Immer wieder liegt im Briefkasten Post, die ich nicht will, einmal pro Woche zum Beispiel mehrere Prospekte, in einer dünnen, durchsichtigen Plastikhülle vereint. In den Werbematerialien werden Lebensmittel angeboten, Stangenspargel, »im 580-ml-Glas, 320 g Abtropfgewicht«. Da steht man vor dem Briefkasten und fragt sich: Was ist ein Abtropfgewicht? Man denkt an Boxer, die vor großen Kämpfen in die Sauna gehen, weil sie zu schwer für ihre Gewichtsklasse sind – von denen tropft beim Schwitzen Gewicht herunter. Der Spargel befindet sich in einer Flüssigkeit. Bloß: Ist das Abtropfgewicht das Gewicht der Flüssigkeit, die vom Spargel abtropft, oder das Gewicht des Spargels, von dem das Wasser ablief? Insgesamt aber ein schöner Gedanke. Dass Gewicht abtropfen kann …
Außerdem bietet man »Würstchen in zarter Eigenhaut« an. Das klingt besser als »Würstchen in zarter Fremdhaut« oder »Zarthäutige Fremdwürstchen« oder »Fremdzarte Wursthäutchen«. (Aber wie wäre es mal mit »Scharfe Nacktwürstchen, total hautlos«?) Man fragt sich, da ein Würstchen ja nie als Würstchen gelebt hat, sondern immer nur als Schwein oder als Pute: Was genau heißt hier »Eigenhaut«? Ist es die Haut des Tieres, dem das Würstchen entstammt? Oder hat die Lebensmittelindustrie vielleicht lebende Würstchen erfunden, mit Haut drum herum, die erst am Morgen ihrer Eindosung erschossen werden?
Auch ich könnte, wie viele Nachbarn, einen Keine-Werbung-Aufkleber am Briefkasten befestigen, aber erstens glaube ich, dass sich keiner an solche Schilder hält, zweitens ist auch der Prospekt-Verteiler einer, der Geld verdienen will – warum soll ich ihm den Job nehmen? Aber dann zerre ich eben doch die Prospekte aus dem Kasten und werfe sie weg, wobei ich jedes Mal denke: Muss man nicht, bevor man sie ins Altpapier tut, die Plastikhülle entfernen, damit nicht Kunststoff ins Papier gerät? Und warum tun das manche Menschen ersichtlich nicht? Sie lassen die Werbung in ihrer doch eindeutig fremden Haut und werfen sie so entweder in den Papiermüll oder in die Restetonne. Nur ich entferne den Kunststoff vom Bedruckten und trenne die Dinge, als wäre der Würstchenprospekt eine Weißwurst, die nur enthäutet ihrer Wege gehen darf. Warum beschäftigt mich so was überhaupt? Warum tropfen diese Fragen nicht einfach an mir ab?
Übrigens las ich, dass zwischen Dänemark und Deutschland (genauer: Lolland und Fehmarn) ein Tunnel gebaut werden soll. Der Tunnel wird von den Dänen gewollt, von den Deutschen dort hingegen nicht sehr, sie brauchen ihn einfach nicht so, wie die Dänen ihn gern hätten, die mehr als ein Fünftel ihrer Exportwaren zu uns schicken. Deshalb müssen die Dänen den Tunnel selbst bezahlen.
Aber man denkt doch, da wir in einem vereinten Europa leben: Könnte denn, juristisch gesehen, ein Land einen Tunnel in ein anderes Land bauen, wenn dieses andere Land den Tunnel nicht möchte? Wenn also Deutschland den Tunnel strikt ablehnte, die Dänen ihn aber einfach bauen würden, sodass eines Tages in einem Waldstück auf Fehmarn der erste Däne den Kopf aus der Erde steckte, dann Däne auf Däne ungebeten hervorspazierte, sodass man sich auf Fehmarn fragte: Wo kommen die ganzen Dänen her, es liegt kein Schiff im Hafen – was wäre dann?
Hat nicht Dänemark ein Recht auf eine ordentliche Komplett-Anbindung nicht nur Jütlands, sondern auch seiner Inseln an den Kontinent? Warum soll Lolland von uns durch die Ostsee getrennt sein? Lolland hat um die Ostsee nicht gebeten, wie ich nicht um eingehäutete Prospekte gebeten habe und wie einem das meiste im Leben ungebeten passiert, sogar das Leben selbst.
Deutschland läge auch lieber weiter südlich, aber es ist nicht gefragt worden, als die Erde eingeteilt wurde. Sollten wir beginnen, einen Tunnel mallorcawärts zu graben? Einerseits um die Kohlendioxid-Belastung durch den Luftverkehr zu verringern. Andererseits damit die Deutschen, die ja nicht wie die Dänen vorwiegend Schweine, Öfen und Schiffsmotoren exportieren, sondern in ihrer physischen Existenz selbst ein Ausfuhrgut sind, ihre winterfahle Eigenhaut noch schneller in die Fremde schaffen können.
Illustration: Dirk Schmidt