In Oliver Sacks’ Buch Die feine New Yorker Farngesellschaft wird ein Mann namens Rodrigo de Jerez erwähnt, der mit Kolumbus nach Amerika segelte und dort, auf Kuba, zum ersten Mal Menschen rauchen sah. Jerez gewöhnte sich ebenfalls das Rauchen an. Aber als er nach Europa zurückkehrte und seine spanischen Nachbarn dort aus seinem Mund und seiner Nase Rauch steigen sahen, meldeten sie das der Inquisition: Der Mann war ja wohl des Teufels, wenn in ihm ein Feuer brannte. Jerez wurde eingekerkert. Der erste europäische Raucher saß im Knast.
Als er sieben Jahre später entlassen wurde, war Rauchen in ganz Spanien Mode geworden. Sacks hat berühmtere Bücher als dieses geschrieben, Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte zum Beispiel. Aber dieses kleine Werk ist nicht weniger großartig. Sacks, der Neurologe, reist mit einer Gruppe auf Farne spezialisierter Hobby-Botaniker nach Mexiko. Doch entdeckt er dort ganz andere Dinge als seltsame Pflanzen, das Volk der Zapoteken zum Beispiel, bei dem ich immer sehr aufpassen muss, dass ich nicht aus Versehen Zatopeken schreibe, weil ich an Emil Zátopek denke, den berühmten Langstreckenläufer, die tschechische Lokomotive, viermal Olympiasieger 1948 und 1952.
Die Zapoteken hatten ein Ballspiel, in dem der Ball mit dem ganzen Körper berührt werden durfte, aber nicht mit Händen oder Füßen, wobei der Ball größer als ein Basketball war und aus Vollgummi – also, das muss irre gewesen sein, anstrengend und verletzungsträchtig. Erst die Azteken machten daraus ein Kampfspiel, für die Zapoteken war es eine Art stark symbolbeladenen Balletts. Bei den Azteken wurde dann der Anführer der Verlierer (manchmal auch der Sieger) geopfert und verspeist. Wenn man das auf den Fußball übertrüge, hätten wir schlagartig geringere Ablösesummen. Ronaldo ging für 117 Millionen Euro von Real Madrid zu Juventus Turin, man stelle sich vor, er hätte nach einer Niederlage gleich rituell verzehrt werden müssen, es wäre schade gewesen um das schöne Geld. Aber mit dem Starkult wäre es auch schnell vorbei; die gesamte deutsche Nationalelf wäre längst auf unseren Tellern gelandet in den vergangenen Jahren, das nur nebenbei.
Im Unternehmensteil der FAZ las ich einen Artikel über zwei österreichische Geschäftsfrauen, die von Hongkong und Shenzhen aus Mehlwurmzuchtstationen vertreiben, die man sich in die Küche stellen kann, als Proteinquelle. Man schmeißt altes Brot und Gemüsereste hinein, die von den Mehlwürmern verzehrt werden. Das Ganze sieht aus wie Kühlfächer eines Eisschranks, geruchsdicht. Aus den Mehlwürmern macht man Buletten, auch Mehl, alles hygienisch einwandfrei, man kann die Würmer sogar schockfrosten. Es ist eine Art weiteres Küchengerät. Man darf nur keine emotionale Beziehung zu den Mehlwürmern aufbauen, dann würde es schwierig.
Es wird immer deutlicher, dass wir uns mit einem solchen Leben als Wurmfarmer anfreunden sollten, je früher, desto besser, da müssen wir durch, fürchte ich. Insekten sollen gesund sein, von der Omega-3-Fettsäuren-Seite her betrachtet sind sie so gut wie Fisch. Außerdem brauchen sie nur zwei Kilo Futter, um ein Kilo Essgewicht zu erreichen, ein Rind muss für ein Kilo Fleisch ein Vielfaches davon fressen. Und ein Schwein produziert bis zu hundertmal mehr Treibhausgase pro Kilo als ein Wurm. Alles spricht für den Wurm, außer eben: dass er ein Wurm ist.
Meine Gedanken schweifen zu Rodrigo de Jerez. Erst hielt man ihn für den Teufel, weil er rauchte, dann rauchten alle. Heute finden wir Mehlwürmer ekelhaft, morgen werden wir sie essen. Früher hatte man Spitzensportler auf dem Teller, das macht man heute nicht mehr. The Times They Are a-Changin’, gebt mir gute Wurmrezepte, und ich fange sofort an, na ja, bald …