Die Gewissensfrage

»Wenn ich für Freunde koche, benutze ich manchmal Nahrungsmittel, die mir selbst zu ungesund wären. Einerseits weiß ich, dass meine Gäste solche Zutaten selbst benutzen. Andererseits frage ich mich, ob ich es verantworten kann, anderen etwas vorzusetzen, was ich für schädlich halte. Mein Motiv dabei: Egoismus; ungesund lässt es sich oft leichter kochen und das Lob fürs gute Essen gilt dann mir.« SUSANNE B., MÜNCHEN

Während ich über den Kern Ihrer Frage nachdachte, erschienen vor meinem geistigen Auge eine mehrstöckige zuckerglasierte Buttercremetorte und ein honiggesüßter Dinkel-Grünkern-Rübli-Kuchen. Viele Menschen befürchten sicherlich, nach Genuss der Torte an Diabetes, Übergewicht und Verstopfung zu sterben, andere, wohl auch Ihre Gäste, meinen eher: Lieber das als der sofortige Tod durch Ersticken am Vollwertgebäck.Nun sind schädliche, gar tödliche Lebensmittel nichts Neues, sondern ein altbekanntes Phänomen in der Philosophie; Sokrates leerte den Schierlingsbecher, um nicht gegen die Gesetze des Staates zu verstoßen. Hier stellt sich die Frage, welches Verhalten einen Verstoß gegen die Gesetze der Gastfreundschaft darstellt.Wer über die Todesart der Gäste entscheiden darf, ist ein Spezialfall der allgemeinen Überlegung: Nach wessen Geschmack sollte sich die Gestaltung einer Einladung richten? Nach dem der Gäste oder dem des Gastgebers? Man kann es so halten wie Prinz Orlofsky in Johann Strauß’ Operette Die Fledermaus. Er erläutert in seinem ebenso sprichwörtlichen wie hier passenden Couplet »Ich lade gern mir Gäste ein«: Wer sich nicht nach seinem Gusto verhält, fliegt raus oder bekommt eine Flasche an den Kopf. Seine Begründung dafür ist einfach: »’S ist mal bei mir so Sitte: Chacun à son goût!«Ich sehe es jedoch genau umgekehrt. Primär soll es den Gästen gefallen und schmecken, also darf die Zutatenauswahl dem nicht entgegenlaufen. Dass sich das im Lob der Geladenen widerspiegelt, liegt in der Natur der Sache und ist deshalb für den Gastgeber gleichermaßen erfreulich wie moralisch unbedenklich.