Achselhaare

Achselhaare sind zunächst einfach mal Haare unter den Achseln. Punkt. Nicht mehr und nicht weniger. Für sich genommen bedeuten sie nichts. Manche Menschen behaupten zwar, sich bei ihrem Anblick generell zu ekeln, aber das versehen wir mal gleich mit einem großen Fragezeichen. Zumindest ist die spontane Reaktion auf eine Achselhaar-Sichtung sicher eine völlig andere, wenn Bruce Willis im verschwitzten Unterhemd die Welt rettet, als wenn die Kollegin aus dem zweiten Stock zum ersten Mal im Sommerkleid im Büro erscheint. Was zeigt: Wie wir auf Achselhaare reagieren, ist schwer vom Kontext abhängig.

Auch der eher überraschende Anblick am Frauenkörper kann keineswegs für sich allein stehen, wir bemühen uns sofort, zusätzliche Signale aufzufangen, um die Sache einzuordnen. Die Achselhaare von Charlotte Roche, die vielfach gepierct auf Viva über Independent-Musik philosophiert, bedeuten etwas grundsätzlich anderes als jene vollbehaarte Aerobic-Gruppe aus dem tiefen deutschen Osten, die wir einmal in dem Film Halbe Treppe zu Gesicht bekommen haben.

Der letztere Anblick, das müssen wir zugeben, hat seinerzeit einen starken spontanen Fluchtreflex ausgelöst. Es waren die Zusatzinformationen in diesem Bild, die so verstörend wirkten: der Eindruck, dass weder der Ost-Regisseur noch seine Darstellerinnen sich anscheinend die geringsten Achselhaar-Gedanken gemacht hatten, dass es zwar um einen Körper- und Schönheitsbegriff ging, der durch Aerobic thematisiert wird, Achselhaare dabei aber offenbar keine Rolle spielten. Da muss noch irgendwo ein Paradies existieren, könnte man sagen, eine Insel der Seeligen im Meer jenes weltweiten Konformitätsterrors, der nicht nur den Körper der modernen Frau – aber den vor allem – formt: Seht her, scheinen diese Frauen zu sagen, ist doch etwas ganz Natürliches, da haben wir uns noch nie Gedanken darüber gemacht. Warum aber fühlt sich dieses Paradies für viele Betrachter wie die Hölle an?

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Der Grund scheint ein tief sitzendes Gefühl zu sein, dass Sex gerade nichts Natürliches ist. Genau. Wie bitte? Was könnte natürlicher sein, als für den Fortbestand der eigenen Art zu sorgen? Aber das ist es ja gerade: Fortpflanzung ist schon etwas Natürliches, sie führt, auch nach dem jahrtausendealten Willen der Kirche, zu vielen Kindern und zu wenig Lust. Sex dagegen ist eine teilweise recht komplizierte Kulturtechnik, die idealerweise zu viel Lust und zu gar keinen Kindern führt – es sei denn, man entscheidet sich bewusst dafür, welche zu kriegen. Und immer da, wo Sex und Lust bewusste Kulturtechniken werden, bei den Griechen und Römern und auch schon davor, fangen die Menschen an, auch über ihre Körperbehaarung nachzudenken, sie zu verändern und zu manipulieren, mit Muschelzangen, mit Pech und Harz, mit Schlangenpulver und Ziegengalle. Als äußeres Zeichen der Emanzipation ihrer Lust, als Unabhängigkeitserklärung von der Natur. Weibliches Achselhaar, unschuldig getragen, transportiert daher eine subtile, aber erschreckende Botschaft: schlechter Sex, gefolgt von sofortiger Schwangerschaft.

Das bewusst getragene weibliche Achselhaar dagegen bedeutet das genaue Gegenteil, nämlich eine besonders intensive, ja obsessive Beschäftigung mit Sex und Lust. Das eint Pop-Rebellinnen wie die Schauspielerin Juliette Lewis, die Punk-Sängerinnen Peaches und Beth Ditto und die frisch gebackene Bestsellerautorin Charlotte Roche. Roche ist dabei sogar ein besonders komplexer Fall. Vordergründig positioniert sie sich mit ihrem Roman Feuchtgebiete als feministische Kriegerin für eine wiedergefundene Natürlichkeit – die Haare sollen sprießen, wo sie wollen, alles darf schleimen und stinken, wie die Natur es vorgesehen hat. In Wahrheit aber propa-giert sie das exakte Gegenteil, nämlich immer komplexere und anstrengendere Sextechniken, die sich weiter und weiter von der Natur entfernen.