Finderlohn

In der Flut neuer Kochbücher sind Großmutters beste Rezepte längst verloren gegangen. Wir haben uns auf die Suche gemacht.

Königsberger Klopse

Status: Gefährdet
Von der Spezialität aus Ostpreußen sind verschiedene Rezepte im Umlauf. Die besonders edle Version mit Gehacktem nur aus Kalbfleisch ist dem Untergang geweiht – weil man Kalbshack nicht im Supermarkt kaufen kann und Fleischwölfe aus den Küchen verschwinden. Die andere, billigere Variante der Klopse mit einem Gemisch aus Rinder- und Schweinehack fristet ein armseliges Leben in deutschen Kantinen: Dort werden mit Vorliebe Hackfleischgerichte angefertigt, um Reste zu verwerten. Das Gleiche gilt auch für Fertiggerichte in Dosen, worin Königsberger Klopse ebenfalls verdächtig oft zu finden sind. Und zwar nicht in ihrer Höchstform. Dieses Umfeld hat den Klopsen ein trauriges Image verliehen. Hinzu kommt: Süßliches Fast Food schränkt die geschmacklichen Vorlieben potenzieller Klops-Esser immer mehr ein, die typischen Gewürze für Königsberger Klopse – Kapern und Sardellen – mögen viele nicht mehr. Unsere Diagnose: Es ist noch nicht zu spät! Auf 500 g Kalbfleisch 2 trockene Semmeln entrinden, schneiden, in Milch einweichen und ausdrücken. Zwiebel und Petersilie dünsten, mit Brötchen, Fleisch und einem Ei zweimal durch den Wolf drehen, mit gehackten Sardellen und Zitronenschale würzen. Walnussgroße Bälle formen, in Brühe knapp unter dem Siedepunkt 10 Minuten gar ziehen lassen. Die Brühe mit Sahne einkochen, reichlich Kapern dazu, eventuell mit Eigelb – nie Mehl – binden.

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Rübenkraut

Status: Überlebt in Schutzgebieten
Saure Rüben, gedörrte Rüben, weiße Rüben, Rübensuppe, Rübengemüse, Rüben-püree und Rübensalat – diese Speisekarte der Südwestfunk-Kantine von 1947 ist charakteristisch für Notzeiten, denn Rüben sind billig, einheimisch und lagerfähig. Kein Wunder, dass die Rübe mit den Erfolgen von Ludwig Erhard für Jahrzehnte in der Bedeutungslosigkeit versank. Langsam kommt sie jetzt zurück, in Gestalt von Teltower Rübchen, Mairübchen oder sogar von Steckrübengemüse – auf, an, unter oder neben feinen Fleischstücken in feinen Restaurants. Saure Rüben oder Rübenkraut (nicht zu verwechseln mit dunklem Zuckerrübensirup) haben bisher kein Comeback geschafft. Geschnetzelte Rüben kommen nämlich, ähnlich wie Sauerkraut, mit Salz in ein Fass und gären darin Wochen oder Monate. Das milchsaure Rübenkraut ist zwar aromatisch und gesund, vielen Menschen aber auch verdächtig: Der Grat zwischen erwünschter Fermentation und Fäulnis ist zu schmal für unsere keimfreie Welt. Vermutlich wäre Sauerkraut ohne das Bild vom Würstchen futternden Deutschen genauso verschwunden wie die Rüben, die nur noch an den Rändern unseres Sprachraumes überleben: Im Elsass, in Kärnten und Slowenien gibt es Rübenkraut zu Schweineschwänzchen, Kasnudeln oder Buchweizenkrapfen. Für den Münchner Viktualienmarkt produziert die ehemalige Gurkeneinlegerei Freisinger heute noch eigenes Rübenkraut. Frau Freisinger empfiehlt, Zwiebeln mit Zucker und Schmalz zu karamellisieren und dann mit Rübenkraut, Brühe und einem Stück Lammschulter eine Stunde zu kochen.

