»Nach einer internationalen Tagung - Arbeitssprache Englisch - saß ich beim Abendessen zwischen einem Norweger, mit dem ich seit Jahren befreundet bin, und einem Spanier. Am Tisch entwickelte sich der bekannte Small Talk auf Englisch, an dem ich mich beteiligte. Als ich zwischendurch ein privates Gespräch mit dem Norweger führte, mit dem ich seit Jahren Norwegisch spreche, wurde ich von zwei Anwesenden zurecht- gewiesen, dass ich taktlos gegenüber dem Spanier sei. Haben sie recht?« Martha W., Berlin
Dieses Problem taucht in den unterschiedlichsten Konstellationen auf und wegen Globalisierung, Immigration und Weltoffenheit zunehmend häufiger. Für eine Lösung gibt es mehrere Ansätze. Der einfachste ist utilitaristisch: Man sollte sich so unterhalten, dass möglichst viele möglichst viel von der Unterhaltung verstehen und sich beteiligen können. Das kann dazu führen, dass in größeren Runden Einzelne nichts verstehen, aber auch zu wechselnden Sprachen in einer Ansammlung von Personen, je nachdem, wer gerade mit wem spricht. Dem liegt ein sehr pragmatisches Verständnis von Sprache zugrunde, wie man es von Platon kennt: ein Werkzeug zum Austausch von Gedanken.
Hier aber scheint mir etwas wichtig, was gar nicht primär mit Sprache, sehr wohl aber mit Moral zusammenhängt: Respekt. In der Wahl der Sprache zeigt sich auch, ob man jemanden als wert erachtet, sich allein seinetwegen so zu unterhalten, dass er oder sie es versteht. Auch wenn es für die anderen mehr Mühe bedeutet und – ein Unterschied zur Betrachtung rein nach Nützlichkeit – das Gespräch insgesamt womöglich schwieriger wird.
Ich empfinde es deshalb immer als sehr schön, wenn eine Runde, in der auch nur einer nicht die Mehrheits- oder Landessprache spricht, ohne Weiteres auf eine Sprache umstellt, die alle sprechen, heute wird das wohl meist Englisch sein. Umgekehrt sehe ich es aber auch als Zeichen von Respekt, dass jemand, der länger in einem Land lebt, zumindest ansatzweise die Landessprache lernt und damit zu erkennen gibt, dass sie oder ihn dort nicht nur seine Geschäfte, die Landschaft oder Kneipen interessieren, sondern auch die Menschen. Nicht im Sinne einer Leitkultur, sondern eben des Respekts und der Erleichterung des Miteinanders. In welcher Sprache man sich am Ende unterhält, ist dann wieder eine Frage der Verständigung – oder eines erwünschten Lerneffekts – und nicht allein davon abhängig, in welchem Land man gerade sitzt. Es sollte um Menschen gehen und nicht um Nationalideen.
Auf Ihren Fall bezogen bedeutet das: Natürlich sind in jeder Gesellschaft auch persönliche Gespräche möglich, an denen nicht jeder beteiligt ist. Ansonsten aber führt eine Unterhaltung in einer für einen Anwesenden unverständlichen Sprache zu dessen Ausschluss, und das ist keine Frage des schlechten Benehmens, sondern der Missachtung.
Rainer Erlinger empfiehlt zu diesem Thema:
Platon, Kratylos, übersetzt von Friedrich Schleiermacher. In: Sämtliche Werke Band 3, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbeck bei Hamburg 1994
David Crystal, Die Cambridge Enzyklopädie der Sprache, Campus Verlag Frankfurt 1995
Illustration: Marc Herold