Wie viel »Moondance« braucht der Mensch?

Van Morrisons Album »Moondance« ist in einer Luxus-Version erschienen. Aber benötigt man wirklich sieben Versionen von »Into The Mystic«? Und warum wettert Morrison selbst gegen die neue Edition?

Fast wie auf dem Album-Cover: Van Morrison zur Zeit von Moondance.

Foto: Elliot Landy/Warner Music

War ja klar, dass einer was zu meckern haben würde. »I did not endorse this, it is unauthorised and it has happened behind my back«, schrieb Van Morrison auf seiner Webseite über die Wiederveröffentlichung seines Album-Klassikers Moondance. »My management company at that time gave this music away 42 years ago and now I feel as though it’s being stolen from me again.« Das ist deutlich - was ist der Grund für Morrisons Zorn?

Gerade eben ist sein 1970 erschienenes Album Moondance in drei Versionen wiederveröffentlicht worden: als geremasterte Original-CD, als »Expanded Edition« auf zwei CDs mit elf bisher unveröffentlichten Tracks – und als opulente »De-Luxe-Edition«. Die Luxusausgabe enthält drei CDs mit unbekanntem Studiomaterial, darunter etliche alternative Versionen der auf Moondance enthaltenen Songs, Mono-Mixe sowie der bisher nur von Bootlegs bekannte Song »I Shall Sing«. Wenn man das Tracklisting der De-Luxe-Edition anschaut, mag man sich als erstes vielleicht etwas wundern. Braucht die Welt wirklich acht Versionen von »Caravan«? Sieben von »Into The Mystic«? Meine Antwort: selbstverständlich! Van Morrison ist einer der großen Meister der Rockära, Moondance gehört zu seinen besten Alben, je tiefer man in dieses Werk eintauchen kann, desto besser.

Moondance ist, wie ich meine, in zweierlei Hinsicht wichtig. Zum einen in Hinblick auf die stilistische Entwicklung der Rockmusik: Zum ersten Mal gelang es hier jemandem, entspannten Songwriter-Rock mit Stilelementen von Soul, Jazz und R&B zu verbinden. Morrison hat ja nie ein Hehl aus seinen Vorbildern gemacht, schon mit Them hat er Bobby »Blue« Bland gecovert und Ray Charles wird auf Moondance in einem Songtext erwähnt. Die Grooves des Albums, die Bläser, die Backgroundsängerinnen, Morrisons eigener Gesang - all das ist ziemlich soullastig. Die Souveränität, mit der Morrison diese Stilelemente in seinen Sound integrierte, hat in den Siebzigern und Achtzigern etliche andere Rockmusiker beeinflusst. Zum anderen ist Moondance aber auch für Morrisons eigene Karriere entscheidend. Hier definierte er den Stil, den er mit Variationen bis heute pflegt, ohne dieses Album hätte es seine Karriere wahrscheinlich gar nicht gegeben.

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Seine erste Chance bei der neuen Plattenfirma Warner Brothers hatte Van Morrison vergeigt, der zweite Versuch musste sitzen

Man neigt oft dazu, die Geschichte in der Rückschau zu betrachten. Da wirkt Van Morrisons Laufbahn wie eine ungebrochene Erfolgsstory: Kaum ein anderer Star aus den Sechzigern hat sich schließlich über die Jahrzehnte derart erfolgreich im Pop halten können und ist bis in die Gegenwart hinein künstlerisch relevant geblieben. Doch es hätte auch alles anders kommen können. Die Popgeschichte ist voll von talentierten Sängern, die nach ein oder zwei Alben wieder in der Versenkung verschwanden, und oft entscheiden Kleinigkeiten über Sieg oder Niederlage.

Um Moondance zu verstehen, muss man auch den Vorgänger in den Blick nehmen – Astral Weeks. Bis heute wird dieses Album als Meisterwerk bejubelt, schon damals wurde es im Rolling Stone nachdrücklich angepriesen – nur leider war es ein Flop. Seine erste Chance bei der neuen Plattenfirma Warner Brothers hatte Van Morrison somit vergeigt, der zweite Versuch musste sitzen, eine weitere Chance würde es nicht geben. Bedenkenswert ist auch, dass Morrison zu dieser Zeit in großen finanziellen Schwierigkeiten steckte. Zwar hatte er 1967 mit »Brown Eyed Girl« einen Top-Ten-Hit gehabt und auch Them waren erfolgreich gewesen, beide Male war er jedoch von seinen Managern reingelegt worden und sah nun keinen Pfennig von den Erlösen. 1968 und 1969 trat er mit einem Bassist und einem Flötisten im Trio auf, konnte aber froh sein, wenn ein paar Dutzend Leute kamen. Es stand also durchaus die Möglichkeit im Raum, dass Morrisons Karriere bald wieder vorüber sein könnte.

