Ein bisschen Gras muss sein

Naturheilkundler empfehlen alle möglichen Kräuter. Kann ja nicht schaden. Aber auch kaum helfen: Die meisten sind leider ziemlich wirkungslos.

Bedingt abwehrbereit: Zistrose-Kapseln gegen Grippe
Mit Bonbons grippale Infekte einfach weglutschen ­ das klingt verlockend.Tatsächlich sind die Blätterextrakte der graubehaarten Zistrose (Cistus incanus) vielversprechend: In Tierstudien zeigt sich, dass bestimmte Gerbstoffverbindungen der Pflanze Grippeviren verhüllen und ihnen den Weg in die Körperzellen erschweren können. Ob die pflanzlichen Extrakte allerdings beim Menschen wirklich gegen Grippe helfen, ist bislang noch unklar und wird daher untersucht. Dennoch bietet der Markt schon jetzt Nahrungsergänzungsmittel mit fragwürdigen Namen wie »Abwehr-Kapseln« an.

Zwei Argumente sprechen klar gegen solche Produkte: Lebensmittel sind keine Arzneimittel. Hinweise auf eine vorbeugende Wirkung gegen Krankheiten sind für sie verboten. Wichtig ist außerdem: Nur ein speziell hergestellter Extrakt kann helfen, und zwar über die Schleimhäute. Der Weg über den Magen ist wirkungslos. Gegen Entzündungen im Rachenraum gibt es bereits zugelassene Medizinprodukte auf Cistus-Basis ­ zum Lutschen, Gurgeln oder Inhalieren.
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Ginkgo-Aufguss für geistige Fitness? Kann man vergessen
Die fächerförmigen Blätter gelten unter Naturheilkundlern als Sinnbild für geistige Fitness. Und zahlreiche Studien sprechen dafür, dass die Inhaltsstoffe des Ginkgo dem Gedächtnis auf die Sprünge helfen. Skeptisch sieht Meike Krzywon vom Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker (ZL) allerdings die Gingko-Teemischungen, die einige Lebensmittelhersteller anbieten. Sie umgehen damit die hohen Hürden der Arzneimittelzulassung und profitieren dennoch vom guten Ruf der Pflanze.

Ob die Aufgüsse mit ihren geringen Ginkgomengen tatsächlich wirken, ist fraglich. Dafür fanden die Wissenschaftler des ZL Ginkgolsäure im Blätterextrakt: eine Substanz mit hohem Allergiepotenzial, schädlich für Nervenzellen und Erbgut. Bevor ein Ginkgo-Medikament in die Apotheken kommt, wird dieser Inhaltsstoff entfernt.
Bei den Teeaufgüssen: Fehlanzeige. Die neun getesteten Tees schwankten deutlich im Gehalt und enthielten gesundheitsbedenkliche Mengen Ginkgolsäure, so das ZL. Bereits mit einer Tasse ist die zulässige Tagesdosis 40- bis 80-fach überschritten.

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Sojabohnen gegen die Launen des Körpers? Nicht so prickelnd
Hitzewallungen und depressive Verstimmungen ­ Frauen kennen dies häufig als Begleiter in den Wechseljahren. Eine Hormontherapie ist für viele kein Thema, sie vertrauen lieber auf die Kraft der Natur. Inhaltsstoffe aus der Sojabohne, die Isoflavone, sollen eine rein pflanzliche Hilfe gegen die Launen des Körpers sein. Die Idee stammt aus Asien: Dort leiden die Frauen seltener unter Wechseljahresbeschwerden. Dass dies allerdings allein die sojareiche Kost der Asiatinnen bewirkt, ist fraglich.

Der Markt hat jedoch die Wissenschaft längst überholt, denn unzählige Produkte werben für isolierte Isoflavone in Kapselform. Mehr noch als der fehlende Wirknachweis beunruhigen die toxikologischen Daten zu den Extrakten: Studien zeigen, dass hoch dosierte Isoflavone in isolierter Form die Funktion der Schilddrüse beeinträchtigen und das Brustdrüsengewebe verändern können. Das Bundesinstitut für Risikobewertung rät daher vor der längerfristigen Einnahme entsprechender Produkte ab.

