Irgendein amerikanischer Innenarchitekt muss wohl glauben, Millionäre spielten gern Schach. Sie tun es nicht. Zumindest nicht, wenn sie sich gerade in eine der beiden Präsidentensuiten des New Yorker »Four Seasons«-Hotels eingemietet haben. Das Brett zeigt keinerlei Kratzer, der Filz unter den Figuren ist nagelneu. Auch merkwürdige Schubladen für die Figuren sind bloße Dekoration, passend zu dem mit afrikanischem Wengé-Holz ausgelegten Fußboden, zu dem Kamin aus Chios-Marmor und intarsiengeschmückten Türen aus japanischem Eschenholzfurnier, zu geräumigen Clubsesseln und hellen Designersofas. Nur: Wer hat diese Bücher ausgesucht, die wohl niemals gelesen werden? Im Regal stehen die Biografien von Kleopatra, Napoleon und Disraeli. Ferner: Die Geheimnisse der Samurai, eine zweibändige Ausgabe über die Geschichte von Cartier sowie die letzten Kataloge von Sotheby’s. Die allerdings wurden schon einmal durchgeblättert. Warum sollte man auch Schach spielen oder lesen, in Suite 5101, mit Blick Richtung Norden, über den nahen Central Park, auf das American Museum of Natural History und nicht weit daneben das Dakota Building, vor dem John Lennon erschossen wurde? Dieser Blick vom Hudson River auf der linken bis zum East River auf der rechten Seite kostet 15.000 Dollar zuzüglich 13,375 Prozent Steuern die Nacht. Jede Stunde Schach, Lektüre wie auch jede Stunde Schlaf kosten hier 709 Dollar. Die beiden Präsidentensuiten sind dennoch, wie es heißt, zu mehr als 40 Prozent belegt. Zuletzt wurde Suite 5.101 gebucht von »einer Persönlichkeit aus der Regierung der Vereinigten Arabischen Emirate«, wie der Hoteldirektor diskret sagt. Der Premierminister und Emir von Dubai, Scheich Mohammad bin Rashid Al-Maktoum, besitzt mit dem »Jumeirah« am Central Park inzwischen sein eigenes Hotel. Bleibt also allein der Präsident des Obersten Rates und Emir von Abu Dhabi, Scheich Khalifa bin Zayed Al-Nahyan. Nach der UNO-Vollversammlung ist Scheich Khalifa einen Tag früher als vorgesehen aus New York abgereist. Die reservierte Nacht in der Suite muss der fragliche Gast in jedem Fall bezahlen. Das »Four Seasons« liegt an der 57. Straße, zwischen Park und Madison Avenue. Nördlich davon beginnt die Upper East Side, die wohl teuerste Wohngegend der Welt, in der man Quadratmeterpreise bis 30.000 Dollar für Eigentumswohnungen und mehrere Tausend Dollar allein an monatlichen Betriebskosten zahlt. Um die Ecke des »Four Seasons« liegen das hundert Jahre alte »St. Regis« und das zwei Jahre alte »Mandarin Oriental«, gemeinsam sind alle drei die teuersten Hotels in einer der teuersten Städte der Welt. Es ist schon ein merkwürdiges Wettstreiten zwischen den verschiedenen Luxushotels: Die beiden Präsidentensuiten wurden erst letztes Jahr fertiggestellt und blieben dennoch nicht lange die teuersten. Aber der Besitzer hat sich laut Hoteldirektor vorgenommen, einmal das beste und teuerste Hotel der Welt zu besitzen. Deswegen hat er eine weitere Suite aufs Dach bauen lassen. Ab Januar wird nun die Penthouse-suite die teuerste sein, für 30.000 Dollar die Nacht plus Steuern. Fragt sich bloß, wie lange sie diesen Rekord halten wird.
