Anfang Oktober wurde die Plattenfirma Elektra Records sechzig Jahre alt. Aus diesem Anlass hatte ich Gelegenheit, mit Jac Holzman zu sprechen, der Elektra 1950 gründete, als 19-jähriger Student und Musikenthusiast. Anfangs kamen auf Elektra hauptsächlich Folkplatten heraus, in den Sechzigern erkannte Holzman jedoch die Zeichen der Zeit: Mit Hilfe der Doors führte er seine Firma in die Rock-Ära. 1970 verschmolzen Elektra, Warner und Atlantic zum neuen Musikgiganten WEA, drei Jahre später ließ Holzman das Plattengeschäft hinter sich und wandte sich anderen Aufgaben zu.
Er ist einer der letzten Musikpatriarchen alter Schule, voller Anekdoten aus jener Zeit, als Verträge noch per Handschlag gemacht und LPs in vier Studen aufgenommen wurden. Gleichzeitig gibt es kaum jemand, der besser über den technologischen Wandel in der Musikbranche Bescheid weiß als er, und so ist Holzman auch mit 79 noch gut im Geschäft und inzwischen wieder zurück bei Warner Music. Er würde jeden Morgen um halb sieben am Schreibtisch sitzen, verriet er mir, und dort gut und gerne zehn Stunden verweilen.
Herr Holzman, Ihre Plattenfirma Elektra feiert gerade den 60. Geburtstag. Da denken Sie bestimmt oft an die Anfangstage zurück.
Bob Dylan hat mal etwas gesagt, das ich mir gemerkt habe: Nostalgie ist tödlich. Das heißt aber nicht, dass man sich nicht erinnern dürfte. Jeder Schach-Großmeister hat noch die Partien im Kopf, die er gespielt hat, und baut sein aktuelles Spiel auf diesen Erfahrungen auf. Genauso ist es mit jedem, der lange im selben Bereich arbeitet.
Sie haben bis 1973 Elektra Records geleitet, danach aber in anderen Bereichen der Unterhaltungsindustrie gearbeitet.
Stimmt, ich habe viele Dinge gemacht, die nichts mit Platten zu tun hatten. Kein Bereich des Home Entertainments hat sich in den vergangenen Jahrzehnten technisch so verändert wie die Musik. Ich habe mich immer auch mit der technischen Seite der Musikwiedergabe beschäftigt und mit den Schnittstellen zwischen Musik und technischen Innovationen.
Stichwort technische Innovationen: Kann man sagen, dass eine neue Technologie – die LP – 1950 entscheidend für den Start von Elektra war?
Ja, erst die LP machte es Leuten wie mir möglich, aus ihrer Musikleidenschaft ein Geschäft zu machen. Im Vergleich zur Schellackplatte spielte die LP sehr ruhig, es passte mehr Musik drauf und man konnte sie über weite Strecken verschicken, ohne dass sie kaputt ging. Wichtig war auch, dass es viel schneller ging, eine LP herzustellen als ein Album von Schellackplatten. Die Presswerke, die vorher nur Schellacks gemacht hatten, waren nun auf einmal nicht mehr ausgelastet, konnten aber wegen der Verträge mit den Gewerkschaften auch nicht einfach Leute entlassen. Sie hatten also Bedarf nach neuen Kunden – den unabhängigen Labels. Außerdem kamen zur selben Zeit, Ende der Vierziger, die ersten hochwertigen Tonbandgeräte von Ampex und Magnacord heraus: Nun brauchte man keine teuren Studios mehr, sondern konnte Künstler auch zu Hause aufnehmen.
Trotzdem muss es für Sie ein großer Schritt gewesen sein, mit 19 ein Label zu gründen. Waren Sie verrückt oder einfach sehr mutig?
Mein Vater hatte die Hoffnung jedenfalls schon aufgegeben. Ich war kein Intellektueller wie er. Ich war ein Einzelgänger und wollte nach meinen Bedingungen leben. Ich hatte Talente, kannte mich mit Elektronik aus, mit Lautsprechern und Hifi-Anlagen. Es war sicherlich eine mutige Entscheidung, gleichzeitig war ich mir ziemlich sicher, dass ich für den Rest meines Lebens mit der Musik glücklich sein könnte.
In den Fünfzigern brachte Elektra hauptsächlich Folk-Platten heraus. Viel verkauft haben Sie nicht.
Wir haben die ganze Zeit von der Hand in den Mund gelebt. Ich hatte einen Plattenladen und habe Hifi-Anlagen gebaut, damit habe ich das Label finanziert.
Welcher Elektra-Künstler war als erster erfolgreich?
Jean Ritchie war einigermaßen erfolgreich, das war eine authentische Folksängerin aus Viper, Kentucky. Sehr wichtig war auch der Bluessänger Josh White. Der hatte schon früher Platten gemacht, bekam dann aber keinen Vertrag mehr, weil er wegen seiner politischen Ansichten auf der Schwarzen Liste stand. Ich kannte seine anderen Platten, aber als ich ihn live singen hörte, merkte ich, dass ihn bisher niemand richtig aufgenommen hatte. Ich nahm ihn unter Vertrag, sein erstes Album haben wir in einer ehemaligen Kirche produziert. Ich wusste, wo ich die Mikrofone hinstellen muss, und schon der erste Take war super. Die ganze Platte klang großartig! Ich hatte allerdings auch einen exzellenten Mastering Engineer: Peter Bartok, den Sohn des Komponisten Belá Bartok.