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Süßholzwurzel gegen Husten? Es bleibt ein bitterer Nachgeschmack
Ob zu Lakritze verarbeitet oder als Tee ­ die einen lieben den süßlich-würzigen, teilweise bitteren Saft der Süßholzwurzel, andere schaudert schon beim Gedanke daran. Verantwortlich für den charakteristischen Geschmack ist Glycyrrhizinsäure. Im Körper abgebaut, kann diese Substanz aber noch mehr: Sie hemmt ein Schlüsselenzym im Mineralstoffhaushalt. Deswegen wirkt Süßholz anregend. Glycyrrhizinsäure kann aber auch zu Bluthochdruck führen. Süßholz wurde schon in der Antike als Heilmittel verwendet.

Die chinesische Medizin schätzt es heute als Standardheilmittel und auch in unseren Breiten hat es sich als traditionell angewandtes Arzneimittel gegen Magenbeschwerden, Husten und Heiserkeit verdient gemacht ­ eine umsichtige Anwendung vorausgesetzt: Denn vor allem für Bluthochdruckpatienten kann zu viel des Guten ein Gesundheitsrisiko sein. Süßholzreiche Lebensmittel müssen aus diesem Grund den Warnhinweis tragen: »Enthält Lakritz ‹ bei hohem Blutdruck sollte ein übermäßiger Verzehr vermieden werden.«

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Cranberrysaft für eine gesunde Blase? Besser warm anziehen
Mit Cranberrysaft die Blase zu stärken soll eine erfrischende Variante gegen schmerzhafte Harnwegsinfektionen sein. Ist das Organ zu schwach, haben Bakterien ein leichtes Spiel. Und haben sie sich erst mal ausgebreitet, helfen meist nur noch Antibiotika. Die Cranberry, auch Moos- oder Kranichbeere genannt, nutzten die frühen Siedler Nordamerikas dank ihres hohen Vitamin-C-Gehaltes gegen Skorbut. Heute stehen die Gerbsäuren der roten Beeren im Mittelpunkt: Die hochpolymeren Naturstoffe, die Proanthocyanidine, sollen das Andocken bestimmter Bakterien an die Schleimhautzellen des Harnwegs hemmen und so Infektionen unterbinden können.

Eine blasenstärkende Wirkung von Cranberrysaft bestätigte die französische Lebensmittelsicherheitsbehörde Afssa bereits 2004. Allerdings sind dazu täglich mindestens 36 Milligramm der Pflanzenstoffe nötig, was etwa 200 Milliliter Saft entspricht. Mehr als eine unterstützende Wirkung kann man jedoch nicht erwarten. Warm anziehen schützt immer noch am besten vor Blasenentzündungen.

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Noni - Ein fragwürdiger Saft
Die Früchte des Indischen Maulbeerbaumes riechen streng nach ranzigem Käse. Ihr Saft verspricht dafür mehr Wohlbefinden und sogar Hilfe bei zahlreichen Krankheiten. Ob Bluthochdruck, Arthritis oder Krebserkrankungen, Noni-Saft werden Heilkräfte zugeschrieben, die man nur von Medikamenten erwartet. Genau hier liegt das Problem: Der Saft ist ein Lebensmittel und darf nicht mit Heilsversprechungen beworben werden. Auch die gesundheitsfördernde Wirkung ist wissenschaftlich nicht belegt.

Der zwischenzeitlich geäußerte Verdacht, dass Noni-Saft akute Leberentzündungen verursacht, ließ sich nicht bestätigen. Dennoch scheint die Leber mancher Menschen sensibel auf Noni-Früchte zu reagieren, so die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit. Zwar sind Saft und mittlerweile getrocknete Blätter - zur Zubereitung von trinkbaren Aufgüssen - zugelassen. Vor Produkten wie Noni-Kapseln, die über das Internet vertrieben werden, warnt das Bundesinstitut für Risikoforschung dennoch. Sie sind bislang weder gesundheitlich bewertet noch zugelassen.

Gefährliches Kraut - Ephedra
Ein Tee, der den Appetit zügelt, überschüssiges Körperfett schmelzen lässt und stattdessen beim Muskelaufbau hilft, klingt verlockend. Sogar Heuschnupfen-Patienten verspricht der Kräuterauszug Allergiefreiheit. Dass die schachtelhalmähnliche Pflanze Ephedra, auch als Meerträubel bekannt, mit Vorsicht zu genießen ist, zeigt ein Blick ins Heilkräuterlexikon. Denn: Das Gewächs enthält die gleichnamige Substanz Ephedrin, die wie körpereigenes Adrenalin wirkt. Die chinesische Medizin kennt und nutzt Ephedra seit mehreren tausend Jahren.

