Links: Gedeck als Christa-Maria Sieland in "Das Leben der Anderen". Rechts: Gedeck als Ulrike Meinhof in "Der Baader Meinhof Komplex"
Explosionen, Geschrei. Politische Parolen. Noch mehr Geschrei. Verzweifelte Gesichter. Wut. Gewalt. Tod.
Der Film dauert zweieinhalb Stunden, anschließend braucht man einen ziemlich langen Moment, um sich wieder daran zu erinnern, wie die echte Ulrike Meinhof ausgesehen hat. Mehr kann sich ein Schauspieler kaum wünschen.
Aber Martina Gedeck ist sich da nicht ganz sicher. Interviewtermin im hübschen Hinterhof eines Berliner Hotels: Gedeck, deren Namen man übrigens auf der ersten Silbe betont, trägt ein ziemlich mondänes Sommerkleid, dunkelblau, nimmt einen Schluck Mineralwasser und sagt: »Wir wissen ja alle, dass ich gar nicht aussehe wie Ulrike Meinhof. Also muss man sich ein bisschen verkleiden, und das kann auch peinlich werden. Ich finde, das hat immer etwas Unangenehmes.« Sie denkt ihren letzten Worten noch etwas hinterher, das macht sie oft zwischen den Sätzen, dann lacht sie kurz auf, nett, aber auch ein bisschen nervös. Sie sagt: »Man hat in so einem Fall Verantwortung: Wenn man sich der Biografie eines Menschen bedient, der gelebt hat, dann muss man sehr behutsam damit umgehen.« Die Biografie von Ulrike Meinhof, das ist ja vor allem: ein großes Rätsel. Lieder sind über sie geschrieben worden, Gedichte, viele haben versucht zu verstehen, was in dieser Frau vorging, ziemlich vergeblich. Was fällt einem da auf, wenn man sich lang und intensiv auf so eine Rolle vorbereitet? »Dass sie ganz zu Anfang eigentlich eine sehr normale 60er-Jahre-Frau war«, erklärt Martina Gedeck, »mit gestärktem Kleid und Stöckelschuhen, gepflegt und bieder. Eine Frau, die ihren Mann liebte und im ganz einfachen Sinne glücklich war…«
Das macht die Figur Ulrike Meinhof so spannend. Gudrun Ensslin: die verbissene Dogmatikerin. Andreas Baader: der Möchtegern-Zampano. Ulrike Meinhof dagegen: erst eine kritische Journalistin, aber eben auch eine brave, bürgerliche Frau – die dann plötzlich ins Fanatische kippte, als sie ihr Gerechtigkeitsempfinden nicht mehr mit der Gegenwart der BRD in Einklang bringen konnte. Die gebrochenste und deshalb bis heute vielleicht faszinierendste Figur in der ganzen RAF-Geschichte.
Gedeck in "Rossini"
Wenn es um diese Geschichte geht, werden ab sofort Generationen von Schülern das Gesicht von Martina Gedeck vor Augen haben, der Film ist nicht nur das bestimmende Filmthema dieses Herbsts, er wird ganz sicher auch zum Unterrichtsmaterial, genau wie es schon Das Leben der Anderen wurde, der Film, der ein bisschen erklären konnte, was für ein Land die DDR war. In beiden Filmen spielt Martina Gedeck die Hauptrolle. Zuerst die Geschichte aus der DDR, jetzt diese Geschichte aus der alten BRD, sie hätte eigentlich bloß noch bei Eichingers Hitler-Drama Der Untergang dabei sein müssen, dann könnte man jetzt sagen: Ab sofort ist sie die Schauspielerin für die ganz, ganz großen deutschen Vergangenheitsbewältigungsdinger.
