Die Angst der Praktikanten

Bin ich im falschen Beruf? Bin ich nicht gut genug? Was, wenn es nie reichen wird? Unser Autor weiß, wie viel Selbstzweifel Praktikanten spüren – er macht gerade sein zehntes Praktikum.

Daumen hoch im Meer der Angst: Das Leben des Praktikanten kann zermürbender sein, als man denkt. 

Foto: flo-flash / photocase.de

Dieser Text ist während eines Praktikums entstanden, damit sind wir schon beim Thema. Es ist mein zehntes Praktikum, ich bin jetzt 30 Jahre alt, es wird mein letztes sein. Ich bin spät dran, ich weiß.

Eigentlich müsste ich hier zwei Texte schreiben. Einen Text für alle, die noch vor dem ersten Absatz denken: Wieder so eine verkopfte Mittelschichtsflöte, die auf ihre Privilegien nicht klarkommt. »Hör auf zu jammern, geh’ einfach arbeiten.« Geschenkt.

Der andere Text, dieser Text, ist für alle, die wenigstens für einen Moment mit mir durch meinen blühenden Garten aus Angstneurosen schreiten möchten. Während meiner zehn Praktika konnten diese Neurosen munter wuchern. Ich war bei einem Architekten, einem Antiquariat, zwei Menschenrechtsorganisationen, im Bundestag, bei einer Lokalzeitung und in vier weiteren Redaktionen. Danach wusste ich: Ich will Journalist werden. Mit dieser Erkenntnis begann die Versagensangst in mir zu wachsen. Als sei dieser Beruf dafür ein besonders fruchtbarer Boden. Im Journalismus geht es neben dem Handwerklichen auch viel um Kreativität. Und Kreativität ist perfekt für Selbstzweifel.

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Wie gesagt, ich weiß selbst, ich bin spät dran. Andere arbeiten mit 30 schon viele Jahre in ihrem Beruf. Ich brauchte die Zeit zum Ausprobieren, weil ich eine Sache bis vor kurzem nicht über die Lippen brachte. Den Satz: »Ich kann nicht alles, aber ich kann genug.« Immer war da die Angst, nicht zu genügen. Also lieber noch ein Praktikum. Diese Angst begleitet mich auch jetzt durch meinen Text. Sind das wenigstens ansatzweise kluge Gedanken? Ist das alles zu weinerlich? Schick ich den Text überhaupt ab? Will man das überhaupt lesen? Vor diesem Text habe ich nicht offen über diese Angst gesprochen. Dabei gehört das Scheitern eigentlich zum Leben wie der Kopfschmerz zum Rausch. Muss nicht, ist aber auch nicht unwahrscheinlich.

Immer hoffte ich auf ein Treppenhaus. Weil in meiner Vorstellung nichts schlimmer war, als dem Chef im Aufzug zu begegnen

Vor lauter Angst merkte ich nicht einmal, wie anmaßend es ist, alles können zu wollen. Was soll das überhaupt sein - alles? Der Umkehrschluss war: Wenn etwas nicht klappte, stand immer gleich alles in Frage. Es fiel mir schwer, mich als Person von einzelnen Rückschlägen zu trennen. Bin ich im falschen Beruf? Was, wenn es einfach nicht reicht? Was, wenn es nie reichen wird? Es liegt ja allein in meiner eigenen Verantwortung, dachte ich. Weil es Scheitern nicht geben durfte, habe ich immer mehr gemacht. Ständig immer mehr.

In zehn Praktika habe ich viele Praktikanten getroffen. Bestimmt spürten wir alle den gleichen Druck. Wir saßen im selben Boot, wir wollten uns beweisen, wollten zeigen, was wir schon können. Nie haben wir über unsere Angst gesprochen. Stattdessen optimierten wir uns alle weiter einsam vor uns hin. Heute denke ich mir, ich hätte doch früher sehen müssen, dass es oft nur Geschmack, Sympathie und letztlich auch Zufälle sind, die über mich entscheiden. Aber wenn man ständig von Beurteilungen anderer abhängt, verliert man irgendwann jedes Gefühl für sich selbst.

