich das Gefühl, die Hälfte der Leute haben ein Problem mit Ausländern. Einmal stand ich an der Bushaltestelle, nur eine Frau und ich haben gewartet. Die Frau ist zuerst eingestiegen, dann hat der Busfahrer vor mir die Tür zugemacht. Ich habe mich beschwert bei den Verkehrsbetrieben, aber da sagte man mir, das wäre bestimmt keine Absicht gewesen. Aber das stimmt nicht, der Busfahrer hat mich direkt angesehen und ist trotzdem weggefahren. Ich werde oft beleidigt, viele Leute schauen unfreundlich, wenn sie mich sehen. Ich habe einen langen Bart, das mögen die Deutschen noch weniger. Nicht alle, aber viele. Ich höre: Du hast hier nichts zu suchen. Eine Frau hat mir mal den Stinkefinger gezeigt, ohne Grund. Sie kannte mich doch gar nicht.
Wie fühlt es sich an, wenn einen andere Menschen grundlos verachten?
Was mich verletzt, ist, wenn ich die Kinder meiner Freundin in den Kindergarten bringe und sich andere Eltern wegdrehen und nicht zurückgrüßen. Ich hab mich oft gefragt, ob es an mir liegt, ich hab dann lauter gegrüßt, aber die wollen nichts hören. Das macht mich traurig. Ich war in Frankfurt, Hamburg, Berlin, da sind die Leute offener, fand ich.
Haben Sie schon mal versucht, mit den Menschen zu reden?
Es gibt eine Frau, die mich immer böse angesehen hat und nie zurückgegrüßt hat. Dann bin ich einmal zu ihr gegangen und habe sie gefragt, warum sie mich nie grüßt. Ich glaube, da hat sie sich geschämt. Ich hab sie gefragt, ob sie Ausländer hasst, sie meinte, nein, nicht alle, nur die, die sich nicht benehmen. Ich hab gefragt: Wie viele kennst du? Sie meinte keinen. Sie sagte, sie würde es ärgern, dass viele Ausländer so teure Kleidung tragen und teure Handys hätten. Da hab ich gesagt, es gibt viele, die arbeiten, aber du siehst nicht auf der Straße, ob sie zur Arbeit gehen. Als ich eine Ausbildung als Mechatroniker gemacht habe und in Arbeitskleidung durch die Stadt gelaufen bin, habe ich gemerkt, dass die Menschen einen anders ansehen. Ich lebe nicht vom Staat, nicht wie ein Bettler. Eine ältere Frau hat mir mal vorgeworfen, ich würde faul sein und von Sozialhilfe leben. Da hab ich ihr meinen Arbeitsausweis gezeigt und gesagt: »Ich zahle deine Rente.« Es gibt viele Leute, die glauben, wenn die Ausländer weg wären, würden sie das Geld bekommen. Viele Rentner und Arbeitslose mit Hartz IV denken so.
Hilft es, wenn man so gut Deutsch spricht wie Sie?
Die Sprache ist sehr wichtig, die Sprache gibt einem Auswege. Reden können, antworten können, das verändert viel. Aber ich kenne nur einen Flüchtling, der so schnell Deutsch gelernt hat wie ich. In der Sprachschule gab es einige, die sich nicht bemüht haben, die haben nicht aufgepasst, sondern ins Handy geschaut im Unterricht. Ich kann es ein bisschen verstehen, wenn Leute Angst haben, wenn man Arabisch spricht. In Chemnitz gab es früher nicht so viele Ausländer, die kamen dann alle in den letzten drei Jahren. Als ich 2015 nach Chemnitz kam, habe ich kaum Ausländer gesehen in der Stadt, dann auf einmal wurden es mehr, das hat man richtig gemerkt.
Wie stehen sie zur AfD, die laut Umfragen in Sachsen derzeit die zweitstärkste Partei ist?
Wenn man das Wahlprogramm liest, steht da viel, was einfach doof ist. Die wollen das Sozialsystem abbauen und das Geld in Militär investieren. Eine Kollegin von mir, die für die AfD ist, hat einen schwulen Sohn. Ich hab ihr gesagt, die AfD ist doch gegen Schwule. Ich schaue oft Nachrichten, auch aus der arabischen Welt. Die Entwicklung in Deutschland erinnert mich an Ägypten, an den Wahlsieg von al-Sisi. Die Leute dort wollten einen starken Mann, der sagt, dass er alle Probleme löst. Aber sie denken nicht nach, was dann passiert, nach der Wahl.
Einer der beiden Männer, die mutmaßlich Daniel H. erstochen haben, war Syrer. Wie denken Sie darüber?
Meine Freundin sagte, sie hatte gehofft, dass es kein Syrer, kein Araber ist. Ich finde, jeder ist für seine Taten selber verantwortlich. Es gibt doch auch Brüder, von denen einer kriminell ist und der andere ein guter Mensch.
Wie wird der Mord, wie werden die Ausschreitungen Chemnitz verändern?
In einer Woche wird das Thema wieder weg sein und jeder sein Leben weiterleben. Die Rechten haben den Tod benutzt, die haben eine Sache gefunden und sich draufgestürzt.
Wollen Sie in Chemnitz bleiben?
Ja. Chemnitz ist eine schöne Stadt, es gibt nur einige Leute, die bekloppt sind.
Was raten Sie Leuten, die Angst haben vor Muslimen?
Man muss den Mut haben, miteinander zu reden. Anfang August hatte ich Geburtstag. In der Arbeit gibt es eine Frau, in einem anderen Team, die hasst mich, weil ich Ausländer bin. Die hat sich beim Chef schon über mich beschwert. Ich habe am Geburtstag meine Freundin gebeten, mir 20 Portionen Eis in die Arbeit zu bringen, es war ein heißer Tag. Ich hab jedem aus meinem Team ein Eis gegeben – und dann habe ich der Frau auch ein Eis gegeben. Die war ganz baff. Dann hat sie das Eis genommen, hat Danke gesagt und gelächelt. Wenn man auf die Leute zugeht, kann man etwas bewirken. Wenn dich jemand hasst und du schaust böse zurück oder beschwerst dich, dann wird es nicht besser. Aber wenn du nett zu ihm bist, das bringt mehr, habe ich gemerkt. Ich geh auf die Leute zu, aber ich bin da die Ausnahme, es machen nicht so viele Flüchtlinge, es sollten mehr machen.
(*Mohammed A. hat darum gebeten, nicht mit vollem Namen genannt zu werden.)