Ich gebe meine Hemden in die Reinigung. Lange Jahre war mir so etwas unvorstellbar – ich habe schlechterdings nicht an die Möglichkeit gedacht. Ganz zu schweigen davon, dass man anfangs ja gar nichts besitzt, was dorthin gehört.
Während der größeren Teile meines Lebens hätte ich nicht mal sagen können, wo die nächste Reinigung liegt. Die Dinger fielen im Straßenbild ebenso wenig auf wie Reformhäuser und Läden für Orthopädiebedarf. Bei Reinigungen kommt erschwerend hinzu, dass nicht mal ganz klar ist, was man für sein Geld eigentlich bekommt. Man bringt Hemden (mit etwas Dreck) hin und holt ein paar Tage später Hemden (ohne Dreck) wieder ab. Man kriegt also weniger zurück, als man hingebracht hat. Hinzugekommen ist dagegen ein immaterielles Gut: Ordnung. Die Hemden sind glattgebügelt. Im besten Fall sehen sie aus wie neu. Was man kauft, ist eine Art Jungbrunnen, ein momentanes Zurückdrehen der Zeit. Man kauft die Illusion, der zweite Hauptsatz der Thermodynamik, nach dem alles immer hässlicher und zerknitterter wird, ließe sich umkehren. Eine gute Reinigung hebt für Momente die Entropie auf und spendet Trost und Zuversicht. Die Besucherzahlen in Gottesdiensten nehmen seit Jahren ab, die Besucherzahlen von Reinigungen nehmen stetig zu. Denken Sie mal darüber nach. Auf diese Weise hätte mein Leben für alle Zeiten weitergehen können: Hemden hin, Hemden zurück, Frohsinn. Dann kam die Sache mit den Kleiderbügeln.
Im Kampf gegen Nutzgegenstände wird sich der Mensch oft seiner Machtlosigkeit bewusst.
Denn eine Kleinigkeit Materie erhält man in der Reinigung eben doch: einen seltsamen Draht, zu einer Triangel gebogen und oben verdreht, eine rudimentäre Brezn, nur weniger lecker. Jedes Hemd hängt an einem solchen Teil, man trägt es daran nach Hause, packt alles in den Schrank und vergisst die ganze Angelegenheit. Allzu leicht schenkt man dem Drahtgeflecht keine weitere Beachtung, weil es so unbedeutend scheint.
Dann kam ein Brückentag. Vor allen anderen Erledigungen wollte ich kurz zur Reinigung und dachte: Pack bei der Gelegenheit doch mal die alten Kleiderbügel ein. Es ist so: Jeden Morgen nach dem Hemdanziehen werfe ich den leeren Bügel in ein Fach meines Kleiderschranks, um irgendwann mal alle zusammen zurück in die Reinigung zu bringen, wo neue Hemden daran aufgehängt werden können. Nachhaltigkeit ist ein kostbares Gut.
Wenn ich eben sagte, dass es ein Fach für ausgediente Bügel gibt, beschreibt das die Situation nicht präzise. Wir wohnen seit fünf Jahren in München. Mir war nicht klar gewesen, dass ich in dieser Zeit noch kein einziges Mal alte Bügel zurückgebracht hatte. Das erste Fach war längst gefüllt, offenbar hatte ich mich in meiner schlaftrunkenen Morgenroutine längst neuen Fächern zugewandt, die nun ebenfalls von Kleiderbügeln überquollen. Das alles nahm, wie ich feststellen musste, die Hälfte meines Kleiderschranks in Beschlag.
Ich nahm den obersten Bügel heraus. Das ging leicht. Der zweite Bügel verhakte sich ein wenig. Ich ruckelte daran, um ihn zu lösen. Das war, wie sich im Weiteren herausstellte, kein guter Einfall.
