Der Mensch erfand Getränke. Er presste Obst aus – Äpfel, Orangen, Kirschen –, alles, was ihm in die Finger kam, und er erfreute sich am intensiven Geschmack dieses Aggregatzustands.
Er ließ Traubensaft gären und stellte fest, dass mit der Zeit eine eigentümlich, aber gut schmeckende Flüssigkeit entstand, die obendrein ein angenehmes Gefühl macht. Er experimentierte mit künstlichen Aromastoffen und Zucker und Kohlensäure und anderen Zusätzen wie Koffein und entwickelte sogenannte Softdrinks, die so soft gar nicht waren, sondern ziemlich harte Geschmackshämmer, supersüß und supersauer und superbitter. Der Mensch, er mochte das.
Wie kommt es also, dass wir heute in einer komplett verschorlifizierten Welt leben? Man sehe sich mal um: Allenthalben wird Apfelsaftschorle getrunken; was ja als Sportgetränk absolut sinnvoll, aber als normales Getränk einfach nicht ganz so apfeliger Apfelsaft ist.
Dann die Modeschorlen mit verwässertem Rhabarbersaft, Kirschsaft, Cranberrysaft. Weißweinschorle letztlich ist der Gipfel der Halbierung: Man trinkt zwar Alkohol, kann aber doppelt so viel zu sich nehmen, bis man gleich betrunken ist. Wer soll das noch verstehen? Wein, der einfach nicht ganz so doll Wein ist? Und jetzt noch das: Gerade kommt »Almdudler G’spritzt« auf den Markt – diese herbe, süße Limonade also in einer Variante, in der sie nicht ganz so herb und süß ist. Genau das ist Schorle: »Nicht ganz so.« Wir ziehen heute die abgeschwächte Version dem Original vor. Natürlich, Schorles sprechen für ein Gesundheitsbewusstsein, das eigentlich zu begrüßen ist. Klar
ist die Hälfte des Zuckers eines Almdudlers besser für uns als die ganze Einheit. Aber es wäre doch noch besser, einfach nur Wasser zu trinken gegen den Durst! Und dafür ein richtiges, hochkonzentriertes Getränk zum Genuss. Denn vielleicht ist ja die Schorlifizierung nicht unsere erwachsene Vorliebe für Gesundes, sondern eine infantile Abneigung gegen geschmacksneutrales Wasser?
Vielleicht ist es aber auch der gleiche Mechanismus wie ein Hybridauto zu kaufen, anstatt einfach auf die öffentlichen Verkehrsmittel umzusteigen – sich schlicht und einfach vor dem Verzicht zu drücken? Überhaupt: Ist dieses »nicht ganz so« nicht der Refrain unserer Zeit? Skinny Jeans – hauteng wie Leggins, aber nicht ganz so explizit? Latte Macchiato – Kaffee, aber nicht ganz so bitter? Lebensabschnittspartner – Ehe, aber nicht ganz so fix? Grafiker – Künstler, aber nicht ganz so mutig?
Vielleicht sagt unsere Neigung zum Verwässern etwas über den Zustand der Welt aus.