Die Gewissensfrage

»Ich möchte mich mit einer keineswegs alltäglichen Frage an Sie wenden. Kürzlich entdeckte ich in meinen Unterlagen sechs Quittungen über die Seelen von früheren Zechkumpanen. Bis auf eine Ausnahme – eine Hotelerbin, deren Seele ich beim Knobeln gewonnen hatte – handelte es sich um Tunichtgute, die ihre Seele bereitwillig für ein Bier verkauft haben. Ich selbst bin zwar ohne Bekenntnis, würde die Seelen aber doch sicherheitshalber für das Jüngste Gericht in der Rückhand behalten. Erachten Sie das Geschäft für gültig?« KLAUS P., BERLIN

Damit kenne ich mich aus. Zum letzten Mal habe ich meine Seele verkauft, als ich vor Jahren dem Chefredakteur dieses Magazins zusagte, von nun an auf unbestimmte Zeit Woche für Woche die Gewissens- und damit auch Seelennöte seiner Leser auf mich zu laden und hier – auf für derartige Vorhaben knapp bemessenem Platz – zu lösen; von diversen weiteren hie und da erfolgten Seelenteilverkäufen ganz zu schweigen.

Damit befinde ich mich in bester Gesellschaft: Auch der Held unseres National-dramas Faust veräußerte bekanntlich seine Seele dem Teufel und ein Blick auf die entsprechenden Zeilen hilft weiter. Der juristisch wie naturwissenschaftlich bewanderte Geheimrat Goethe hatte offenbar dieselben Zweifel wie Sie: Er ließ seine Protagonisten die Unsicherheiten eines derartigen Vertrages umschiffen. Faust – unter anderem schließlich auch Mediziner und Jurist – schlug den Handel als Spiel vor: »Die Wette biet ich! – Topp! – Und Schlag auf Schlag!« Der kluge Mephistopheles formulierte statt eines Kaufs jedoch lieber wechselseitige Dienstpflichten: »Ich will mich hier zu deinem Dienst verbinden, / auf deinen Wink nicht rasten und nicht ruhn; / Wenn wir uns drüben wieder finden, / so sollst du mir das Gleiche tun.«

Das Verhalten dieser Vordenker lässt mich zögern. Tatsächlich sind Existenz und Wesen der Seele in der Philosophiegeschichte so umstritten, dass auch ich lieber pragmatisch vorgehen möchte: Falls es keine Seele gibt, erübrigt sich die Frage. Und diejenigen, die an die Seele glauben, rücken sie so wenig in die Nähe von Sachen oder Rechten, dass man sie schwerlich dem Kaufrecht unterwerfen kann – obwohl Gewährleistungsfragen nicht uninteressant wären. Summa summarum: Auf die Gültigkeit Ihrer Verträge würde ich meine Seele nicht verwetten.

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Illustration: Jens Bonnke