Der aktuelle Besitzer des »Four Seasons« ist schon der dritte seit der Fertigstellung 1993. Er heißt Ty Warner und kommt aus Chicago. Er war nicht Tellerwäscher, aber doch Verkäufer in einem Spielzeugladen, bis er sich selbstständig machte und mit Plüschaffen reich wurde, steinreich. Heute ist Warner Milliardär und besitzt neben dem »Four Seasons« noch vier weitere Hotels im kalifornischen Santa Barbara und auf Hawaii. 100 Millionen Dollar hat er mittlerweile allein in sein New Yorker Haus investiert. In Plasmafernseher, englische Maßmöbel und Marmorbäder mit Badewannen, die in 60 Sekunden volllaufen, mit der zuvor eingestellten Wassertemperatur. Erst dieses Jahr hat Warner eine Dependance des französischen Starkochs Joël Robuchon ins Haus geholt, ein wunderbares Restaurant, in dem das große Mittagsmenü 160 Dollar kostet; Austern und Seeigel werden zweimal die Woche aus Japan eingeflogen. Beaufsichtigt wurden auch die Umbauten für »L’Atelier de Joël Robuchon« wieder von dem weltberühmten Architekten Ieoh Ming Pei. Das »Four Seasons« ist das einzige Hotel geblieben, das der Chinese je entworfen hat, im Jahr 1993, und I. M. Pei ließ es sich kürzlich auch nicht nehmen, einen Blick auf die Renovierungspläne der Präsidenten- und Penthousesuiten zu werfen. Der Architekt lebt nur ein paar Straßen weiter in der Upper East Side. Manchmal, so erzählt der Hoteldirektor Christoph Schmidinger, komme I. M. Pei in seine stadtbekannte drei Stockwerke hohe und terrassenförmig angelegte Lobby, meistens, um bei Robuchon zu essen. Er wolle nun mit dem Leben abschließen, erzählt der 89-Jährige dem Hoteldirektor schon seit ein paar Jahren. Auch die erst 13 Jahre alten Zimmer wurden renoviert, die Präsidentensuiten mit 750 Kilogramm schweren Glasfassaden erweitert, die mit dem Kran über die Fassade in den 51. Stock gezogen wurden, ebenso wie die Bauelemente für die Penthouse-suite. Zwei Gäste haben die Suite bereits Monate vor Fertigstellung reserviert. »Das Geld, das in die drei Suiten investiert wurde, wird nie wieder hereingespielt. Aber die Suiten sind gut fürs Renommee«, sagt Schmidinger. Der Durchschnittspreis pro Zimmer von mehr als tausend Dollar ist der höchste in ganz Nordamerika – und auf diesen Superlativ kommt es wirtschaftlich an. Das »Four Seasons« ist also nicht nur ein Liebhaberobjekt, sein Besitzer Ty Warner verdient auch Geld damit. Zu Anlässen wie einer UNO-Vollversammlung ist das Hotel stets ausgebucht. Politiker aus Südamerika oder Asien trauen sich auch, die Suiten im 51. und 52. Stock zu buchen, europäische Politiker begnügen sich mit dem Standardzimmer oder einer der kleineren Suiten. Neben amerikanischen Prominenten wie Maria Shriver, der Ehefrau von Arnold Schwarzenegger, und Oprah Winfrey bilden Industrielle und Bankmanager das Stammpublikum der teureren Suiten. Den Aufenthaltsrekord im »Four Seasons« hält ein Gast, der sieben Monate blieb. Ein amerikanischer Geschäftsmann. Dustin Hoffman soll es einmal in einem Luxushotel auf Hawaii sogar gelungen sein, einen Monat lang seine Suite nicht zu verlassen. Tagsüber konnte der Schauspieler von seiner Terrasse aus Wale in der Bucht vor dem Hotel beobachten, abends kam ein Koch auf die Suite, um für ihn ein Menü zuzubereiten. Im New Yorker »Four Seasons« war Dustin Hoffman noch nicht, aber der Blick aus den 60 kleineren Suiten in den unteren Stockwerken ist nicht minder kurzweilig: Ein Hochhaus im Osten des »Four Seasons«-Turms liegt mit etwa zweihundert Metern gerade weit genug entfernt, dass sich seine Bewohner nicht beobachtet fühlen und etwa die Jalousien zuziehen, aber nah genug, um das Familienleben von rund einhundert Familien zu studieren. Nur die Penthousesuite bietet einen Panoramablick, über sämtliche Nachbargebäude hinweg auf Downtown im Süden und den Central Park im Norden. Das ist der Blick, für den allein die Menschen aus aller Welt nach New York kommen und im Empire State Building ein paar Straßen weiter südlich viel Geld bezahlen. »Four Seasons Hotel New York«, 57 East 57th Street, Tel. 001/212/758-5700. DZ ab 550 Euro. Anreise z. B. mit Singapore Airlines, täglich ab Frankfurt, ab 390 Euro. Tel. 069/719 52 00. Fotos: Four Seasons New York.