(Im Bild: Philippe Starck mit einem von ihm entworfenen Bierglas, Foto: AFP)
SZ-Magazin: Herr Starck, lassen Sie uns über Design und Ethik sprechen. Vor 90 Jahren wollte das Bauhaus mit Design und Idealismus die Welt verändern. Sind die Bauhaus-Ideale heute Wirklichkeit?
Philippe Starck: Idealismus ist eine gute Sache. Er ist das, was dem Design heute fehlt. Ich denke, ja, die Ziele des Bauhauses sind erreicht. Es gründete sich ja auf die Eleganz der Industrialisierung mit dem Ziel, gute und bezahlbare Produkte herzustellen für jedermann. Sie konnten das damals noch nicht erreichen, weil ihnen die Technologie fehlte. Heute aber ist diese Idee Wirklichkeit. Sehen Sie sich selbst auch in dieser Tradition?
Aber ja, vollkommen. Das Bauhaus war eine funktionalistische Bewegung, doch damals vor 90 Jahren war die Funktion ein enger Begriff. Man dachte nach über Material, über Kosten, über Gewicht, über Produktion und so weiter. All diese Parameter waren materialistisch, auch wenn die Ideale sehr politisch waren. Dazwischen aber ist viel geschehen, zum Beispiel gab es Sigmund Freud und Jacques Lacan. Auch ich bin Materialist, zwangsläufig. Sie bogen Metall, ich bringe zum Beispiel Plastik in eine Form. Daneben aber zählen für mich viele immaterielle Parameter wie der Sex, die Symbolik, die Sinnlichkeit. Sie erschlossen mir neue kreative Territorien. Nehmen Sie meinen Plastikstuhl „Louis Ghost": Er ist eine Art postfreudianischer Bauhaus-Stuhl.
Wie wichtig ist Ethik im Design?
Leider gibt es viel zu viele Gestalter, denen es nur um nette Produkte geht. Doch Moral ist unabdingbar für Design. Für mich zumindest, wenngleich es mir nicht immer gelingt, meine Ideale zu 100 Prozent umzusetzen. Ich versuche es zumindest. Nehmen Sie meinen Katalog der „Good Goods" oder mein Programm des „Demokratischen Designs", das ich vor 30 Jahren ins Leben rief; mit dem Ziel, die Qualität von Produkten zu verbessern, den Preis zu reduzieren und den Vertrieb so zu gestalten, dass Design für alle zugänglich wird. All das ist heute erreicht. Man bekommt sehr gute Produkte zu vernünftigen Preisen. Aus diesem Grund habe ich mein Programm aktualisiert. Heute nenne ich es „Democratic Ecology".
Ist das die neue ethische Herausforderung - der Klimawandel?
In der Tat. Es ist das gleiche Denken, nun mit dem Ziel, Projekte und Produkte zu entwickeln, die es den Menschen ermöglichen, Energie zu sparen oder besser noch: Energie zu erzeugen. Hochtechnologie also zu erschwinglichen Preisen, die man überall kaufen kann und die leicht zu bedienen ist.
Zum Beispiel?
Letztes Jahr haben wir in Mailand unsere Windmühlen für den Hausgebrauch vorgestellt. Sie kommen im Sommer auf den Markt und es wird sie auch in Supermärkten geben. Die billigste kostet 500 Euro. Eine Stunde nachdem Sie eine gekauft haben, können Sie damit schon Energie auf Ihrem Dach erzeugen. Außerdem haben wir Patente angemeldet für neue Fotovoltaik-Oberflächen. Wir arbeiten an Solar-Booten, an Elektro-Autos.
Wo geht das Design der Zukunft sonst noch hin?
Design wird verschwinden. Aus zwei Gründen: Design wird so verschmelzen mit jedem nur denkbaren Prozess oder Projekt, dass das Wort Design obsolet wird. Die Trennung von Entwurf und Produktion löst sich auf. Alles wird Design sein, mehr noch als es heute schon der Fall ist. Es wird aber auch aus einem anderen Grund verschwinden: Die Geschichte unserer Zivilisation zeigt, dass wir immer mächtigere Technologien erfinden, gleichzeitig ihre Materialität aber auflösen. Der erste Computer war so groß wie ein Haus, heute sind Computer so klein wie ein Briefumschlag. In sechs Jahren werden Computer in unserem Körper sein. Alles wird kleiner, verlegt sich ins Internet, löst sich auf. Was sollen die Designer dann noch designen? Der Designer der Zukunft ist vielleicht ein persönlicher Coach, zuständig für Diät und Gymnastik.
Sie wollen ja selbst nicht als Designer bezeichnet werden. Wie nennen Sie das, was Sie tun?
