SZ-Magazin: Essen Sie gern Suppe?
Stian Korntved Ruud: Es geht so, ehrlich gesagt.
Dann müssen Sie als Kind viel Michel aus Lönneberga gelesen haben.
Sie meinen, weil er so viel geschnitzt hat? Ja, habe ich. Und vielleicht war Emil, wie er bei uns heißt, wirklich so eine Art frühkindliches Vorbild für mich und mein Projekt »The daily spoon«. Aber viel wichtiger war, dass ich als Kind fast ausschließlich im Wald gespielt habe und immer ein Messer dabeihatte. Mein Opa war Schreiner, die Liebe zum Holz liegt in der Familie. Ich finde am Schnitzen so toll, dass man damit Holz ein neues Leben gibt, eine neue Funktion.
Und warum jeden Tag einen Löffel?
Ich hatte mir ein japanisches Besteck gekauft, und da war kein Löffel dabei, daher schnitzte ich mir einen. Ich war sofort fasziniert von der Form. Ein Löffel ist ein sehr einfaches, funktionales Werkzeug, das mit seinem konvexen und konkaven Teil gleichzeitig sehr raffiniert ist. Nachdem ich 25 Löffel geschnitzt hatte, dachte ich, dass das eine schöne tägliche Übung sein könnte. Und so nahm ich mir vor, ein Jahr lang jeden Tag eine neue Form zu entwickeln und mehr über Holz zu lernen.
Im Mai war dieses Jahr zu Ende. Was haben Sie denn dabei gelernt?
Dass es genau die Art von Arbeit ist, die ich mir immer gewünscht habe. Ich will natürlich nicht mein Leben lang Löffel machen, aber diese enge Beziehung zum Material, die Handwerkskunst und das Immer-besser-Werden beim Schnitzen – das erfüllt mich.
Können Sie Ihre Liebe zum Holz genauer beschreiben?
Es ist organisch, nachhaltig, warm. Ich sammle schon lange verschiedene Hölzer. Ich habe eine große Kiste, da sind Hölzer aus der ganzen Welt drin, auch einige seltene von meinem Großvater. Eine Moor- eiche zum Beispiel, die über Jahrhunderte in einem Sumpf gelegen hat und schon zum Teil fossiliert ist.
Der Geschmack beim Essen hängt von der Größe des Löffels ab, zum Beispiel wird Joghurt mit einem Teelöffel als süßer wahrgenommen, haben Wissenschaftler der Universität Oxford herausgefunden. Welchen Einfluss hat das Holz auf den Geschmack?
Einen großen. Bestimmte Hölzer duften sehr intensiv, Wacholderstrauch-Holz zum Beispiel. Apfelbaumholz schmeckt sehr sauer, das muss man vorher behandeln, sonst kann man es als Löffel nicht verwenden.
Der Designer Philippe Starck kam spät in seiner Karriere zu dem Fazit, es sei komplett nutzlos und unwichtig, Alltagsgegenstände zu designen. Was treibt Sie an?
Ich sehe mich nicht als Designer, der die Welt mit einer Zitruspresse verändern möchte. Ich wollte den Löffel auch nicht verbessern, sondern meinen Blick darauf schärfen und überlegen, was ein Löffel alles sein kann. Zum Beispiel ein Instrument der Interaktion. Das europäische Besteck, wie wir es kennen, ist eher asozial.
Man hat sein Tischset, darauf ein Teller mit Besteck, das an Waffen erinnert: ein abgegrenzter Bereich, der ruft: »Nimm mir nicht mein Essen weg!«
Genau. Schauen Sie sich das asiatische Essbesteck an: Stäbchen sind viel sozialer, mit ihnen kann man über größere Distanzen in Schalen piken. Man kann auch andere probieren lassen, das Stäbchen kommt kaum mit dem Mund in Berührung. Daher habe ich auch Löffel für zwei Personen oder Löffel mit extralangen Stielen entworfen, mit denen man super teilen kann. Bei 365 Exemplaren war ich einfach gezwungen, außerhalb meiner Vorstellungskraft zu denken.
Besteck aus Metall setzte sich erst im 16. Jahrhundert durch, als die Schwertschmiede nach der Erfindung der Schusswaffen arbeitslos wurden und umsattelten. Besitzen Sie überhaupt ein klassisches mehrteiliges Besteckset, oder ist Ihnen das zu spießig?
Ich besitze ein dänisches Stahlset von Arne Jacobsen, das aus dem Kubrick-Film 2001: Odyssee im Weltraum. Ich mag es, weil es ein tolles Design hat und trotzdem funktional ist.
Warum entwerfen so viele berühmte Designer Besteck und Toiletten?
Ich nehme an, weil Messer, Gabeln und Löffel höchst intime Gegenstände sind, die jeder täglich benutzt. Vielleicht wundern sich die Designer auch, dass Sternerestaurants so wenig Wert auf Besteck legen. Sie bereiten spektakuläre Gerichte und individuelle Kreationen zu, aber das Besteck und die Teller sind meistens Massenware. Woher das mit den Toiletten kommt, kann ich mir auch nicht erklären.
Gerade gibt es ein Wiederaufleben traditioneller Herstellungsmethoden. Warum ist die Faszination am Handgemachten so groß?
Das Bewusstsein für Nachhaltigkeit ist gestiegen. Außerdem lieben die Leute es, wenn die Dinge, die sie kaufen, eine Geschichte haben. Sie geben dann besser acht auf diesen Gegenstand. Beim Handwerk entsteht eine Beziehung zwischen dem Erzeuger und dem Besitzer. Es ist fast so, als würde der Geist des Erschaffers dann in dem Objekt wohnen.
Besteck soll sozial sein: Stian Korntved Ruud, 26, norwegischer Designer.
Fotos: Stian Korntved Ruud