»Vor Kurzem wurde in Augsburg ein Polizist im Dienst erschossen. Das finde ich schrecklich, er und seine Familie tun mir sehr leid. Über den Mord wurde überall berichtet, auf Titelseiten, die Spieler des FC Bayern trugen Trauerflor deswegen. Nur: Jedes Jahr werden in Deutschland Hunderte von Menschen ermordet, ohne dass das größeres Aufsehen erregt. Und Polizisten haben sicher ein höheres Risiko, getötet zu werden, das gehört zu ihrem Beruf, den sie freiwillig ergriffen haben. Ist es nicht seltsam, den Tod eines Menschen mehr zu bedauern, weil er eine bestimmte Position hatte?« Rainer S., München
Die Trauer um den Tod von Menschen, die man nicht kannte, ist ein eigenartiges Phänomen. Viele Millionen haben etwa um Prinzessin Diana oder Robert Enke getrauert, ohne ihr oder ihm jemals begegnet zu sein. Mit ein Grund liegt sicherlich in der medialen Präsenz des oder der Toten und des Todes. Ein Tod, über den ausführlich berichtet wird, speziell, wenn man den Toten mit einem Gesicht und einer Biografie verbindet, geht emotional näher als ein anonymer Bericht über das Ereignis oder gar eine statistische Zahl. Dies dürfte auch hier der Fall sein.
Wie aber steht es um die Tatsache, dass für Polizisten das Risiko zu ihrem Beruf gehört und sie das Risiko freiwillig eingegangen sind? Im Hinblick auf die Person, den Menschen, der getötet wurde und dessen Tod man bedauert, darf dieser Aspekt keinen Unterschied machen. Im Hinblick auf seinen Beruf und die Übernahme der Gefahr meines Erachtens schon – wenn auch eher umgekehrt, als es bei Ihnen anklingt.
In seinem gerade erschienenen Mammutwerk Gewalt zeigt der Evolutionspsychologe Steven Pinker auf, dass die Gewalt in den letzten Jahrhunderten massiv zurückgegangen ist. So sei die Mordrate in den europäischen Ländern seit dem Mittelalter von durchschnittlich 40 pro 100 000 Einwohner auf weniger als ein Dreißigstel des damaligen Werts gefallen. Pinker führt das unter anderem auch auf das erstarkte und akzeptierte Gewaltmonopol des Staates zurück und damit auf die Polizei. Bei aller gesunden und teilweise berechtigten Skepsis gegenüber dem Staat, seiner Gewalt und möglichen Exzessen bedeutet das, dass die Polizisten die Gefahr stellvertretend für die Bürger übernehmen, anders ausgedrückt: ihren Kopf hinhalten. Ein Polizist mag die Aufgabe und damit das Risiko freiwillig übernommen haben, dennoch steht jeder Polizist, der im Dienst getötet wird, im weitesten Sinne – weil er das Gewaltmonopol repräsentiert und ermöglicht – anstelle der vielen, die deshalb nicht ermordet werden. Damit aber kann man die besondere Trauer um ihn als Dankbarkeit dafür auffassen, dass er diese Gefahr auf sich genommen hat. Überdies lässt sich der Angriff auf den Polizisten aber auch als Angriff auf den Staat und damit die Gemeinschaft begreifen und die gemeinschaftliche Trauer – abgesehen vom Ereignischarakter – als Reaktion darauf.
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Literatur:
Steven Pinker, Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit. S. Fischer Verlag Frankfurt am Main 2011
Illustration: Marc Herold