Ich habe so viele Dinge gemacht, ich weiß nicht, ob Design der richtige Begriff dafür ist. Ich sehe mich eher als normaler Bürger, der über Dinge wie Evolution, Politik oder den Alltag nachdenkt. Der Zufall wollte es, dass mein Ausdrucksmittel das Design ist. Was anderes kann ich nun mal nicht. Ich hätte genauso gut ein Sänger oder Journalist werden können.
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Wären Sie das lieber geworden?
Mein Ziel war es nie ein Designer zu werden, ich bin einfach jemand, der partizipieren will an unserer Gemeinschaft. Es gibt viele, die lieben Design als Disziplin. Sie bauen ihr ganzes Leben darauf auf. Ich respektiere das, aber mir ist Design vollkommen egal. Geben Sie mir ein besseres Ausdrucksmittel für mich und ich wechsle noch heute das Fach!
Es ist ein wenig lustig, wenn der berühmteste Designer der Welt das sagt.
Vielleicht bin ich ja der berühmteste Designer gerade weil ich so denke, wie ich denke. Weil ich auf einer höheren Ebene arbeite. Weil meine Visionen der Biologie, der Mathematik, der Politik entspringen? Ein Designer, der nur über Design nachdenkt - das ist nicht genug.
Radiowecker, Teddybären, Brillen, Hotelzimmer... Sie haben fast alles entworfen. Gibt es etwas, was Sie nicht designen würden?
Ich lehne jeden Tag Vorschläge ab. Wir sind ein ethisches Unternehmen, mit einer eigenen Charta, die seit mehr als 30 Jahren gilt. Ich arbeite nicht fürs Militär, nicht für Hersteller von harten Alkoholika, nicht für Tabakunternehmen. Wir arbeiten auch nicht für Religionen. Wir entwerfen auch keine Dinge, die von seltsamem Geld bezahlt werden. Und auch nicht für die Ölindustrie. All das umfasst etwa 50 Prozent unserer Anfragen. Die sortiert mein Assistent sofort aus und schmeißt sie weg. Dabei geht es mir nicht um Perfektion, ich bin ja auch nur ein Mensch. Manchmal mache ich Sachen nur des Spaßes wegen.
Gibt es so was wie böses Design? Böse nicht nur im praktischen Sinn, sondern auch ästhetisch?
Gut und böse ja. Ästhetik als Kategorie existiert nicht für mich. Sie ist den Moden unterworfen und dem Zeitgeist.
Aber es gibt schöne und hässliche Stühle, oder nicht?
Nicht für mich. So denke ich einfach nicht. Jedes Ding ist eine Balance aus diversen Parametern. Was der eine hässlich findet, kann für mich interessant sein. Ich werde nie etwas verdammen aus ästhetischen Gründen. Der Gegensatz zwischen schön und hässlich interessiert mich überhaupt nicht.
Die Bauhaus-Meister sahen in der Schönheit der Dinge auch ein erzieherisches Moment.
Vieles vom Bauhaus ist heute noch so relevant, weil die Meister eben nicht in Kategorien wie schön und hässlich gedacht haben. Es ging doch um pure Funktionalität, das macht das Bauhaus so interessant. Es ging um intelligentes Design, nicht um schönes Design. Schönheit ist doch ein leerer Begriff.
Wir müssen noch über Ihr Weltraum-Projekt „Virgin Galactic" mit Richard Branson sprechen. Wann wird der erste Tourist abheben?
Ich weiß es nicht, fragen Sie Richard. Bald hoffentlich.
Nicht jeder wird sich solch eine Exklusivreise ins All leisten können.
Noch nicht, aber der Preis wird runter- und runtergehen. Das ist das Gesetz der Demokratisierung. Er wird sich bei einer vernünftigen Höhe einpendeln und etwas ermöglichen, wovon die Menschheit von jeher träumt. Dieser Traum gehört zum romantischen, ja poetischen Erbe der Menschheit. Wir wollten immer schon fliegen. Das ist Teil unserer DNA. Wir sind die einzige Spezies, die ihr Habitat verändert. Wir müssen uns also irgendwann eine Lösung dafür einfallen lassen, wie wir überleben, wollen wir in vier Milliarden Jahren nicht mit der Sonne verglühen.
Etwas Zeit bleibt uns noch.
Vielleicht brauchen wir gar nicht so viel. Wir müssen ja in anderen Zeitordnungen rechnen. Vor vier Milliarden Jahren waren wir noch Bakterien. Welch ungeheure Evolution hat sich seitdem entwickelt! Wir stehen an der Schwelle unseren Planeten zu verlassen. Was wird erst in ein Paar Milliarden Jahren sein? Werden wir ein Spray sein, eine mathematische Formel, ein immaterielles Zittern?