Espresso-Kapsel

Auf dem stagnierenden Markt für Kaffee sorgen die Kapsel-Systeme von Nespresso (Nestlé), Senseo (Philips/Sara Lee) und etlichen Nachzüglern derzeit für unerwartete Gewinne. Worin liegt der besondere Reiz der Espresso-Kapseln, die die Kunden dazu animieren, einen bis zu viermal höheren Preis für ein Kilo Kaffee zu bezahlen? Am auffälligsten ist vielleicht die Überlappung von privatem und öffentlichem Raum, die mit dem Gebrauch der Kapseln einhergeht. »Bringt den Coffeeshop nach Hause«, verspricht der Slogan eines Anbieters, und genau darum geht es: Das Trinkerlebnis in den Espresso-Bars der Innenstädte soll in der heimischen Küche imitiert werden – die Kapsel offeriert nur eine einzelne Portion; nach der Zubereitung einer Tasse bleibt kein Rest übrig. Nicht umsonst spielt etwa der Fernsehspot für Nespresso mit George Clooney in einem öffentlichen Coffeeshop, obwohl doch ein Getränk für den Hausgebrauch beworben wird. Der weitreichende Unterschied zwischen herkömmlichem Kaffeeangebot und den neuen Kapseln lässt sich also gerade von den Locations der Werbespots her erklären: War die Reklame für die Filterkaffee-Packungen stets im behaglichen Wohnzimmer angesiedelt, sollte das »Verwöhnaroma« des Kaffees die Familie oder den sonntäglichen Besuch umgarnen, verabschiedet sich die Anpreisung der Espresso-Kapsel radikal von aller häuslichen Gemeinschaft und rückt die Existenz der angesprochenen Kundengruppe ganz in die Passantenwelt der Kaffeebars. Das »To go«-Gefühl soll sich noch in den eigenen vier Wänden einstellen. In der Espresso-Kapsel versinnbildlicht sich das bekannte gesellschaftliche Symptom, dass das Leben im familiären Rahmen mehr und mehr an Bedeutung verliert. Das Ein-Portionen-System ist die adäquate Praxis allein lebender Großstädter. Man muss sich nur das Personal der Werbespots für das neue Produkt ansehen: die immergleichen Singles Ende zwanzig in interessanten Berufen, ständig auf dem Sprung. Und wenn doch einmal ein Paar als Protagonisten ausgewählt wird, wie in jenem Fernsehspot für Senseo, der vor einem Wohnhaus auf einer Meeresklippe spielt, dann sorgt die Frau dafür, dass der Mann hinunter in die Tiefe stürzt, damit sie in Ruhe ihren Espresso trinken kann. Mit übersteigerter Drastik wird hier aber etwas deutlich, was für die Kultur der Espresso-Kapsel tatsächlich gilt: Es ist eine lustvolle Feier der Vereinzelung. Im verfügbaren Produktspektrum steht die Kapsel genau am anderen Ende der »Familienpackungen« aus dem Großmarkt. Wo die großzügigen Behälter mit Kaffee-, Kakao- oder auch Waschpulver auf den steten Alltag eines vielköpfigen Haushalts zugeschnitten waren, scheint die Schatulle mit Einzelkapseln für den bestimmt zu sein, dessen hochmobile Existenz keine Kontinuitäten kennt, der frühmorgens noch nicht weiß, ob die Zeit bis zum nächsten Espresso zu Hause ein paar Stunden oder ein paar Tage beträgt. Offe-nes Pulver als Darreichungsform von Nahrungsmitteln wird in diesem Lebensmodell nur noch als »Angebrochenes«, als verderblicher Rückstand wahrgenommen. Es ist aber nicht nur die Soziologie des Kaffeetrinkens, die mit der Espresso-Kapsel in ein neues Zeitalter tritt. Auffallend an den Nespresso- oder Senseo-Systemen ist zudem eine Verkaufsstrategie, die bereits im Zusammenhang mit Druckergeräten oder Mobiltelefonen zu beobachten war: dass das Angebot von erstaunlich preisgünstiger Hardware an kostspielige Füllungen gekoppelt wird. Die aufwändigen Espressomaschinen, teilweise für unter 50 Euro zu haben, sind allein mit den zugehörigen überteuerten Kapseln vereinbar; wo auch Billigprodukte namenloser Hersteller kompatibel wären, wie etwa bei den leicht kopierbaren Senseo-Pads, hat Philips erfolgreich auf Unterlassung geklagt. Die so wortreich angepriesene Unabhängigkeit und Mobilität der Kunden, die mit den Kapseln gefördert werden sollen, wird auf diese Weise, durch die strikte Beschränkung auf eine Produktkombination, wieder zurückgenommen. Merkwürdige Errungenschaft unserer Zeit: Die Anbindung an Orte wird allgemein als Zeichen von Rückständigkeit aufgefasst; die Anbindung an Marken gilt als Zeichen von Modernität.