Die Gewissensfrage

Darf man sich von seinen Freunden schöne Dinge zum Geburtstag wünschen, wenn man eigentlich schon alles hat? Oder soll man um eine Spende für wohltätige Zwecke bitten?

»Mir fehlt es an nichts. Alles, was ich brauche, habe ich oder kann es mir kaufen. Zu meinem 30. Geburtstag, den ich groß feiern will, überlege ich deshalb, statt der Geschenke Geld für karitative Zwecke zu sammeln. Andererseits möchte ich wissen, was sich meine Freunde für mich einfallen lassen, welche Ideen und Mühen sie aufwenden. Was meinen Sie dazu?« Hans A., Ulm

Zu den verheerendsten zwischenmenschlichen Aktionen gehört sicherlich die Prüfung. Nicht der Leistungsnachweis im Rahmen oder zum Abschluss einer Ausbildung, sondern das Auf-die-Probe-Stellen. Ganz besonders in Freundschaften oder Beziehungen. Nicht immer endet das so harmonisch wie in Mozarts Così fan tutte. Dort stellen Ferrando und Guglielmo aufgrund einer Wette des zynischen Philosophen Don Alfonso, der meint, alle Frauen seien untreu, die Treue ihrer Frauen Dorabella und Fiordiligi auf die Probe und überführen sie der Bereitschaft zur Untreue. Nur im fiktiven Opernlibretto können nach so einer Aktion am Ende alle zusammen einstimmen: »Glücklich preis ich, wer erfasset / Alles von der rechten Seite, / Der bei Stürmen niemals erblasset, / Wählt Vernunft als Führerin. / Was im Leben andre weinen macht, / Ist für ihn ein Grund zum Lachen. / Drohn Gefahren noch so fürchterlich, / Wahrt er seinen heitern Sinn!«

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Zwar halte ich die dort besungene Wahl der »Vernunft als Führerin« generell für eine glückliche, gerade die aber schließt meines Erachtens aus, Beziehungen oder Freundschaften einem Test zu unterziehen oder Belege für sie einzufordern. Erstens zeigt das Ansinnen schon, dass in Wirklichkeit Zweifel bestehen, zweitens sind derartige Aktionen eher geeignet, zusätzlichen Schaden anzurichten. Und Ihre Freunde sind auch weder Tanzbären noch eine Gauklertruppe, die sich zu Ihrem Vergnügen anstrengen müssen.

Sie sind doppelt beneidenswert: weil es Ihnen gut geht und mehr noch, weil Sie sich dessen bewusst sind – eine nicht hoch genug zu schätzende Einsicht. Vielleicht fehlt Ihnen nur noch diese: Echte Freunde mag man um ihrer selbst willen, will sie um sich haben und dass es ihnen gut geht. Einfach weil sie da sind und ohne dass sie etwas liefern.

Hinweise:

Così fan tutte (o sia La scuola delli amanti), zu deutsch: So machen es alle (oder die Schule der Liebenden) Musik von Wolfgang Amadeus Mozart, Libretto von Lorenzo da Ponte Uraufgeführt am 26. Januar 1790 am Burgtheater in Wien Da „tutte“ im italienischen den weiblichen Plural darstellt, bedeutet der Titel eigentlich „So machen es alle Frauen“, was die Annahme von Don Alfonso ausdrückt, dass alle Frauen untreu sind. Informationen sowie das Libretto im italienischen Original und deutscher Übersetzung
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Zur Freundschaft: Die Idee der echten Freundschaft findet man bei Aristoteles im VIII. Buch seiner Nikomachischen Ethik:

„4. Vollkommen ist die Freundschaft der Tugendhaften und an Tugend Ähnlichen. Diese wünschen einander gleichmäßig das Gute, sofern sie gut ist, und sie sind gut an sich selbst. Jene aber, die den Freunden das Gute wünschen um der Freunde willen, sind im eigentlichen Sinne Freunde; denn sie verhalten sich an sich so, und nicht zufällig. Ihre Freundschaft dauert, solange sie tugendhaft sind. Die Tugend ist aber beständig, und jeder von beiden ist an sich gut und gut für den Freund. Denn die Tugendhaften sind schlechthin gut und einander gegenseitig nützlich, und ebenso auch angenehm. Denn auch schlechthin angenehm sind die Tugendhaften, wie auch für einander gegenseitig. Denn jedem machen die ihm eigentümlichen Handlungen Freude und die damit verwandten; die Handlungen der Guten sind aber die entsprechenden oder doch ähnliche. So ist anzunehmen, dass eine derartige Freundschaft dauerhaft sei. Sie verknüpft in sich alles, was bei Freunden vorhanden sein muss. Denn jede Freundschaft existiert wegen des Guten oder wegen der Lust, entweder schlechthin oder für den Liebenden und beruht auf einer gewissen Ähnlichkeit. ...
Es ist freilich anzunehmen, dass solche Freundschaften selten sind. Denn wenige Menschen sind derart. Außerdem bedarf es langer Zeit und Gewöhnung.“

Übersetzt aus dem Griechischen von Olof Gigon, dtv, München 1991

In der Übersetzung von Eugen Rolfes (ursprünglich Felix Meiner Verlag, Leipzig 1911) kann man die Stelle bei Projekt Gutenberg online lesen.
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Illustration: Serge Bloch