Sie selbst muss bei diesem Gedanken lachen: »Nein, nein, nein… Ich kann gut nachvollziehen, dass man Menschen immer gern in so eine Art Übersichtskartei steckt. Aber sehen Sie, ich habe ja auch viele ganz andere Sachen gemacht wie Meine schöne Bescherung, das war eine ganz leichte Weihnachtskomödie. Und nach dem RAF-Film kommt Geliebte Clara ins Kino, da spiele ich Clara Schumann, und da geht’s nun echt nicht um Politik.«
Sie lächelt, dann schaut sie verträumt vor sich hin, als würde sie in Gedanken gerade noch mal die Filme durchgehen, die sie erwähnt hat. Überhaupt, Martina Gedeck im Gespräch: Sie schaut oft ins Nichts, spricht extrem viel mit den Händen, fasst sich ständig ins Gesicht, ist unruhig. Im einen Moment ganz die Künstlerin, die mit demonstrativem Ernst über ihre Arbeit spricht, im nächsten Moment eine Frau mit mädchenhafter Unruhe, die die Frage kaum abwartet und schon nach dem ersten Stichwort losbricht, nach Worten sucht, davongaloppiert. Fahrig, irrlichternd. Wahrscheinlich kein unkomplizierter Mensch.
Gedeck in "Geliebte Clara"
Die vielen Porträts, die schon über sie geschrieben wurden, bejubeln sie als große Schauspielerin, aber sie selbst bleibt da immer fremd, entfernt. Das liegt vor allem daran, dass sie so schlecht in Kategorien passt: Wenn sie gerade zur Diva erklärt werden soll, spielt sie als Nächstes irgend-eine verhuschte Person in einem kleinen unaufgeregten Film; wenn sie gerade zur ätherischen Großkünstlerin überhöht werden soll, dann setzt sie sich am nächsten Tag zu Gottschalk auf die Wetten, dass ..?-Couch und macht gut gelaunt jeden Unsinn mit. Sie kommt selbst schnell auf die »Schubladen« zu sprechen, die sie hasst. Wenn man liest, was sie so in Interviews sagt, dann kommt da raus: Eine Frau versucht, so offen wie möglich zu sein und sich dabei trotzdem so weit wie möglich zu entziehen.
Über ihre Arbeit redet sie mit Leidenschaft, über ihr Privatleben praktisch nie. Man weiß, dass sie als Tochter eines Großhandelskaufmanns in München geboren wurde, in Landshut und Berlin aufgewachsen ist. Dass sie lange Zeit mit dem 24 Jahre älteren Schauspieler Ulrich Wildgruber zusammen war, keine Kinder hat, heute mit dem Schweizer Regisseur Markus Imboden liiert ist und in Berlin lebt. Ihre Karriere dauert fast schon 20 Jahre. Aber trotzdem hat sie sich immer ziemlich rausgehalten. Ihr Lebensgefährte Ulrich Wildgruber ertrank in der Nordsee, man geht von Selbstmord aus, aber sie selbst hat das höchstens ein-, zweimal öffentlich kommentiert, warum sollte sie auch mehr sagen?
Dass sie vorsichtig dosiert, was sie erzählt und was nicht, kommt ihrer Arbeit zugute: Wer zu viel von sich preisgibt, funktioniert irgendwann nicht mehr als Projektionsfläche, und das ist doch das Einzige, worum es gehen kann. Nimmt noch irgendjemand Angelina Jolie ihre Filmrollen ab? Denkt nicht jeder bei ihrem Anblick automatisch nur an die Klatschgeschichten? Wo Martina Gedeck kann, bremst sie scharf: Sie will möglichst vollständige Kontrolle, bis hin zu Detailfragen, zum Beispiel: was für eine Bildunterschrift unter einem Foto von ihr stehen könnte. Sie sagt: »Ich glaube, ich rede offen genug über Persönliches. Nur schreiben viele Journalisten ja sowieso das, was sie eben schreiben wollen.« Sie überlegt, und dann bricht es plötzlich aus ihr hervor: »Es gibt in meinem Beruf durchaus Leute, die oberflächlicher spielen, weniger zu sagen haben und damit erfolgreicher sind als ich. Aber das muss wohl jeder so machen, wie er meint!«
Schwieriges Gelände. Jetzt klingt sie fast ein bisschen biestig. Eigenartig. Dabei hat die Frau absolut alles, was sich eine Schauspielerin in Deutschland wünschen kann: Alle Preise bekommen, von Kollegen und Kritikern geschätzt, nie verliert irgendjemand ein schlechtes Wort über sie. Sie ist eine von den wirklich Großen im deutschen Film. Dabei ist sie weder umwerfend schön noch sagenhaft glamourös, sie ist eher ziemlich normal, aber dafür hat sie dieses Talent: sich jede Rolle völlig zu eigen zu machen. Was auch immer sie spielt, man hat nie den Eindruck, da begibt sich jemand auf glattes Eis, sie ist immer souverän, füllt ihre Rollen so aus, dass man jedes Mal fast ganz naiv denken möchte: Aha, jetzt spielt sie gar nicht, so ist sie einfach wirklich. Wenn eine das immer schafft: Dann ist sie fantastisch.
