Die Welt der Bücher ist gerade von einer bestimmten Leserreaktion geprägt: der Enttäuschung nach der Lektüre eines skandalumwitterten Werks. Was, das soll alles gewesen sein? Kaum eine Amazon-Besprechung, kaum eine Diskussion auf Facebook oder in der Bürokantine über die aktuellen Bestseller, die nicht auf dieses Fazit hinauslaufen, wenn der Furor der Vorberichte mit dem eigenen Leseerlebnis abgeglichen wird. Philipp Lahms Der feine Unterschied ist nur das jüngste Beispiel: Die öffentliche Erregung, die dieses Buch sofort an die Spitze der Bestsellerlisten gehoben und ein anderes skandalträchtiges Werk auf Platz zwei verdrängt hat, löst sich schon nach wenigen Seiten in lieblicher Harmlosigkeit auf. Lahm hat eine Mischung aus Autobiografie, Motivationshandbuch und ermüdender Nacherzählung von Fußballspielen abgeliefert. Sein zentrales Stilmittel ist dabei die Tautologie: »Ich denke, dass Fußball eben immer Fußball bleibt«; »Ein Freundschaftsspiel ist ein Freundschaftsspiel«; »So ist Fußball«; »Fußball funktioniert eben so«; »So einfach ist Fußball«. Ja gut, sicher. Aber woher die Empörung?
So unterschiedliche Bestseller wie Deutschland schafft sich ab, Schoßgebete oder Der feine Unterschied sind in dieser Hinsicht vergleichbar: Der immense Erfolg der Bücher verdankt sich einem Außerhalb des Textes, ist Effekt einer von verzerrenden Vorabdrucken und prominenten Frühlesern befeuerten Debatte, über die sich die Käufer mit eigenen Augen ein Urteil bilden wollen. In der Geschichte literarischer Skandale gibt es vielleicht zwei bestimmende Muster: einmal den ästhetischen Skandal, wie er von den irritierenden Schreibweisen moderner Literatur hervorgerufen wurde, und zum anderen den Skandal unklarer Autorschaft, den Verdacht des Plagiats. Auf die Bestseller der vergangenen Monate trifft keine der beiden Varianten zu: Die Aufregung war von Anfang an von den Buchstaben abgekoppelt, förderte zwar Verkaufszahlen und Autorenprominenz, führte bei den tatsächlichen Lesern aber zu kollektiver Ernüchterung. Die politische Analyse entpuppt sich als Aneinanderreihung von Zahlenkolonnen, das Manifest weiblicher Sexualität als delirantes Geplapper – und die Mitteilungen aus dem Innersten der Fußballwelt als biederes Sportlermärchen. Die publizistische Strategie, Lahms Buch im Vorfeld als explosives Gemisch zu präsentieren, verdient Beachtung. Sie konnte nur aufgehen, weil sie, wie auch die Bücher von Charlotte Roche, eine Übertretung versprach: Nachrichten aus einer gewöhnlich verhüllten, unzugänglichen Zone. Die Kabine ist die Vagina des Sports.
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