Finkenwerder Scholle

Status: Ausgestorben
Ihren Namen hatte die Finkenwerder Scholle von dem gleichnamigen Fischerdorf im Gewerbegebiet des Hamburger Hafens. Früher war dieses Dorf eine Insel in der Elbe, in die damals oft Schollen – eigentlich Meeresfische – auf Nahrungssuche schwammen. Die Finkenwerder Fischer nannten ihre Schollen Elbbutt und brieten sie fangfrisch in der Pfanne mit Speckwürfeln. Heute gibt es keine Insel mehr; nach der großen Sturmflut 1962 wurde sie durch Dämme und Brücken mit dem Festland verbunden. Wegen Überfischung gibt es nur noch wenige Schollen in der Nordsee, geschweige denn in der Elbe. Davon abgesehen gehört die gesamte Hamburger Fischereiflotte der Vergangenheit an, den Hamburger Fischmarkt beliefern inzwischen Kühllaster aus Dänemark. Egal also, von welchem Standpunkt aus man es sieht – die Finkenwerder Scholle ist definitiv ausgestorben. Wenn Sie das Rezept trotzdem ausprobieren wollen: Schollen aus anderen Regionen gibt es noch zu kaufen. Die Frage ist allerdings auch hier, wie lange noch. Am besten weichen Sie gleich auf weniger vom Aussterben bedrohte Fischarten aus. Denn eigentlich schmecken alle Fische auf Finkenwerder Art gut: Den Fisch möglichst frisch verarbeiten, mit 1 EL Zitronensaft beträufeln, salzen, pfeffern und in Mehl wenden. Speckwürfel in einer heißen Pfanne auslassen, aus der Pfanne nehmen, den Fisch im Speckfett von beiden Seiten goldbraun braten und mit den Speckwürfeln, jungen Kartoffeln oder Kartoffelsalat und Petersilie servieren.

Hefeknödel

Status: Verschollen
Feuchte Schwaden hingen über dem Herd, es duftete nach Rehragout, Zwetschgen und Butter – so schwärmt die Chefredakteurin einer Kochzeitschrift von den gedämpften Hefeknödeln ihrer Großmutter. Wir rekonstruierten das Rezept und probierten es aus: Süß schmecken die Knödel mit Zwetschgen- oder Beerenfüllung und gerösteten Bröseln als heißes Dessert, die salzige Variante eignet sich wunderbar als luftig-saugfähige Beilage zu Schmorbraten und Ragouts. Die Zutaten, Mehl, Hefe, Milch und Eier, bekommen Sie in jedem Supermarkt. Aber: Servieren Sie Ihren Sonntagsbraten noch mit Hefeknödeln? Abgesehen von einer weitverbreiteten Furcht vor der Zubereitung von Sonntagsbraten und Hefeteigen sehen wir nur eine mögliche Ursache für das bedauernswerte Verschwinden der preisgünstigen Beilage: Wirklich locker und flaumig werden Hefeknödel nur über heißem Dampf. Doch sogar für vier Portionen, ein knappes Dutzend Knödel, benötigen Sie einen Topf mit großem Durchmesser. Zum Beispiel einen flachen, breiten Gemüsetopf, in dem Sie sonst das Gemüse für eine Großfamilie auf Ihrem gusseisernen Kohleherd dünsten. Über diesen Topf binden Sie ein Küchentuch und dämpfen dann die Knödel auf dem Tuch. Großfamilien, große Kochplatten und große Töpfe sind verschwunden und mit ihnen unsere Hefeknödel. Jetzt geben ihnen vielleicht asiatische Dämpfkörbe und luxuriöse Dampfgarer eine zweite Chance. Das Rezept finden Sie hier:

Gedämpfte Hefeknödel mit Zwetschgen

Für eine Beilage zu Schmorgerichten einfach Würfel- und Puderzucker weglassen.

Zutaten für 4-6 Personen (12 Knödel):
Für den Teig:
250 g Mehl, Salz, 1/4 Hefewürfel, 1 EL Zucker, 125 ml l Milch, 1 EL weiche Butter, 2 Eigelbe
Außerdem:
12 Zwetschgen (oder Erdbeeren, Aprikosen…), 12 St. Würfelzucker, 2 EL Butter, 3 EL frische Brotbrösel (Alternative: Paniermehl), Puderzucker

Mehl mit einer Prise Salz in eine Rührschüssel füllen. Eine Mulde formen, Hefe hinein bröseln, den Zucker zugeben. Milch leicht erwärmen, die Hälfte davon mit Hefe, Zucker und etwas von dem Mehl in der Mulde verrühren. Diesen Vorteig mit Mehl bestäuben, ein Geschirrtuch über die Schüssel legen und an einem warmen Ort fünf bis zehn Minuten gehen lassen, bis sich kleine Risse an der Oberfläche bilden.

Jetzt die restliche Milch zum Teig gießen, Butter und Eigelb zugeben und fünf bis zehn Minuten kneten. Den fertigen Teig zudecken und 30-45 Minuten gehen lassen, bis sich das Volumen verdoppelt hat.

Teig auf einer bemehlten Arbeitsfläche dick ausrollen und in zwölf Stücke teilen. In jedes Teigstück eine entsteinte Zwetschge und ein Zuckerstück legen, zu Knödeln formen und auf dem mit Mehl bestäubten Brett zugedeckt noch einmal 20 Minuten gehen lassen. Dabei mit einem Tuch zudecken.

