»Der Yogi soll beständig sich mühen in der Einsamkeit. Allein, bezähmend Sinn und Selbst, nichts hoffend, ohne Besitz.«
6. Kapitel, Vers 10, Bhagawadgita
Halten Sie bitte kurz die Luft an. Nur für ein paar Zeilen. Das tut Ihnen gut, das verändert Ihr Leben. Das macht Sie klüger, schöner und, versprochen, auch reicher. Es geht hier um Ihren Atem und damit um viel mehr. Können Sie noch? Spüren Sie schon den Schwindel im Kopf? So soll es sein. Wenn Sie es schaffen, den Atem zu kontrollieren, haben Sie auch Ihren Geist im Griff. Der Geist ist ein wilder Affe, der ständig entfliehen will. Halten Sie ihn fest. Und jetzt ausatmen: Ommmmmmmm. Üben Sie Yoga, dann wird ein besserer Mensch aus Ihnen. Yoga ist wie Nescafé, eine Prise Spiritualität, ein bisschen Gymnastik, einfach umrühren, fertig. Erleuchtung garantiert!
Der Weg zu »Samadhi«, dem Einssein und Lohn aller Verrenkungen, ist heute meist nur der Aufguss einer Jahrtausende alten Lehre, die »Körper und Geist zur Ruhe bringt«, wie es der indische Weise Patanjali im 2. Jahrhundert v. Chr. in seinen Sutras beschrieb. Von Instant-Wundern allerdings war nicht die Rede, eher vom beschwerlichen Durchschreiten der »acht Pfade«, die zur Befreiung von menschlichen Verwirrungen wie Zorn, Egoismus und Gier führen.
Das mag einem nicht unbedingt gleich ins Auge springen, wenn man das Studio des nach eigenen Angaben größten lebenden Yogameisters in Beverly Hills besucht. »What is Yoga?«, brüllt der leicht untersetzte ältere Herr in sein Headphone und gibt gleich die Antwort: »Shit together.« Bikram Choudhury, der die schütteren Haare wie ein Samurai als Zopf nach oben trägt und nur mit dem Vornamen angesprochen werden möchte, steht nackt vor seiner Klasse, mal abgesehen von dem etwas zu kleinen schwarzen Tanga und der diamantenbesetzten Piaget-Uhr. »Wenn ihr meine Scheiße fressen könnt, dann werdet ihr es eines Tages weit bringen.«
Er selbst ist der beste Beweis dafür. Bikram, dessen Vermögen auf sieben Millionen Dollar geschätzt wird und dessen Sammlung von Bentleys und Rolls-Royce angeblich die des seligen Baghwan in den Schatten stellt, ist der Pionier des kommerziellen Yoga. Es ist ehrliche Fast-Food-Esoterik, die ebenso ehrlich nach den Geschäftsprinzipien von McDonald’s gemanagt wird.
Weltweit gibt es rund 900 Ableger von »Bikram’s Yoga College of India«. In den Siebzigerjahren erfand der in Kalkutta geborene Guru eine Art Sauna-Turnen, bei dem 26 traditionelle Posen in beheizten Räumen bei Temperaturen von bis zu 42 Grad innerhalb von 90 Minuten ausgeführt werden. Die Schwitztheorie, zu deren Anhängern auch Julia Roberts, Barbra Streisand, die Clintons und der allbekannte Madonna-Gatte Guy Ritchie zählen, ist denkbar schlicht: Der Körper sei wie ein Schwamm, so Bikram, und den müsse man zur Reinigung ganz auswringen. Damit die Wirkung auch jedem gleich einleuchtet, sind die Wände verspiegelt im Studio am La Cienega Boulevard in L.A. Seine Methode sei narrensicher, sagt er mit dem unvergleichlichen Singsang, den ein Inder hat, wenn er Englisch spricht: »Bullet proof. Sex proof. Fire proof. Everything proof.« Zum Abschluss der Lektion röhrt der Meister seine Version von My Way ins Mikrofon.
Es ist wohl nur konsequent, dass Bikram das Copyright auf seine Geschäftsidee, die Abfolge der Übungen und sogar seine im Unterricht gesprochenen Worte schützen ließ. Vor ein paar Jahren erhielten mehr als hundert Yogastudios in aller Welt Abmahnungen von den fünf Anwälten des Meisters. Die unabhängige Vereinigung »Open Source Yoga Unity« klagte zwar gegen das absurde Unterfangen, Lizenzgebühren für traditionelles Allgemeingut zu bezahlen. Doch vergeblich, Bikram bekam vor einem Bundesgericht Recht. Die Richterin folgte der Argumentation von Bikrams Anwältin Susan Hollander von der Kanzlei Manatt, Phelps & Phillips: »Yoga ist urheberrechtlich wie Ballett zu betrachten, einerseits gibt es seit Jahrhunderten den ›pas de deux‹ und die ›pliés‹, andererseits ist die Choreografie von Schwanensee einzigartig.«
Wer es seitdem wagt, im Saunastil zu unterrichten, muss büßen. Jeder Verstoß wird mit bis zu 150000 Dollar geahndet. Aufgeschreckt von dem Urteil hat die indische Regierung nun eine Expertenkommission einberufen. Die etwa 1500 Yoga-Posen, von denen die alten Schriften in Sanskrit, Urdu und auf Persisch berichten, sollen nun so schnell wie möglich katalogisiert und patentiert werden.
