Ende Januar beginnt offenbar der Abriss des Berliner Palastes der Republik. Angesichts der Diskussionen um die Perspektiven dieser Entscheidung und den möglichen Wiederaufbau des Schlosses lohnt es sich, noch einmal auf die jüngere Vergangenheit des Gebäudes zurückzublicken: Der Anlass für die rasch durchgesetzte Schließung im Oktober 1990, nur acht Tage nach der Wiedervereinigung, war bekanntlich die Verseuchung des Gebäudes mit Asbest. Vor 15 Jahren wirkte diese Begründung wie eine willkommene Verschiebung der Debatte von der Politik hin zur Medizin; dass der repräsentativste Bau des DDR-Staates schlicht aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr genutzt werden durfte, rückte jede ideologische Tendenz des Entschlusses in den Hintergrund. Tatsächlich könnte man sich heute, kurz vor dem endgültigen Verschwinden des Palastes, noch einmal über genau dieses Verhältnis von politischer und medizinisch-hygienischer Argumentation Gedanken machen. Denn die Frage stellt sich, ob »Asbest« tatsächlich eine bloße mineralische Kategorie ist, frei von jeder kulturellen Bedeutung. Mitte der neunziger Jahre wurde bekannt, dass ein zweites repräsentatives Gebäude in Berlin flächendeckend mit Asbest abgedämmt war: das Internationale Kongresszentrum im Westen der Stadt. Man hatte dort sogar, wie in alten Zeitungsberichten nachzulesen ist, exakt dieselbe Ausschäumungstechnik wie im nur drei Jahre älteren Palast der Republik verwendet. Diese Entdeckung führte aber keineswegs zur sofortigen Räumung des Gebäudes; die Ersetzung des Asbests durch alternative Isoliermaterialien wurde vielmehr beiläufig, unter Aufrechterhaltung des regulären Betriebs, vorgenommen.Im Unterschied der Reaktionen auf diese beiden Fälle wird die politische Funktion des Materials deutlich: Asbestdiagnosen werden eingesetzt, um die Giftigkeit eines Gebäudes auch in symbolischer Hinsicht zu untermauern. Zweifellos: Die massive Gesundheitsschädlichkeit des Stoffes ist unbestritten; sie wurde bereits Anfang des 20. Jahrhunderts, kurz nach Beginn der industriellen Nutzung, in einer Vielzahl von Untersuchungen festgestellt. Die feinen Nädelchen des Asbeststaubes können zu einer Zersetzung der Lunge führen; Asbestherstellung und -verbreitung sind daher in Deutschland seit Mitte der 1990er Jahre auch verboten. Dennoch ist der öffentliche Umgang mit dem Material aufschlussreich – ob besonnen oder hysterisch auf seine Entdeckung in älteren Bauwerken reagiert wird. Es müsste einmal eine politische Geschichte des Asbests geschrieben werden: In ihr würde sich vermutlich offenbaren, dass die Substanz in den letzten Jahrzehnten immer dann verstärkt ins Spiel kam, wenn ideologisch, ästhetisch oder städteplanerisch unliebsame Gebäude ausgemerzt werden sollten. Gegenwärtig lässt sich dieser Prozess auch in den Debatten um den umstrittenen Tour Montparnasse in Paris beobachten: Die Argumentation der Gegner, dass das Hochhaus ein Schandfleck im Bild der Stadt sei und abgerissen werden müsse, wird gerade durch den Asbestvorwurf gestützt.Zudem ist der Verdacht berechtigt, dass in Zeiten nach einem politischen Umbruch die Architektur der überkommenen Regierungsform durch das Asbestargument gewissermaßen pathologisiert wird. Das Beispiel Palast der Republik hat dies in den letzten 15 Jahren gezeigt: Das Gebäude beherbergte wie kein anderes die Kultur des gegnerischen Systems; die mächtige Konstruktion aus Glas und Stahl wurde überdies als Essenz sozialistischer Architektur in Deutschland wahrgenommen. In dem Schlagwort »Asbest« verdichtete sich nach 1989 das Dämonische des Bauwerks. Sofortige Schließung und restlose Entkernung waren nicht in erster Linie medizinische Notwendigkeit (es hätte durchaus diskretere Möglichkeiten gegeben), sondern eher ein exorzistischer Akt.