Mit guten Begründungen lässt sich die These vertreten, das Fernsehen sei zu langweilig für unser Leben, man solle seine Zeit nicht mit den ewig gleichen Sendungen auf dem ewig gleichen Bildschirm vergeuden, sondern sich lieber selbst kopfüber ins Dasein stürzen.
Andererseits: Das Leben ist bisweilen auch zu langweilig für das Fernsehen. Nehmen wir die Formel 1, die an diesem Wochenende in Budapest gastiert. Ich bin kein Experte für diese Sportart, aber es scheint dort lange Zeit in den Rennen um die Frage gegangen zu sein, ob der Rennfahrer B, der schon eine ganze Weile dem Rennfahrer A hinterherkachelte, den A irgendwann überholen würde oder doch nicht, oder ob er seinerseits den zweiten Rang dem bereits in seinem Windschatten herbeieilenden Rennfahrer C würde überlassen müssen. Oder doch nicht. Und ob C dann dem führenden A gefährlich werden würde. So ging das Runde um Runde.
Man kann das spannend finden, wenn sonst nichts los ist. Man wird aber auch sagen müssen: Für jüngere Menschen, an Rasanz und Speed von Videospielen gewöhnt, ist so etwas allenfalls eine meditative Übung oder ein Hintergrundrauschen, vor dem man seine Mails checkt oder in Assassin’s Creed ein paar Nebenmissionen erledigt.
Das Fernsehen möchte jedoch, dass die jungen Leute sein Programm aufmerksamer verfolgen, sonst schimpft die Werbe-Industrie. Also hat es die Formel-1-Veranstalter gebeten, die Rennen abwechslungsreicher zu gestalten, worauf man dort zum Beispiel die Idee hatte, Rennautos mit Reifen auszustatten, die, vereinfacht gesagt, kein ganzes Rennen halten. (Das ist nicht unbedingt das, was man sich unter Nachhaltigkeit vorstellt, aber in der Formel 1 haben sie was anderes zu tun, als sich mit Nachhaltigkeit zu befassen.) Effekt: Beim Rennen in Barcelona musste der Fahrer Alonso vier Mal an die Box, um sich neue Pneus montieren zu lassen. Gewonnen hat er trotzdem.
Das Schöne für den Zuschauer ist: Das Rennen verändert sich dauernd. Immerzu müssen Mechaniker an den Autos herumschrauben, die Piloten fahren dazu an die Box, und dann, wieder im Rennen, müssen sie überholen, überholen, überholen, um nach vorne zu kommen. Als nachteilig kann man werten, dass – weil die Techniker mit den immer neuen Reifen anscheinend nicht richtig umgehen können – ab und zu mal so ein Gummiding bei 300 Sachen platzt. Das sieht aber im Fernsehen eigentlich super aus. Und es ist auch eine spannende Frage, ob der Mann im Cockpit die Karre in der Gewalt behält. Oder wie es ihm anderenfalls so ergeht.
Wenn sich das Leben aber mit simplen Eingriffen offensichtlich aufregender gestalten lässt – warum beschränken wir uns damit auf die Formel 1? Müssen zum Beispiel Bastian Schweinsteigers Schuhe ein ganzes Match halten? Könnte es nicht so sein, dass auch der Fußballer mit seinem Schuhmaterial haushalten muss, will er nicht ausgerechnet bei einem zünftigen Angriff aufs gegnerische Tor fehlen, weil seine Sohlen sich lösen und er neue Fußbekleidung braucht? Oder Tennis: Das Spiel leidet seit Langem unter den ewig gleichen Assen, die von muskulösen Damen und Herren öde übers Netz geprügelt werden. Würde aber der Schläger bei allzu druckvollem Spiel dem Athleten quasi in der Hand zerfallen, wandelte sich der Sport wie von selbst. Sensibel müsste man den Ball übers Netz löffeln, trickreich vorgehen. Alles ganz neu anlegen.
Übrigens finde ich das mit den Reifen in der Formel 1 zu zögerlich. Warum zerfällt nicht das ganze Auto während eines Rennens, sodass Auspuffreparaturen, Zylinderwechsel, gar Motoraustausche notwendig werden? Interessant wäre auch, Herr Vettel müsste seinen während eines Rennens zerbröckelnden Wagen ins Ziel schieben. Oder er ginge überhaupt die letzten drei Kilometer zu Fuß, ein halbes Lenkrad unter dem Arm, während ihm die Schuhe von den Füßen fallen und neben ihm Herr Räikkönen seine letzte intakte Felge vor sich her rollt – was für herrliche, spektakulär-aufregende Fernsehbilder!
Illustration: Dirk Schmidt