Yoga ist endgültig zum Big Business geworden. Gurus agieren wie Vorstandsvorsitzende globaler Unternehmen. Bikram ist nicht der Einzige, der auf aggressive Expansion und Franchise setzt wie sonst nur Hamburgerketten oder Coffee-Shops. Beim Verdrängungswettbewerb der vielen konkurrierenden Yogastile spielen auch andere Big Player mit. Etwa der Power-Yoga-Prinz Baron Baptiste, der seine DVDs auf dem Shoppingkanal QVC verkauft, oder die Flow-Yoga-Prinzessin Shiva Rea, die sich in ihren Videos wie Madonna inszeniert und als Venus im Sonnenlicht badet.
Fast-Food-Yoga verkauft sich gut, aber auch das Yoga der Gourmet-Fraktion im Hatha- oder Ashtanga-Stil nach den Lehren der ehrwürdigen indischen Großmeister B.K.S. Iyengar oder Pattabhi Jois boomt. Das Wall Street Journal schätzte den Börsenwert der internationalen Yogaindustrie auf 42 Milliarden Dollar. Nach einer Studie des Yoga Journal geben Amerikaner pro Jahr etwa drei Milliarden Dollar für Yogakurse und Zubehör wie Kleider, Matten, Gurte, Bücher aus. Kein Wunder, dass manch prominenter Lehrer wie ein Popstar lebt und sich an fünfstellige Gehälter gewöhnt hat.
David Swenson, ein populärer Vorturner des Ashtanga-Yoga, das vor allem durch Madonna bekannt wurde, residiert in Texas in einem indisch inspirierten tempelartigen Haus mit Palmengarten, Springbrunnen und gewaltigen Skulpturen von Buddha und des elefantenköpfigen Hindu-Gottes Ganesh. Er gehört zur neuen Generation der Jet-Set-Yogis, ständig im Einsatz als globetrottende Seelenstreichler für verspannte Stars oder Banker, die für eine Woche Privatunterricht in der Ferienvilla in Südfrankreich oder auf der karibischen Insel Mustique mal eben locker 20000 Dollar verdienen. Wie gut Karma und Cash zusammengehen, wusste schon Baghwan, von dem das Mantra stammt: »Jesus saves, Moses invests, Baghwan spends.«
»Leider kenne ich in Deutschland keinen, der sich mit Yoga eine goldene Nase verdient«, sagt Patrick Broome, der zusammen mit Gabriela Bozic drei Center in München betreibt, das schickste in einem umgebauten Loft im Gärtnerplatzviertel. Unterrichtet wird ein präzises modernes Yoga in angenehm räucherstäbchenfreien Ambiente. Der 38-jährige Psychologe und ehemalige Unidozent importierte vor sechs Jahren das »Jivamukti-Yoga« (Jiva = Seele, mukti = befreien) aus den USA nach Deutschland. In seiner New Yorker Zeit im legendären Studio von David Life und Sharon Gannon unterrichtete er auch Sting und Christy Turlington. Broomes Franchise-Unternehmen in München laufen gut, gerade hat er eine Dependance in Berlin eröffnet. An das große Geschäft glaubt er aber nicht. Trotz des Hypes, trotz all der Bücher und DVDs der Ralf Bauers, Ursula Karvens (Yoga für dich und überall) oder Babsi Beckers (Pilates + Yoga).
Im Vergleich zu Amerika ist der Umsatz der Branche hierzulande mit geschätzten 500 Millionen Euro lächerlich klein. Etwa fünf Millionen Deutsche praktizieren Yoga, Tendenz steigend. Broome beobachtet dennoch eine gegenteilige Entwicklung, »es machen gerade viele Läden dicht, die auf den Big-Business-Zug aufspringen wollten«. In den letzten Wochen hätten allein in Berlin sechs Studios aufgegeben. »Gerade hat Cosmoyoga Konkurs angemeldet, das waren riesengroße, luxuriöse Center in Frankfurt und Berlin.« Das große Geld verdienten eher andere, Supermärkte mit Yoga-Grabbeltischen oder Kaffeeröster. »Tchibo wurde mal preisgünstige Yogakleidung aus den Händen gerissen. Jeder zweite Schüler kam damit in meine Stunden.« Broome, der im vergangenen Sommer als Yogatrainer die Spieler der Fußballnationalmannschaft locker machen durfte, ist »froh, wenn er gerade mal schwarze Zahlen schreibt«.
