Diana Krall, für Ihr Album Glad Rag Doll haben Sie Songs aus den Zwanzigerjahren eingespielt. Was hat Sie zu dieser Musik hingezogen?
Es ist die erste Musik, die ich als Kind gehört habe. Mein Vater sammelt Schellack-Platten und Grammofone, deshalb lief bei uns zu Hause immer Musik aus den Zwanzigern. Er hat auch eine Sammlung alter Notenblätter mit diesen schönen, alten Deckblättern. Ich habe diese Songs also immer gekannt, aber nicht viel über sie nachgedacht und wollte sie auch nie öffentlich singen – bis ich jetzt mit T-Bone Burnett den richtigen Produzenten gefunden habe, um sie neu zu interpretieren.
Sie singen nicht die Hits aus den Zwanzigern, sondern eher unbekannte Songs. Wie haben Sie Ihr Material ausgewählt?
Ich hatte eine Knieoperation. Während ich mich davon erholt habe, hatte ich wenig zu tun und habe die ganze Zeit nur Musik gehört. Irgendwie bin ich bin bei den Platten meines Vaters gelandet und habe dann bei Youtube nach Musik aus den Zwanzigern gesucht. Ich habe mir sehr viel angehört, sehr viel gefunden, was mir gefallen hat, und eine Playlist nach der anderen gemacht. Dann habe ich versucht, die Songs zu singen - manchmal klappt's, manchmal nicht.
Wie viele Songs von Ihren Listen haben es letztlich nicht aufs Album geschafft?
Fünftausend? Wahnsinnig viele.
»Benutze deine Fantasie, interpretiere die alten Lieder neu!«
Wenn ich mir Aufnahmen aus den Zwanzigern anhöre, bin ich immer wieder verblüfft, was für einen tollen Sound die damals mit ihrem primitiven Equipment hingekriegt haben.
Ich habe gerade erst eine Platte mit meinem Vater gehört, bei der man merkt, wie der Banjospieler für sein Solo näher ans Mikro kommt und sich dann wieder wegbewegt. Die wussten genau, was sie taten! Und auch der Klang der Schellack-Platten ist schön. Wenn ich mir eine digitale Aufnahme über Kopfhörer anhöre, klingt das für mich immer noch komisch. Glad Rag Doll haben wir komplett analog aufgenommen – für mich gibt es keinen Zweifel, dass das einfach besser klingt.
Haben Sie die Geschichte der Songs und ihrer Komponisten erforscht?
Nein, in sowas bin ich immer ganz schlecht. Wichtig war mir allerdings, dass die Songs nicht aus der Ära von George Gershwin, Cole Porter und Irving Berlin stammen. Ich wollte kein Great American Songbook machen, sondern mich auf die Zeit davor beziehen, die von Entertainern wie Gene Austin, Bing Crosby, Annette Hanshaw oder Rudy Vallée geprägt wurde. Die Songs aus dieser Ära wurden noch nicht für die Leinwand geschrieben, sie wurden in Speakeasys, Bordellen und Wohnzimmern gesungen. Sie sind vor der großen Wirtschaftskrise entstanden, aber viele enthalten bereits eine Ahnung davon, dass da bald etwas schlimmes passieren könnte.
Einige der Songs auf Ihrem Album sind neueren Datums, zum Beispiel »Lonely Avenue«. Sie haben kurz vor seinem Tod selbst noch mit Ray Charles zusammengespielt. Wie war’s?
Ich bin vor Ehrfurcht erstarrt. Er hat mir gesagt, wie ich die Zeile singen soll. Und ich hab’s nicht kapiert. Er war aber sehr nett und hat mir die Stelle vorgesungen – »You don’t know me«. Ich war überwältigt davon, dass der echte Ray Charles mir gerade etwas vorsingt! Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich im Lauf meiner Karriere einigen Leuten begegnet bin, die diese Musik erschaffen haben: Ray Brown, Ray Charles, Paul McCartney – das Treffen mit ihm war wahrscheinlich die tollste musikalische Erfahrung, die ich je gemacht habe. Aber es ist ein bisschen seltsam, jetzt darüber zu sprechen, weil mein Leben heute ganz anders aussieht – alles dreht sich um meine Kinder und meine Familie. Vorhin habe ich versucht, Spielzeug aus Lego zusammenzubauen, und bin kläglich gescheitert.
Die großen Pioniere von Jazz, Pop und Blues werden irgendwann alle verstorben sein. Was ist denn Ihrer Meinung nach der schlaueste Weg, um diese Musik inklusive ihrer reichen Vergangenheit am Leben zu erhalten?
Mach es so, wie wir es gemacht haben! Benutze deine Fantasie, interpretiere die alten Lieder neu!
Es gibt ein mit Ihnen, T-Bone Burnett und Ihrem Ehemann Elvis Costello, in dem Sie behaupten, Glad Rag Doll sei auch von der legendären Girlgroup The Shaggs beeinflusst worden. Das müssen Sie genauer erklären!
(Lacht) Nein, das haben Sie falsch verstanden! Ich habe gesagt, dass unser Gitarrist Marc Ribot beeinflusst ist von so verschiedenen Künstlern wie Albert Ayler und den Shaggs. Es ging um Marc, nicht um meine Platte. Der Punkt ist: Jeder Musiker bringt unterschiedliche Ideen und Einflüsse mit, man schmeißt alles in den Topf und schaut, was dabei rauskommt. So bleibt die Sache spannend!