Unlängst wollte ich einen alten Freund treffen, der in der Stadt war. Ich schlug einen Ort vor, der gut erreichbar war, an dem man früh oder spät aufkreuzen konnte, der etwas Unverbindliches, aber auch Vertrautes haben sollte: die Bar in Bahnhofsnähe. Dort standen wir allerdings erst mal Schlange, denn die Bar hatte einen Türsteher. Als wir drinnen waren, fanden wir uns in einem engen Raum mit viel Sichtbeton wieder, der etwas von einem futuristischen Bunker hatte. Es wurde kein langer Abend.
Es war nicht das erste Mal, dass ich mich in einer Bar fühlte wie in einer Galerie, in der gleich eine Kunstperformance abgeht. Bars sind Räume geworden, an denen sich Designer beweisen müssen und die man aufsucht, um etwas geboten zu bekommen. Wie in der Spitzengastronomie, in der es auf das Essen genauso ankommt wie auf die Inszenierung des Essens. Längst werden auch an Bars Auszeichnungen vergeben wie Sterne oder Punkte an Restaurants. So wählen Experten jeden Herbst unter anderem die »Bar des Jahres«. Da gewinnen Lokale, in denen Essenzen und Konzentrate hergestellt und die Zutaten für Cocktails im Dehydrator, in einer Zentrifuge oder Osmoseanlage behandelt werden. Oder die einen »Old Cuban« servieren, der in der Karte als »gediegene Variante des Mojitos«, in der »Rum, Limette, Zucker, Bitters und Minze ihr Paillettenkleid im Licht prickelnden französischen Schaumweins drehen«, beschrieben wird.
Ich habe nichts gegen Verfeinerung. Ich finde es sogar großartig, wenn ein Rum-Limetten-Champagner-Minz-Mix zu einem Gesamtkunstwerk wird, über das man mit dem Barkeeper eine Art Kuratorengespräch führen kann. Ich frage mich nur, ob es das ist, was eine Bar ausmacht. In einer Bar geht es ja nicht in erster Linie um Geschmack und Genuss, sie ist ein soziales Gebilde. Wo man bei anderen Leuten Halt findet oder allein am Tresen hängt, wo man nach drei Drinks jemandem sein Interesse gesteht und froh ist, dass der andere so viel trinkt, dass er das am nächsten Tag vergessen haben wird.
Bars sind Orte der Uneindeutigkeit, Transit-Orte, an denen man sich findet und wieder verliert, an dem der Querschnitt der Gesellschaft zusammenkommt. Eine Bar kann eine Projektionsfläche für Sehnsüchte sein und die Bühne für große und kleine Dramen, Bars haben die Kunst und die Popmusik angeregt, viele Schriftstellerkarrieren und Filmklassiker wären ohne Bars nicht denkbar.
Ich stelle mir gerade vor, wie Humphrey Bogart und Ingrid Bergman sich in »Rick’s Café Américain« in Casa-blanca treffen, während die Welt in Flammen steht, sie aber noch diesen Wahnsinnsmoment zwischen Mann und Frau haben, in dem alles unausgesprochen und doch klar ist. Und dann sagt Ingrid Bergman, sie brauche jetzt dringend etwas aus der Zentrifuge, vielleicht diese »gediegene Variante des Mojitos, in der Rum, Limette, Zucker, Bitters und Minze ihr Paillettenkleid im Licht prickelnden französischen Schaumweins drehen«. Nein, das geht nicht. Ich glaube, dass viele große Szenen des Lebens in einer Bar spielen, aber nicht unbedingt in der Bar des Jahres.