In der Zwischenzeit die Brösel in Butter hellbraun rösten. Einen Topf mit möglichst großem Durchmesser (oder einen Bräter oder einen Wok) halbgefüllt mit Wasser zum Kochen bringen. Entweder ein Geschirrtuch über den Topf legen und an den Henkeln festbinden oder einen großen asiatischen Dämpfkorb mit einem gebutterten Stück Alufolie auslegen und auf den Topf legen.

Die Knödel auf das Tuch oder in den Dämpfkorb legen, mit einem hohen Deckel oder einer passenden Metallschüssel zudecken und im Dampf 20 Minuten garen. Zwetschgenknödel mit Bröseln und mit Puderzucker bestreuen.

Bayerische Brezen

Status: Stark gefährdet
Herr Rubner, Dorfbäcker in Sauerlach südlich von München, bäckt seine Brezen selbst. Das ist etwas Besonderes, denn die bayerische Breze degeneriert zum tschechischen Tiefkühl-Teigling. Der Weg dahin ist ein Beispiel für das Wechselspiel zwischen den Erfordernissen der weltweiten Wirtschaft und dem Tod lokaler Handwerkskunst: Als in den Siebzigerjahren die ersten Großbäckereien mit eigenen Filialnetzen entstanden, wurden Backstube und Verkauf getrennt. Um trotz der Transportwege frisch wirkende Brezen verkaufen zu können, kam ein schlauer Bäcker auf die Idee, das backfertige Zwischenprodukt einzufrieren und am »Point of Sale« nur noch kurz in den Heißluftofen zu schieben. Die gefrorenen Teiglinge kann man natürlich überall da herstellen, wo die Einsparung durch niedrige Personalkosten größer ist als die Transportkosten. Auch unabhängige Bäcker in Bayern bedienen sich der billigen Halbfertigprodukte, um konkurrenzfähig zu sein. Aber wie in allen Bereichen der Wirtschaft gibt es auch in der Brezenbäckerei mehrere Lösungen: Die Brezen der Dorfbäckerei sind so gut, dass Rubners Kunden weite Anfahrtswege in Kauf nehmen. Herr Rubner verkauft also viele Brezen. Um günstig zu produzieren, lässt er den Teig so langsam gehen, dass seine Bäcker nicht zu Nachttarifen arbeiten müssen. Die tags geformten Teiglinge ruhen nachts in einem besonders feuchten Kühlhaus und werden bei Bedarf gebacken. Ganz nebenbei bleibt das Backwerk dadurch besonders lange saftig und frisch.

Hasenpfeffer

Status: Beinahe ausgestorben
Hasen vermehren sich wie die Karnickel. Deshalb sind die Populationen in vielen Teilen Deutschlands stabil, obwohl sich Hasen schlecht mit Mähdreschern und Monokulturen vertragen. Überall dort, wo Jäger und Naturschützer Raine wieder mit Büschen und Sträuchern bepflanzen, fühlen sich die Nager besonders wohl. Die heißen und trockenen Jahre des neuen Jahrtausends helfen dem ehemaligen Steppenbewohner bei der Aufzucht seiner Jungen – die Kleinen sind äußerst feuchtigkeitsempfindlich. Trotzdem ist der Hase aus der Haushaltsküche verschwunden. Warum? Der Geschmack des Fleisches hängt sehr von guter Jagd ab: Die Tiere sollten aus größerer Entfernung von vorn oder von der Seite geschossen werden, damit die Schrotkugeln sie nicht völlig durchsieben. Danach muss der Jäger seine Beute so schnell wie möglich ausnehmen, sodass verletzte Verdauungsorgane das Fleisch nicht mit Keimen belasten. Und schließlich muss jemand dem Hasen das Fell über die Ohren ziehen, ohne dass das Fleisch mit den besonders feinen Hasenhaaren verklebt. Haben Sie schon einmal einen Hasen abgezogen? Das wäre gut, denn viele Jäger verkaufen die Tiere in der Decke, also mit Fell. Ein guter Hase schmeckt mild und zart, Rücken und Keulen können Sie saftig-rosa braten, den Rest wie ein Rehragout schmoren. Für den echten Hasenpfeffer wird die fertige Sauce mit einigen Löffeln Hasenblut (vom Jäger) oder Schweineblut (vom Schlachthof) gebunden. Aber Vorsicht: Danach darf das Ragout nicht mehr kochen!

Mit freundlicher Unterstützung des Fundbüros Hamburg.