Die ersten Kleiderbügel kamen im 16. Jahrhundert in Mitteleuropa auf und fanden rasche Verbreitung. Anfangs dienten sie vor allem dazu, die wertvolle Kleidung in ausreichendem Abstand zu Mäusen und anderen Kleinnagern zu halten. Waren die Bügel anfangs aus Holz gefertigt, traten in der Mitte des 19. Jahrhunderts Modelle aus Draht hinzu, zunächst in abenteuerlicher Bauweise. So blieb das bis 1903, bis zur Kleiderbügelrevolution. An einem Morgen dieses Jahres fand Albert J. Parkhouse, ein Angestellter der Timberlake Wire and Novelty Company in Michigan, keinen freien Haken für seinen Mantel. Der Legende nach bog er sich aus herumliegendem Draht eine einfache Halterung und verdrillte die Enden. Was waren das für Zeiten, in denen es Unternehmen wie die Timberlake Wire and Novelty Company gab, wo so etwas möglich war? Wohin sind sie verschwunden? Parkhouses Chef jedenfalls meldete die Sache zum Patent an, um die industrielle Fertigung für den Massenmarkt aufzunehmen. Er machte ein Vermögen. Parkhouse ging leer aus. Von dieser Stelle aus ein dankbarer Gruß an ihn.
Wobei: dankbar? Das Gestaltungsprinzip seiner Erfindung ist simpel, aber nicht ohne Tücken. Während der größere Teil der Bügelschleife unter topologischen Gesichtspunkten einfach einen geschlossenen Kreis bildet, steht am oberen Ende ein gebogener Haken heraus, mit dem man den Bügel an die Kleiderstange hängt. Dieser Haken muss bis zum Beweis des Gegenteils als Erfindung des Teufels angesehen werden. Selbst wenn man ihn irgendwann aus seinem natürlichen Habitat – der Verhakung – gelöst hat und zur Seite legt, krallt er sich sofort an anderer Stelle fest.
Man könnte meinen, es sei dann eine Lösung, die Arme zu Hilfe zu nehmen. Täuschen Sie sich nicht. Das heißt, der linke geht noch, irgendwie muss man ja Übersicht in die Angelegenheit bringen, also fädelt man sich die befreiten Bügel einen nach dem anderen auf den Arm wie die Freundschaftsbänder der Jugend. Und stellt fest, dass Kleiderbügel deutlich schwerer sind als Freundschaft. Irgendwann ist der linke Arm voll, sodass man mühsam beginnt, den rechten zu füllen. Dann aber ist auch dort kein Platz mehr. Und nun? Um es mit einer Indianerweisheit zu sagen: Erst wenn der letzte Bügel auf den letzten Arm gesteckt ist, werdet ihr merken, dass kein Arm mehr übrig ist. Das ist der Moment, wenn die Verzweiflung einschlägt wie ein Brückentag. Sie lässt einen Dinge tun, die man später bereut. Um nur eine Möglichkeit zu nennen: Man könnte die ganzen aufgefädelten Bügel in einem Akt des Aufbegehrens und des Widerstands gegen die herrschenden Verhältnisse von sich schleudern. Dies ist keine ausgesprochen reife Entscheidung. Die Bügel jedenfalls jubilieren und verhaken sich fester denn je. Also beginnt man von vorn, wobei das einsetzende Zittern keine Hilfe darstellt.
Um die Sache kurz zu machen: Wer versucht, Kleiderbügel zu ordnen, muss feststellen, dass Ordnung und Bügel ihrem Wesen nach nicht zusammen gedacht werden können. Wenn Reinigungen den Wärmetod des Universums aufhalten, sind Kleiderbügel ein Glutofen der Entropie. Sie machen sich keine Vorstellung davon, wie rasch man beim Sortieren von Kleiderbügeln auf dem Fußboden endet, hingestreckt, kleine, sinnlose Jauchzer der Ohnmacht ausstoßend, über und über in Draht gefesselt, verstrickt, gefangen wie im Inneren eines unlösbaren Mikadospiels. Wir müssen uns das Labyrinth des Minotaurus aus Kleiderbügeln gebaut vorstellen.
So kauert man da, unentwirrbarer Teil des Problems, alles an einem ist Haken und Draht und Verkettung. Eine Lösung ist nicht in Sicht. Diesen Text schreibe ich mit den Füßen, was mühsam ist, aber möglich. Zeit genug ist ja. Immerhin ist Brückentag.