Die Gewissensfrage

»Unsere Ehe ist bisher kinderlos geblieben. Mein Mann, Wissenschaftler und ein Verfechter der neuen Errungenschaften der Forschung, plädiert dafür, eine künstliche Befruchtung machen zu lassen. Ich kann es jedoch nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, Kinder herstellen zu lassen. Ist es heutzutage noch berechtigt, sich diesbezüglich die Gewissensfrage zu stellen oder sind meine Probleme nur die eines den neuesten Stand der Wissenschaft ignorierenden Hinterwäldlers?« MARIANNE N., MÜNCHEN

Natürlich ist es hier mehr als berechtigt, sich eine Gewissensfrage zu stellen! Im Gegenteil, ich hielte es für falsch, sich in einer derart zentralen Frage des Lebens die eigene Bewertung zu ersparen. Wenn Sie eine künstliche Befruchtung mit Ihrem Gewissen nicht vereinbaren können, so stellt das Ihre ureigenste Entscheidung dar. Ihre Auffassung wird von einer Reihe von Stimmen geteilt; ich halte sie allerdings keinesfalls für zwingend und vertrete persönlich eine andere Meinung. Bei der geplanten Maßnahme dürfte es sich um eine In-vitro-Fertilisation handeln, bei der die Eizellen von Ihnen stammen, der Samen von Ihrem Mann und die Befruchtung außerhalb des Körpers im Reagenzglas stattfindet. Abgesehen von den medizinischen und psychischen Schwierigkeiten wie der Belastung durch Hormonbehandlung und einer Erfolgschance von lediglich 10 bis 20 Prozent pro Behandlung geht diese Methode jedoch auch mit ethischen Problemen einher. Dazu zählen die relativ hohe Rate an absterbenden Embryonen und die Eröffnung der Möglichkeit zu ethisch kritischeren Techniken wie der Selektion von Embryonen oder deren Verwendung zu anderen Zwecken. Dem gegenüber steht, neben den Interessen der Kinder, die ohne diese Prozedur nie zur Welt kämen, vor allem Ihre Möglichkeit zur Fortpflanzung, die Ihnen anders womöglich verschlossen bleibt. Sie selbst können darauf jederzeit verzichten, bedenklich würde es, wenn es Ihnen ein Fremder verwehrte. Und keinesfalls müssten Sie sich als Frau zugunsten zukünftiger Kinder oder der Wünsche Ihres Mannes aufopfern.Ihnen scheint es jedoch vor allem um die »Künstlichkeit« des Zeugungsvorgangs zu gehen, was Sie – meiner Meinung nach eher zu Unrecht – das »Herstellen von Menschen« nennen. Ähnlich argumentiert auch die katholische Kirche; sie erachtet künstliche Insemination und Befruchtung als »unsittlich, weil sie die Zeugung von dem Akt trennen, bei dem sich die Gatten einander hingeben, und so eine Herrschaft der Technik über den Ursprung und die Bestimmung der menschlichen Person errichten«. Ich persönlich kann allerdings in einem Vorgang, der auf ausdrücklichen Wunsch informierter Eltern erfolgt, keine Herrschaft der Technik und erst recht keine Unsittlichkeit erkennen. Zudem bezieht sich die Künstlichkeit hier ja lediglich auf die technischen Umstände, während die eigentliche Zeugung, die Verschmelzung der beiden Zellkerne, nicht kontrolliert wird; welcher Mensch entsteht, bleibt also weiterhin dem natürlichen Ablauf überlassen. Deshalb sehe ich hier auch die Menschenwürde nicht gefährdet. Die bewusste Gestaltung seines Lebens gehört mit zum Wesen des Menschen. Nicht schon allein, dass er es gestaltet, sondern wie und mit welchen Absichten, kann eine Bedrohung seiner Würde darstellen. Diese Gefahr scheint mir hier bei der rein technischen Unterstützung eines natürlichen Vorgangs ohne Eingriff in den Vorgang selbst nicht gegeben.Aus diesen Gründen teile ich Ihre Bedenken zwar nicht, respektiere sie jedoch.