Wiederbeleber

Interviews mit Menschen, die wir gut finden. Diese Woche: Johannes Liess, der ein totes Dorf wieder zum Leben erweckt hat.

Respekt, Herr Liess, Sie haben Lüchow, ein totes Dorf in Mecklenburg, wieder zum Leben erweckt.
Johannes Liess:
Vielen Dank, aber daran waren auch noch andere beteiligt.

Schon. Aber vor fünf Jahren hatte Lüchow vier Einwohner, jetzt sind es 42 –die wären kaum zugezogen, wenn Sie nicht eine Schule gegründet hätten. Wie kam es dazu?
Unsere Familie hatte sich hier ein Ferienhaus gekauft. Uns gefiel es dann so gut in Lüchow, dass wir dachten: warum nicht immer hier leben? Dazu brauchten wir eine Schule für unsere Kinder. Aber die Lehrer an der nächsten Grundschule vertraten eine Pädagogik, die stammte noch aus DDR-Zeiten und gefiel uns nicht. Also suchten wir Gleichgesinnte, um eine eigene Schule zu gründen, mit einem ähnlichen Konzept wie an Waldorf-Schulen.

Wie haben Sie Ihre Mitstreiter gefunden?

Wir haben allen Bekannten von unseren Plänen erzählt und eine Anzeige in der regionalen Zeitung geschaltet. Daraus erwuchs ein harter Kern von zehn Familien. Die Ämter und Behörden bremsten uns allerdings sehr aus. Zum Glück fanden wir Sponsoren und bekamen EU-Fördermittel.

Wie viele Kinder gehen in Lüchow zur Schule?

2006 waren es vier, jetzt sind es vierzig. Viele kommen aus den Nachbardörfern.

Sind Sie nun zufrieden mit Ihrem Dorf?

Die Schule war nur der Anfang: Wir wollen selber Lebensmittel anbauen und bei den umliegenden Bauernhöfen einkaufen. Ein Gästehaus soll entstehen, ein Kindergarten, ein Dorfladen, eine Einrichtung für altersgerechtes Wohnen. Klingt sehr optimistisch.
Wieso? Bei uns sind nur echte, sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse entstanden. Ich selbst beschäftige in meinem Planungsbüro vier Mitarbeiter, alle aus der Umgebung. In der Schule wurden fünf Teilzeit- und acht Vollzeit-Arbeitsplätze geschaffen. Und jedes Jahr ziehen drei bis vier Familien hierher, extra wegen der Schule.

Was unterscheidet Ihr Dorf von anderen alternativen Wohnprojekten gelangweilter Großstädter?

Wir sind keine Kommune, in der man sich aufopfern muss. Wir sind eine gleichberechtigte und gesunde Gemeinschaft, in der jeder für seine Arbeit und sein Leben verantwortlich ist.

Warum engagiert sich ein Architekt wie Sie, der in aller Welt Großprojekte plant, für ein Provinznest?
Wegen der Freiheit: Es gibt hier so viel Nichts, wo man etwas Neues aufbauen kann.

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Der Architekt Joahnnes Liess, 41, lebte in Berlin, Mexiko und Wien, bevor er mit seiner Familie nach Lüchow zog - einem Dorf mit damals vier Einwohnern.

Foto: privat