Die Gewissensfrage

»Mein Partner und ich wollen uns Wohneigentum zulegen. Nun sind die Preise in München nicht gerade niedrig, deshalb überlegen wir, eine Wohnung oder ein Haus zu ersteigern. Bei Zwangsversteigerungen kann man Immobilien, wenn kein Gegengebot kommt, zu 70 Prozent des Gutachterwertes bekommen. Meist wird jedoch gegen den Willen des Eigentümers versteigert, etwa, weil der die Tilgung nicht mehr bezahlen kann, und da stellt sich die Frage, ob wir die Notlage eines anderen ausnutzen. Sollten wir die Finger davon lassen?« TINA D., MÜNCHEN

Zur ersten Frage: Ja, Sie nutzen die Notlage eines anderen, und ja, Sie ziehen einen Vorteil gerade aus dieser Not. Ohne Zwang würde der bisherige Besitzer sein Eigentum nicht hergeben, schon gar nicht unter Wert. Und am regulären Immobilienmarkt bekämen Sie kein solches Schnäppchen. Damit scheint sich Ihre zweite Frage ohne weiteres Nachdenken fast von allein zu beantworten: Will man sich nicht die Hände moralisch schmutzig machen, sollte man von so etwas wohl besser die Finger lassen.Auf der anderen Seite ist das vielleicht doch zu kurz gedacht. Was passiert, wenn Sie aus ethischen Erwägungen heraus nicht mitbieten? Der Zuschlag wird bei einem geringeren Gebot erfolgen, der Eigentümer erhält, nachdem sich die Bank ihren Teil genommen hat, weniger oder er muss, weil es nicht zur Tilgung reichte, weiterhin abbezahlen; nun allerdings ohne Haus. Ihm ist also nicht gedient, wenn Sie sich zurückhalten – im Gegenteil: Sie schaden ihm sogar. Woher der Widerspruch? Ist man der »Wenn ich’s nicht mache, macht’s ein anderer«-Ausrede auf den Leim gegangen? Nein, wie sich leicht überprüfen lässt: Würde keiner mitsteigern, die Maxime, sich dem zu verweigern, allgemeines Gesetz, bliebe der Schuldner zwar Eigentümer, aber weiterhin auf seinen stetig wachsenden Verbindlichkeiten sitzen. Vor allem aber könnte in Zukunft keine Bank mehr Darlehen auf Immobilien als Sicherheit gewähren. Wenn, muss man hier ansetzen mit den entsprechenden Konsequenzen für das Wirtschaftssystem; immerhin war und ist in etlichen Religionen das Verleihen von Geld gegen Zinsen untersagt und die hohe Zahl von überschuldeten Privatleuten legt zumindest ein Nachdenken darüber nahe. Akzeptiert man jedoch das Prinzip Kreditfinanzierung als solches – was Sie wohl tun oder wollten Sie das Häuschen bar bezahlen? –, muss sich das trotz etwaiger Bauchschmerzen auch auf die Zwangsversteigerung erstrecken.