Ein harmloser Kräutertee ist Ephedra deswegen noch lange nicht, das verdeutlichen die möglichen Nebenwirkungen: Nervosität, Zittern, Schweißausbrüche, Herzrhythmusstörungen bis hin zu Krampfanfällen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte warnte bereits vor ephedrahaltigen Nahrungsergänzungsmitteln und Tees, nachdem es in den USA zu Todesfällen gekommen war. Zu Recht fällt Ephedra unter das Arzneimittelgesetz. Über das Internet wird es aber illegalerweise vertrieben.

Süß, süßer - Stevia
Das Honigkraut läuft selbst Zucker den Rang ab. Bis zu dreihundert Mal süßer ist der Blatt-Inhaltsstoff Steviosid. Die Vorteile der Zuckeralternative klingen überzeugend: Null Kalorien und keine Kariesgefahr. Obwohl paraguayanische Indianer ihren Tee mit dem Kraut süßen, wollen die europäischen Behörden Steviosid in Lebensmitteln nicht zulassen: Unklar ist, ob Gesundheitsschäden drohen.

Immerhin nutzen es Naturvölker als Männer-Kontrazeptivum. Auch Ratten, die ein fünfprozentiges Extrakt bekamen, blieben bis zu zwei Monate unfruchtbar. Ausreichende Belege, wie Steviosid im Körper wirkt, fehlen. Widersprüchliche Ergebnisse verhinderten bislang die Zulassung. Grünes Licht für Stevia als Süßstoff in Brause gab nun die Schweiz. Sie beruft sich auf die Beurteilung des internationalen Ausschusses für Lebensmittelzusatzstoffe JECFA. In Deutschland bieten Reformhäuser Steviakraut oder -pulver als Badezusatz an; daneben stehen manchmal Stevia-Kochbücher. Ähnliche Angebote bietet das Internet. Auf ihre Sicherheit als Lebensmittel sind die Produkte nicht geprüft.

Zweifelhafte Kraft - Macapulver
Viagra der Natur und Testosteronbooster sind nur zwei Werbebotschaften, die die unscheinbare Knolle aus Südamerika anpreisen. Die Maca-Wurzel soll demnach Potenz und Fruchtbarkeit, sportliche und geistige Leistung steigern - auf „natürliche" Weise. Dass die Knolle in den peruanischen Anden als Lebensmittel dient und die dortige Volksmedizin sie in getrockneter Form als Aphrodisiakum nutzt, propagiert Unbedenklichkeit. Dennoch konnten wissenschaftliche Studien die Kraft der Maca-Wurzel nicht belegen, berichtet die Deutsche Lebensmittel-Rundschau. Tierstudien geben lediglich Hinweise, dass ihre Inhaltsstoffe möglicherweise den Körper anregen, Sexualhormone zu bilden. Unklar ist nämlich, welche Substanzen überhaupt wirken. Das betrifft genauso die Nebenwirkungen: Man weiß nicht, wie die hormonähnlichen Inhaltsstoffe den menschlichen Hormonhaushalt beeinflussen. Zudem zeigen Studien, dass hohe Dosen des Maca-Pulvers ein wichtiges Enzym im Herz- und Skelettmuskel hemmen.

Pflanzenstoffe gegen Blutfett - Phytosterine
Wer mit erhöhtem Cholesterinspiegel lebt, ist anfälliger für Herz-Kreislauferkrankungen. Arzneimittel gegen ungesunde Blutfettwerte gibt es viele, fast genauso zahlreich sind ihre Nebenwirkungen. Schützenhilfe bieten Margarine, Käse, Sojadrink oder Roggenbrot, angereichert mit Phytosterinen. Der Trick: Phytosterine ähneln ihrem tierischen Verwandten, dem Cholesterin. Im Körper wirken sie jedoch als Gegenspieler - so wird weniger Cholesterin aus der Nahrung aufgenommen. Mit täglich rund zwei Gramm der pflanzlichen Ersatzstoffe sinkt der erhöhte Cholesterinspiegel um bis 15 Prozent - mehr jedoch nicht.

Aber nur Menschen mit nachweislich erhöhtem Blutfett profitieren von den neuartigen Produkten. Für Kinder, Schwangere und Stillende sind sie tabu. Ein Grund: Phytosterine können die Aufnahme von Provitamin A hemmen. Darauf wird zwar auf der Verpackung hingewiesen, doch überlesen viele Verbraucher diese wichtige Information, wie eine Studie des Bundesinstituts für Risikobewertung von 2007 zeigt.

Artwork: Sarah Illenberger