Stundenlang konnte ich über undurchsichtige Gesichtsausdrücke von Kollegen und Chefs, über einsilbige Mails, nachdenken. Über Stunden hallten wahrscheinlich nett gemeinte Sprüche in meinem Kopf nach, bis sie nicht mehr nett klangen.

In den Nächten vor dem ersten Tag in einer neuen Redaktion lag ich oft wach im Bett, in meinem Kopf spielte ich mögliche Dialoge durch; Ich fragte mich, was man mich fragen wird. Und immer hoffte ich auf ein Treppenhaus. Weil in meiner Vorstellung nichts schlimmer war, als dem Chef im Aufzug zu begegnen. Weil ich dachte, dass ich jede Sekunde eine bombastische Idee haben muss. Heute weiß ich, dass nur ich das von mir verlangt habe.

Warum habe ich es bisher nie laut gesagt, dass ich andere für arschcool hielt, mich selbst aber für mittelmäßig interessant und begabt? Mit anderen Praktikanten sprach ich nur über Ideen, die geklappt haben, die vielleicht auch begeistert haben. Wir sprachen über Angebote, die kamen oder wenigstens wie Angebote klangen. Ich sprach nicht über die volle Schublade mit den vielen schlechten oder abgelehnten Ideen. Unsere Praktika machten wir in den Lebensläufen zu Hospitanzen. Wir wussten, wie etwas nach mehr klingt.

Manchmal fühlt es sich so an, als müsste ich mich für diese Angst rechtfertigen. Beweisen, warum es echte Angst ist. Mein Studium habe ich mir größtenteils selbst finanziert, ich habe Nachtschichten in Pflegeheimen geschoben und bin am nächsten Morgen in die Uni geradelt, um mir den Kopf zu zerbrechen. Manchmal hatte ich mehrere Nebenjobs gleichzeitig. Wenn es trotzdem nicht für die Miete gereicht hat, haben meine Eltern geholfen, so wie sie es konnten. Das war nicht immer leicht. Nicht für meine Eltern, aber auch nicht für mich.

Je näher ich der 30 rückte, umso schwerer wurde es für mich, Geld von meinen Eltern anzunehmen. Mit 29 hatten meine Eltern schon ein Kind und einen Baukredit. Beide haben nie ein Praktikum gemacht, waren nie an der Uni und sie haben höchstens ein Mal den Arbeitgeber gewechselt. Für meine Generation gelten andere Spielregeln: Viel Arbeitserfahrung sammeln, viel ausprobieren, Kontakte knüpfen. Und wenig Geld dafür erwarten, schon gar nicht Sicherheit. Bestenfalls bleibt man dabei immer Anfang 20.

Habe ich versucht, das meinen Eltern zu erklären, fühlte ich mich jedes Mal wie ein Vertreter, der nicht an das eigene Produkt glaubt. Man muss sich nur hart genug anstrengen, dann kommt der Erfolg von alleine. So wird man ein guter Arbeitnehmer, aber ein unglücklicher Mensch.

Jedes Praktikum hat sich gelohnt, ich habe viel gelernt. Aber ich habe nie gelernt, an mich zu glauben. Ich habe gelernt, mich zu vergleichen. Die Angst vor Niederlagen hat mich unproduktiv gemacht, sie lähmte mich. Wer Angst hat, ist nicht kreativ. Wer nicht kreativ ist, kann sich nicht empfehlen.

Erst nach zehn Praktika habe ich verstanden, dass ich aus diesem Hamsterrad nur rauskomme, wenn ich akzeptiere, was ich nicht kann. Und, wenn ich über diese Angst spreche. Ich bin spät dran, ich weiß. Ein elftes Praktikum werde ich nicht machen. Das habe ich mir versprochen. Ich kann nicht alles, aber ich kann genug.