»Ich war mir sicher, dass mit den Doors spätestens beim dritten Album etwas passieren würde. Es ging dann allerdings viel schneller«
Interessant, dass Sie das erwähnen. Ich habe mir vor kurzem die Josh-White-LP Chain Gang Songs gekauft und war beeindruckt von der tollen Klangqualität. Warum klingen viele Platten aus den Fünfzigern so gut?
Weil wir sehr sorgfältig gearbeitet haben. Wir haben die Platten mit sehr viel Gefühl gemacht und keine Effekte hinzugefügt. Ich wusste, dass wir nicht mit dem Marketing der großen Plattenfirmen mithalten konnten. Aber bei der Klangqualität konnten wir mithalten! Ich habe jede Ausgabe des Journals der Audio-Engineering Society gelesen, ich wollte alles über dieses Handwerk lernen. Platten aufzunehmen ist eine Mischung aus Handwerk und Kunst.
Manche Hifi-Fans meinen, dass die Klangqualität den Bach runterging, als man nicht mehr nur vier Spuren hatte, sondern ein vielfaches davon.
Das ist eine Frage der Kontrolle. Ich habe immer versucht, nicht mehr Spuren als nötig zu verwenden. Denken sie an die tolle Qualität der Beatles-Aufnahmen – die wurden alle auf vier Spuren gemacht. Es geht darum, wo man die Mikros aufstellt, es darf keine Phasenverschiebungen geben, man muss auf die kleinsten Details achten. Digital aufzunehmen ist kinderleicht, analog aufzunehmen ist sehr schwierig. Wenn ich heute nochmal ein Album machen würde, würde ich trotzdem analog aufnehmen.
Wann hatten Sie zum ersten Mal den Eindruck, dass Folkmusik sich gut verkaufen würde?
Der Markt hat mich nie interessiert. Ich bin ein seltsamer Vogel. Ich tue, was mir gefällt. Ich habe jede Menge komisches Zeug veröffentlicht: eine Platte mit dem Morsealphabet, Soundeffekte, Gitarrenkurse. Als der Folkboom begann, habe ich natürlich gemerkt, dass Elektra mehr Platten verkauft hat als vorher. Aber ich hatte es nicht darauf angelegt.
Zu Ihren ersten Erfolgskünstlern gehörte die Folksängerin Judy Collins.
Am Anfang klang sie so ähnlich wie Joan Baez, aber ab ihrem dritten Album hat sie Sachen gemacht, die Joan nicht gemacht hatte. Sie war zum Beispiel die erste, die Songs von Joni Mitchell aufgenommen hat. Ich habe immer nach einfallsreichen, wagemutigen Künstlern gesucht. Dann habe ich sie angespornt: Gebt mir nicht zweimal dieselbe Platte! Zur Zeit des Whales And Nightingales-Albums hat sie gesagt: Wenn ich zu Jac sagen würde, ich will gerne auf dem Gipfel des Mount Everest aufnehmen, dann würde er es irgendwie hinbekommen. Und das stimmt.
Auch der Folksänger Phil Ochs hat auf Elektra veröffentlicht. Was war er für ein Mensch?
Ein sehr intensiver. Und sehr interessiert an seinen Plattenverkäufen. Er kam jede Woche ins Büro, um sich danach zu erkundigen. Von allen Singer-Songwritern im Village litt er am meisten unter der Genialität Bob Dylans. Die Tatsache, dass Dylan ihn künstlerisch überflügelt hatte, trug meines Erachtens zu seiner Depression und seinem Selbstmord bei. So war es einfach: Dylan war der Beste. Aber er hat auch alle anderen mit gezogen, weil alle wegen ihm härter gearbeitet haben.
Sie sind bestimmt ein bisschen ärgerlich, dass Sie Dylan nicht selbst unter Vertrag genommen haben.
Sagen wir so: Es hat mich geärgert, dass ich diese Chance verpasst habe. Als Dylan nach New York kam, lebte ich in Kalifornien. Ich fand damals, dass in New York nichts mehr zu holen sei. Wenn ich dort gewesen wäre, wäre ich, glaube ich, klug genug gewesen, ihm einen Vertrag anzubieten. Von seinem ersten Album war ich zwar ein bisschen enttäuscht, aber es war klar, dass er die Anthology Of American Folk Music absorbiert hatte. Die war die Grundlage seines Repertoires.
Die Antholgy – und Woody Guthrie. Dylan dürfte damals auch die Box mit Woody Guthries Library Of Congress-Aufnahmen gehört haben, die Elektra herausgebracht hat.