Manchmal hätte Broome gern die Promi-Sorgen seiner Mentoren David Life und Sharon Gannon. Die haben vor ein paar Monaten ein neues Center am Union Square aufgemacht. Dort in New Yorks »Yoga-Alley« gibt es nicht nur die vermutlich höchste Dichte an Yogastudios weltweit, sondern auch den größten Glamour des Verbiegens. »Es kann ein Problem sein, wenn man halb New York einlädt und alle kommen«, beklagte sich Jivamukti-Gründer David Life bei der Eröffnungsparty. Von Sting nebst Gattin Trudie bis zur scheuen Uma Thurman, deren Bruder hier als Lehrer arbeitet, waren tatsächlich alle da.
Einen Widerspruch zwischen Geschäft und Spiritualität sieht Patrick Broome nicht. »Geld verdienen ist okay, wir wollen Profit machen und verdammen das nicht. Spiritualität ist im Westen ein Luxus, den sich meistens nur Menschen leisten können, die einen sorgenfreien finanziellen Hintergrund haben.« Die großen indischen Meister hätten immer wieder gesagt: »Kümmert euch erst mal darum, dass ihr versorgt seid. Nur wer mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht, kann nach oben wachsen.«
Vielleicht muss man aber auch nur lange genug den Yogakopfstand »Sirsasana« üben, um die erstaunliche Umkehrung der Werte richtig zu verstehen. »Wir sind schließlich nicht in Indien, sondern im Westen«, sagt Oberyogi Bikram Choudhury. »Wenn du hier niemanden zur Kasse bittest, glaubt keiner, dass du was kannst.« Friedrich Nietzsche bewunderte noch die freiwillige Körperqual und den Verzicht, die beim alten Typus des Asketen zum Seelenheil führen sollten. »Der Mensch«, schrieb er, »braucht ein Ziel und eher will er noch das Nichts wollen als nicht wollen.« Der Yogi von heute will vor allem reich und relaxed sein. Seine Askese verwandelt sich in die reine Sorge um sich selbst.
Menschen tun seltsame Dinge auf der Suche nach dem großen Etwas. Buddha hungerte, bis er nur noch ein Skelett war, dann hing er kopfüber an einem Ast und stellte sich vor, eine Fledermaus zu sein. Anschließend versuchte er sich als Kuh- und Hundeasket und kroch monatelang auf allen vieren durch den Sumpf. Ein paar hundert Jahre nach ihm setzten sich ein paar junge Männer in die Wüste und meditierten mit einem Stein im Mund, um das Schweigen zu lernen.
Einer, Simeon der Stylit, stand im 4. Jahrhundert n. Chr. jahrzehntelang auf einer Säule, um Gott näher zu sein. Weil der Eremit aber bald von Zehntausenden Pilgern heimgesucht wurde, die sich Heilung erhofften, wenn sie nur eines seiner Haare habhaft werden könnten, baute er täglich sein Podest höher, bis er am Ende unerreichbar und fast haarlos betete. Der Säulenheilige wurde in den Jahrhunderten nach ihm ein Trademark, eine frühe Touristenattraktion, die sich von der Wüste als Mode bis in die Städte verbreitete. Zottelige Männer, die auf Säulen gen Himmel starrten.
Es mussten aber erst rund sechzehnhundert Jahre vergehen, bis einer kam, der den Renditegedanken in dem menschlichen Streben nach höheren Dingen entdeckte. Es war der indische Guru Maharishi Mahesh Yogi, der schon den Beatles in den Sixties das Yoga-Fliegen beibrachte. Wer glücklich ist, predigte er, der ist auch reich. Am Anfang wurde der Meister der transzendentalen Meditation (TM) noch belächelt für die skurrilen Flugübungen, bei der seine Schüler froschähnlich im Schneidersitz über die Matten hüpften. Mittlerweile schwebt der 90-jährige Milliardär als guter Geist über einem ziemlich irdischen Finanzreich in Fairfield, Iowa. Seine Hauptstadt des »Global Country of World Peace« besteht aus einem Regierungssitz mit Notenbank, eigener Währung und Universität.
Seine Anhänger haben in der kleinen, 10000 Seelen zählenden Stadt eine Art Yoga-Wall-Street aufgebaut. TM-geschulte Broker und Vermögensverwalter wachen über Hedgefonds und ein Gesamtvermögen von rund 30 Milliarden Dollar. Regelmäßig versammeln sich die Broker-Jünger auf der Yogamatte und atmen sich reich. Im vergangenen Jahr etwa meditierten 1200 Yogis, um den sogenannten Feldeffekt auszulösen: die Börse nach oben zu treiben. Natürlich kauften sie alle vorher eine Menge Aktien unterbewerteter Unternehmen. Und für TM-Gläubige ebenso natürlich löste die Aktion unmittelbar danach eine gewaltige Kursrally aus.
Worauf warten Sie jetzt eigentlich noch? Ab ins nächste Yogastudio!