Die Gewissensfrage

»Alle paar Wochen bringe ich einer alten Frau eine große Tüte mit Lebensmitteln, um ihre sehr geringe Rente etwas aufzubessern. Ich kaufe die Sachen in Billiggeschäften wie Aldi und Lidl, habe dabei aber immer ein schlechtes Gewissen, weil ich Nahrungsmittel für meinen eigenen Bedarf nicht dort kaufe, sondern dafür in andere Supermärkte gehe. Indes haben die Billigläden viele Kunden und die dort angebotenen Waren sind sicher nicht schlecht. Was meinen Sie dazu?« HELGA W., FÜRTH

Zunächst einmal ein Kompliment für Ihr Handeln, an dem wenig herumzumäkeln ist. Wenn ich hier auf Ihre Bedenken eingehe, betreiben wir lediglich so etwas wie Gewissensfeinabstimmung. Dafür würde mich interessieren, warum Sie selbst nicht bei Aldi & Co einkaufen. Sie gehen ja davon aus, dass die Waren dort in Ordnung sind – andernfalls schiede es ohnehin aus, sie der bedürftigen Rentnerin zu überlassen. Womöglich haben Sie Bedenken, dass das Geschäftsmodell Billiglebensmittelketten die industrielle Landwirtschaft befördert und bäuerliche wie Einzelhandelsstrukturen zerstört; eine Entwicklung, die Sie nicht unterstützen wollen. Diese Sichtweise teile ich völlig, aber dann handeln Sie schlicht unlogisch. Der Umsatz fließt in diese Kassen, egal ob Sie ihn für sich oder für andere tätigen. Das Gleiche gilt, falls Sie Gedränge und Anstehen nerven. Auch dabei macht es keinen Unterschied, für wen Sie den Einkaufswagen schieben. Bleibt schließlich die Qualität. Sie erachten die Waren nicht für schlecht, vielleicht aber auch nicht für hochwertig und bevorzugen deshalb für sich selbst Besseres. Dann hätte das Discount-Samaritertum tatsächlich den Ruch des Zweiklassendenkens. Andererseits ergibt es auch kein schönes Bild, jemandem, dem es am Nötigsten mangelt, statt einer großen Tüte mit Lebensmitteln fürs gleiche Geld ein kleines Päckchen mit Spezereien vom Feinkostgeschäft vor die Nase zu setzen. Meiner Ansicht nach lassen sich die unguten Gefühle am besten ausräumen, wenn man den Blickwinkel wechselt. Sie kaufen ja für die alte Dame ein, sollten also deren Wertmaßstäbe heranziehen: was sie bevorzugt, wo sie selbst einkauft oder einkaufen würde, engten sie nicht die körperlichen und finanziellen Fesseln. Legen Sie das zugrunde, setzen Sie Ihre Zuwendung – gegebenenfalls auch vom Discounter – am besten ein: mit Respekt für die Persönlichkeit der Empfängerin.