Diese Wiederveröffentlichung habe ich persönlich betreut. Die Original-Aufnahmen hatte Alan Lomax Ende der Dreißiger in der Library Of Congress in Washington gemacht. Sie zu überspielen, war eine technische Herausforderung, da Lomax damals an die hundert verschiedene Nadeln mit unterschiedlichen Durchmessern benutzt hatte. Man musste unter dem Mikroskop die Rillenbreite der Azetatplatten ausmessen und dann die richtige Nadel wählen. Auf den Orginal-Platten waren auch ziemlich viele Nebengeräusche. Die habe ich alle von Hand herausgeschnitten, insgesamt waren es über 1000 Schnitte.
In den Sechzigern traten Blues und psychedelischer Rock an die Stelle des Folk. Wie haben Sie diesen Wandel erlebt?
John Sebastian von den Lovin’ Spoonful hat eines Abends etwas Wahres gesagt: Wir fangen besser an, ein paar neue Folksongs zu schreiben, weil uns die Lieder ausgehen. Das war völlig richtig. Das Folkrepertoire bestand aus ungefähr 700 Songs, alle spielten dieselben Lieder. Das konnte nicht ewig so weitergehen. Ich habe die Singer-Songwriter ermutigt, über ihr Leben zu schreiben und über die Dinge, die sie bewegten. Alles hat sich weiterentwickelt, da war es zwangsläufig, dass man irgendwann von der akustischen auf die elektrische Gitarre überging.
Hat Ihnen dieser neue Sound auch persönlich gefallen?
Na klar, der war sehr vital. Der Sound hatte das, was man in der Geometrie den Vektor nennt: Richtung und Geschwindigkeit. Ich habe aber auch Zeug unter Vertrag genommen, das ich nicht kapiert habe. Am Anfang habe ich die Stooges nicht verstanden. Gottseidank hat mich Danny Fields überredet.
Wie war das mit den Doors? Haben die Ihnen auf Anhieb gefallen?
Das ist eine einzigartige Geschichte. Ich hatte die Gruppe Love unter Vertrag, und deren Boss Arthur Lee hat gesagt, ich solle mir ihre Vorband ansehen: die Doors. Arthur hielt sehr viel von denen. Ich fand sie interessant, aber nicht umwerfend; die großen Songs waren noch nicht aufgetaucht. Aber mich hat auf Anhieb fasziniert, dass die Band keinen Bassisten hatte – ihr Aufbau war Bauhausartig rein und dennoch sehr anpassungsfähig. In der vierten Nacht habe ich dann ihr Potenzial verstanden. Da haben sie nämlich den »Alabama Song« gespielt. Wie sie etwas, das ich gut kannte, radikal verwandelt haben, hat mich umgehauen.
Und Sie haben gleich einen Vertrag aus der Tasche gezogen.
Die Doors sagten, sie wären noch nicht bereit. Was ich nicht wusste: Sie waren gerade erst bei Columbia rausgeflogen und standen der Musikindustrie recht reserviert gegenüber. Ich habe einen Gang hochgeschaltet und sie regelrecht verfolgt, allerdings ohne sie zu belästigen. Ich habe versucht herauszukriegen, was die sie wirklich wollen. Was kann ich ihnen anbieten, was andere nicht bieten? Die Antwort war: einen Vertrag über drei Platten. So etwas machte damals niemand mit einer unbekannten Band. Vorher hatte ich das Worst Case Scenario durchgerechnet: Wir machen drei Platten mit ihnen, jede kostet zehn- bis fünfzehntausend Dollar, und nichts passiert. Nichtmal das hätte uns geschadet, denn wir schwammen damals im Geld. Aber ich war mir sicher, dass mit den Doors spätestens beim dritten Album etwas passieren würde. Es ging dann allerdings viel schneller.
In den Siebzigern haben die Rockbands auf einmal unglaubliche Mengen von Platten verkauft, das Musikgeschäft wurde zur Goldgrube. Doch genau dann, als der Rubel richtig zu rollen begann, haben Sie Elektra verlassen. Warum?
Ganz einfach: Damals kam ein schlechtes Element ins Musikgeschäft, nämlich die neuen Manager und Anwälte. Es ging auf einmal um so viel Geld, dass jeder etwas davon abhaben wollte. Die Manager haben den Künstlern eingeredet: Ihr braucht nicht mehr mit den Labeln verhandeln, wir erledigen das für euch. Das war nicht mehr die Art, wie ich Geschäfte machen wollte.
Sie sind dann ins technische Fach gewechselt.
Ich war einer der wenigen Leute in der Plattenbranche, der sich mit Technik auskannte, und das hat mir eine erstaunliche Karriere nach Elektra verschafft. Ich habe Panavision geleitet, ich war oberster Technikchef von Time Warner, ich habe die Laserdisc gemacht, ich war am Start von MTV beteiligt – das war alles großartig.
Das Musikgeschäft hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Wenn sie nochmal 19 wären – würden Sie heute wieder ein Label starten?
Ja. Auch im digitalen Zeitalter ist ein unabhängiges Label ein guter Partner für Künstler, die jemanden suchen, der ihre Musik zum Kunden bringt. Mein neues Label wäre aber sicher ein anderes Label als Elektra.