Vor diesem Hintergrund reifte in ihm im Frühjahr 1969 der Entschluss, es mit einem etwas kommerzielleren, durcharrangierteren Sound zu versuchen als mit weiteren Studio-Improvisationen wie bei Astral Weeks. Die Songs hatte er bereits, was fehlte, war eine Band. Im Frühjahr 1969 war Morrison nach Woodstock gezogen, auf den Spuren von Bob Dylan und The Band war er in das damals noch recht beschauliche Städtchen gekommen und lud nun gelegentlich lokale Musiker zum Jammen in sein Haus auf dem Overlook Mountain ein. So geriet er an John Platania (Gitarre), Jeff Labes (Piano) und Jack Schroer (Saxofon) - den Kern seiner zukünftigen Band.

In ausgedehnten Proben wurde hier im Sommer 1969 der neue Sound von Van Morrison entwickelt. Ende August ging es dann erstmals ins Studio. Als Produzent fungierte wieder Lewis Merenstein, der schon Astral Weeks produziert hatte, und zur ersten Session hatte der erneut den Bassisten Richard Davis und einige andere Jazzmusiker eingeladen. Aber das war nicht das, was Morrison wollte: »This isn’t it«, sagte er dem Produzenten. Bald war Merenstein draußen und Morrison produzierte er das Album selbst, mit seinen eigenen Musikern - für die damalige Zeit nicht gerade alltäglich. Ausschnitte aus diesen Sessions sind es, die auf der neuen Luxusversion von Moondance präsentiert werden. Was man nicht hört: wie nach und nach ein neuer Sound entstand. Als die Band ins Studio kam, hatten sie schon viel geprobt und Morrison wusste, was er wollte; eine Ahnung vom Weg dorthin geben eher die »Warner Publishing Demos« aus der ersten Hälfte des Jahres 1969, von denen etliche als Bootleg erschienen sind. Faszinierend am neuen Album sind vor allem die Nuancen: So sind zum Beispiel sieben Versionen von »Into The Mystic« enthalten, kurz nacheinander aufgenommen und relativ ähnlich. Aber natürlich nicht identisch: Morrison arbeitet an seiner Phrasierung, ändert das Tempo oder mal ein paar Worte, bis er und die Band schließlich beim fertigen Take ankommen. Auch das Geplauder zwischen den Takes ist teilweise enthalten – toll, derart nah im Studio dabei zu sein.

Überraschender als die Versionen der Moondance-Stücke sind drei Version von »I've Been Working«, die wesentlich rauer, rockiger rüberkommen als die poliert groovende Version, die auf Morrisons nächstem Album His Band & The Street Choir erschien. Und mit dem schon erwähnten »I Shall Sing« sowie einer Version des Blues-Klassikers »Nobody Knows You When You're Down And Out« sind auch zwei unveröffentlichte Titel enthalten. Für mich liegt der Reiz dieser Edition jedoch ganz klar in dem, was manchem seltsam vorkommen mag: Dass es hier möglich ist, etliche Versionen derselben Songs hintereinander zu hören und sich in deren Feinheiten zu vertiefen.

Schade allerdings, dass diese Ausgabe vom editorischen Standpunkt her ein bisschen schludrig ist. Vor allem vermisst man eine Erklärung dafür, warum gerade diese Takes ausgewählt wurden und andere nicht. Von dem Song »Moondance« hören wir zum Beispiel Take 21 und 22. Was ist mit den Takes davor? Gerne hätte ich auch Take 1 gehört, auf dem wohl noch Richard Davis mitspielte, oder zumindest erfahren, warum dieser Take unter den Tisch fiel. Und natürlich hätte mich auch brennend interessiert, was Morrisson selbst zu den Stücken und den gesamten Aufnahmen zu sagen hat. Aber da er, wie gesagt, an der Edition nicht beteiligt war, erfährt man das nicht.

Dass Morrison zu Beginn seiner Karriere betrügerischen Managern in die Hände gefallen ist, ärgert ihn ganz offensichtlich bis heute. Und so kann ich es im gewissen Sinn auch verstehen, dass er gegen die unautorisierte Neu-Ausgabe von Moondance wettert; schöner wäre es, alles wäre mit seinem Einverständnis geschehen. Doch wenn ich zu Hause sitze und diese wunderbaren, aufschlussreichen Songs höre, kann ich nur ein Fazit ziehen: Für Van-Morrison-Fans ist die De-Luxe-Version von Moondance ein großes Geschenk.