Gedeck in "Bella Martha"
Martina Gedeck mag ihre Arbeit, den ganzen Rest nimmt sie eher so in Kauf, scheint es. Könnte also sein, dass es jetzt gerade anstrengend wird für sie. Jetzt muss sie eben genau Star sein. Weil Der Baader Meinhof Komplex nicht nur einfach ein Film sein darf, sondern ein Ereignis werden soll, werden muss. Er besteht ja praktisch nur aus Superlativen: der Bestseller von Stefan Aust, verfilmt von Uli Edel, produziert von Bernd Eichinger, Drehbuch von Eichinger und Aust – die komplette Geschichte der RAF, mit erschöpfend vielen Stars (Moritz Bleibtreu, Johanna Wokalek, Bruno Ganz, Jan Josef Liefers, Alexandra Maria Lara, Heino Ferch, Nadja Uhl, Hannah Herzsprung, Stipe Erceg, Tom Schilling, Jasmin Tabatabai), da wird Großes, wenn nicht Größtes gewollt, eine unglaubliche Fleißarbeit, die die Ereignisse vom Deutschland-Besuch des Schahs 1967 bis zum Selbstmord der Stammheim-Häftlinge 1977 ultra-gründlich und mit viel Wucht nachzeichnet. Und mittendrin: sie, Martina Gedeck.
Also rote Teppiche, noch mehr Interviews, TV-Termine. Jede Talkshow-Redaktion will sie jetzt als Gast, sie zuckt mit den Schultern und murmelt: »Kann sein. Aber das mach ich nicht.« Bei Anne Will saß sie dann doch. Aber immerhin, sie sagt, sie will sich nicht als Expertin aufspielen. »Die Frage ist doch: Was gibt man Leuten mit, die sich diesen Film ansehen? Ich hoffe: vor allem die Erkenntnis, dass in diesen Menschen damals auch ein großes Leiden war. Dass die nicht nur fanatisch waren, sondern auch etwas sehr Zerrissenes hatten und ahnten, dass da was schiefläuft.«
1976 brachte sich Ulrike Meinhof im Gefängnis von Stammheim um, 32 Jahre ist das jetzt schon her. Gedeck erklärt: »Sie war ein Mensch, der es sich nicht leicht gemacht hat. Sie ist zerbrochen, woran auch immer, ob an sich selbst oder den Verhältnissen. Man sollte sich nicht über sie und die anderen erheben.«
Sie sagt das und wischt sich noch einmal mit der Hand durchs Gesicht, denkt ihrem Satz hinterher, nickt leicht. Dann schweigt sie. Wie hat noch mal die echte Ulrike Meinhof ausgesehen?
MARTINA GEDECK, Jahrgang 1961, arbeitet seit Mitte der Achtzigerjahre für Film, Fernsehen und Theater. Die gebürtige Münchnerin beeindruckte in großen historischen Filmen ebenso wie als Darstellerin in Komödien. Nach vielen kleineren Rollen (u. a. in »Der bewegte Mann« und »Stadtgespräch«) wurde ihr Gesicht vor allem durch ihren Auftritt in »Rossini« bekannt. Ein großer Erfolg war die Küchenkomödie »Bella Martha«. Im Dezember wird sie als »Geliebte Clara« zu sehen sein. »Der Baader Meinhof Komplex« ist letzte Woche in die deutschen Kinos gekommen.